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Brauchen wir eine Kita-Cloud? – (Neue) Wege digitaler Dokumentation

Digitale Dokumentation verspricht einige Vorteile gegenüber »klassischen« Dokumentationsverfahren. Aber sie sollte nicht zum Selbstzweck werden. Digitale Formen der Dokumentation müssen einen klaren Mehrwert haben, damit es sich lohnt, sie einzusetzen. Wie eine sinnvolle Nutzung aussehen kann, beschreibt dieser Beitrag.

Welche digitalen Lösungen haben Mehrwert?

Welche digitalen Lösungen haben Mehrwert?

Szene 1: Es steht wieder ein Entwicklungsgespräch mit den Eltern an. Wie so oft komme ich als Bezugsbetreuer/in nicht dazu, alle Fotos vom letzten Sommerfest mit den entsprechenden Untertiteln schön zu collagieren. Wie so oft renne ich nach dem Dienst noch zum Drogeriemarkt und lasse die Bilder der SD Karte ausdrucken. Dass das Kind Anteil an dem Portfolio hat, ist wichtig – weiß ich ja, leider passt es jedoch nicht immer. Und überhaupt, beim Elterngespräch sehe ich eh meist die Mutter. Klar, nach 15:30 Uhr kann ich keine Termine mehr vergeben, oftmals arbeitet dann ein Elternteil einfach noch. Zu oft ist dieses Elternteil der Vater.

Szene 2: Seitdem wir Tablets für die Dokumentation einsetzen, ist natürlich nicht alles besser geworden, aber vieles einfacher, wenn man sich auf die neuen Strukturen einlässt und diese auch wirklich nutzt. Es steht wieder ein Elterngespräch an. Am Vormittag des Gesprächs überlege ich mir gemeinsam mit dem Kind, welche Bilder und Fotos in die Diashow kommen sollen. Statt angestrengt witzige Untertitel aufzuschreiben, spreche ich nun gemeinsam mit dem Kind Randbemerkungen ein. Ach, da ist ja das Video vom letzten Laternenumzug. Das können wir auch noch einfügen. Die Bilder, die das Kind in den letzten Wochen gemalt hat, darf es immer mit nach Hause nehmen. Das ist uns wichtig. Parallel sichere ich diese Bilder auch in der Cloud und wir können nun gemeinsam schauen, ob wir eine Auswahl davon mit in das digitale Portfolio hinzufügen möchten. Wieder mal kann zum 15:30 Uhr-Termin lediglich die Mutter erscheinen. Einen zeitlich befristeten Link zu der Präsentationsmappe können wir aber jetzt an die Familie schicken, sodass sich die nicht Anwesenden aus der Familie auch ein Bild machen können.

Beide Einstiegsszenen sind bewusst in grellen Farben gemalt. Beiden Szenen fehlt natürlich ein wenig die Alltagsrealität, zudem gibt es kein »nie« und »immer« im fordernden Kita-Alltag. Die dargestellten Situationen verbindet jedoch die Frage: Wie kann ich Verwaltungsabläufe und Kommunikationsprozesse in meinem Kita-Alltag effizienter gestalten, indem ich sie digitalisiere? Macht das überhaupt Sinn? Was muss ich bedenken? …

Wenn ich Institutionen zur Weiterentwicklung trotz oder – besser noch – wegen des digitalen Klimawandels beraten darf, stoße ich häufig auf eine Vielzahl von Bedarfen, Wünschen, aber auch Zuschreibungen. So z.B.:

  • »Das haben wir doch noch nie so gemacht …«

  • »Ich kenne mich mit dieser neuen Technik doch gar nicht aus …«

  • »Was soll ich denn noch alles machen …«

  • »Die Kinder sehen ihre Eltern doch so oft vor dem Bildschirm. Im Kindergarten muss das nicht auch noch so sein …«

All das ist für mich sehr verständlich. Dieser Beitrag wird deshalb auch kein Lobgesang auf die digitale Dokumentation in der Kita werden. Digital muss einen Mehrwert haben, damit ich es einsetze. Immer. Das gilt nicht nur für den kindlichen Umgang mit Tablet und Co., sondern auch für die Nutzung digitaler Tools durch uns Erwachsene – sowohl beruflich wie privat.

Digitale Verwaltung in der Kita macht sich nicht mal eben in der Kaffeepause

Eines muss uns vorweg klar sein. Technik allein macht keine Inhalte! Das tollste Dokumentationstool wird zum schwergängigen Ballast, wenn wir den Einsatz nicht personenzentriert und organisatorisch annehmen und uns Kenntnisse und den richtigen Umgang damit erarbeiten. Das ist kein Alleinstellungsmerkmal der digitalen Welt, sondern gilt für den Papier-Entwicklungsbogen gleichermaßen. Wir sollten direkt zu Beginn mit der naiven Erwartung aufräumen, dass ein Satz Tablets und die richtige Software reichen, damit wir digital total einfach und effektiv unterwegs sein werden. Wenn ich hier über digitale Dokumentation in der Kita oder dem Kindergarten schreibe, dann möchte ich mich für diesen Artikel auf die Portfolio-Arbeit der Erzieher/innen konzentrieren.

Drei Gründe, warum der Einsatz digitaler Medien die (Dokumentations-)Arbeit in der Kita verbessern kann:

  1. 1.

    Es ist eine Arbeitserleichterung. Dokumentation, selbst in verstaubten Amtsstuben, wird zunehmend digital oder standortunabhängig geführt. Auch Erzieher/innen nutzen im privaten Umfeld bereits digitale Medien auf mobilen Endgeräten. Sie haben gelernt, Beiträge zu verfassen, Fotos zu erstellen und diese zu archivieren und zu kategorisieren. Kurzum: Digital ist Lebensrealität. Bei unseren Kindern sowieso. Wieso diese Realität nicht auch in der Dokumentation annehmen?

  2. 2.

    Ihr spart Euch Zeit. Das Wesentliche der Arbeit mit Kindern in der frühen Kindheit sollte keinesfalls im Dokumentieren liegen, oder? Richtig! Mit dem smarten Einsatz von digitaler Technik werden endlose Rundbrief-Kopien und aufwendige Einladungen obsolet. Ich kann ortsunabhängig in der Einrichtung oder sogar von zu Hause aus Teilaufgaben erledigen. Gerade für pädagogisch Fachkräfte, denen es auch zunehmend schwerer fällt, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu gewährleisten, kann das ein großer Schritt sein.

  3. 3.

    Die Qualität wird steigen. In der Dokumentation sind aussagekräftige und vollständige Dokumentationen, Verlaufsbeschreibungen und das Erfassen von Lernerfolgen essentiell wichtig. Durch den Einsatz von digitalen Medien können wir nun unmittelbarer, konkreter und auch visuell informativer dokumentieren.

Unter einem Portfolio verstehen wir eine zeitlich geordnete und nach Bildungsbereichen sortierte Aufzeichnung über das Lernen und die Entwicklung des Kindes. Darum geht’s. Das muss der Ausgangspunkt sein, von dem aus wir an die Sache herangehen. Das Portfolio hat meist Punkte, die trotz der verschiedenen Dokumentationsformen und -arten (nahezu) identisch sind. Im Prinzip orientiert sich jedes Portfolio an einen 4-stufigen Kreislauf im Lernen und Erleben des Kindes. Kinder werden beobachtet (1). Es wird eine Planung durchführt, z.B. monatsweise (2). Es werden Angebote konzipiert und ausgewertet (3). Die Erkenntnisse aus all dem werden dokumentiert. Was wurde geschafft? Was wurde gelernt (4)? Mit dem Portfolio kategorisieren wir Inhalte, machen Lernen und Erleben des Kindes nachvollziehbar und haben dadurch für die Eltern- und Planungsarbeit eine inhaltliche Grundlage. So weit, so gut. So weit, so analog.

Manchmal, oder meist (Das dürfen Sie, werte/r Leser/in ganz still für sich entscheiden), wird aus dem Portfolio jedoch eher ein Wirrwarr und Sammelsurium von – teils wahllos – zusammengestückelter Dokumente, Bilder und sonstiger Anlagen. Das ist auch in Ordnung so. Der Alltag eines Kita-Kindes ist nun einmal nicht stromlinienförmig. Es bringt den/die Erzieher/in in eine gewisse Dokumentations- und Sortierungsnot.

In einem digitalen Portfolio werden die Vorteile der digitalen und mobilen Technik genutzt. Markieren wir beispielsweise einmal ein bestimmtes Dokument, dann legt das digitale Portfolio alle (!) vergangenen und künftigen Dokumente direkt an den von uns definierten digitalen Ort ab.

Nicht über das Kind dokumentieren – sondern mit dem Kind

Ich halte es für essentiell, dass Kinder an der Erstellung ihrer Portfolios beteiligt werden. Sicherlich erfolgt das zum Glück in vielen Einrichtung. Leider lassen es Personalmangel, Vielfältigkeit der Anforderungen an Erzieher/innen und weiteren Faktoren nicht immer zu, dass dieser wichtige Punkt berücksichtigt wird.

Bei einem Portfolio, das mit dem Kind und nicht über das Kind dokumentiert, wird früh und angemessen der Umgang mit Fotos und Texten gelernt – ein immer wichtigerer Faktor in unserer digitalisierten Gesellschaft mit all den Chancen und Grenzen. Kinder haben ein Recht auf Privatsphäre. Auch im Netz. Auch im WhatsApp-Gruppenchat der Familie. Hier kann das digitale Portfolio eine Lösung sein. Warum? Bilder hochladen, anordnen, untertiteln, Bildteile ausschneiden, usw. geht im wahrsten Sinne des Wortes kinderleicht. Gerade weil im stressigen Tagesablauf in der Kita gar nicht immer die Zeit ist, um Kinder angemessen an ihrem Portfolio partizipieren zu lassen, kann eine digitale Dokumentation, quasi in Echtzeit, hilfreich sein. Wir dokumentieren also nicht mehr starr in der Kita oder gar nach Feierabend. Wir haben so nun die Freiheit, in der Aktion, wie z.B. während eines Ausflugs, live zu dokumentieren – mit dem Kind gemeinsam, wenn es noch einen emotionalen Bezug zu der dokumentierten Situation herstellen kann. Lernergebnisse, Bilder und Co. können so begleitet, und eigenständig vom oder gemeinsam mit dem Kind erstellt werden. Daneben lernen unsere Kinder mit ihrer digitalen Präsenz (Bilder, Videos) umzugehen und werden früh als Entscheider/innen wahrgenommen, die mitbestimmen dürfen, welches Bild im Portfolio landet und welches eben nicht. Unsere Datenhoheit verschiebt sich in Zeiten des digitalen Klimawandels. Mit dieser Handlungsweise wird früh ein Grundstein dafür gelegt, dass digitale Medien und dezentrale Datensammlungen (Cloud) einen lebensnahen Kontext zur Auseinandersetzung bekommen.

Nicht zuletzt ist so ein analoges Portfolio auch teuer: ein qualitativ guter Aktenordner, jede Portfolioseite verpackt in einer Plastikhülle zum Abheften. Es wird viel gedruckt, geschrieben, geklebt und ausgeschnitten. Damit meine ich nicht das Material für haptisch-künstlerische Arbeiten der Kinder, sondern das Budget für Büromaterial, dass die Erzieher/innen für die in Print geführten Portfolios verbrauchen.

In einem digitalen Portfolio wird einiges an teurem Material nicht mehr benötigt. Neben der Minimierung der Budgetausgaben wird zudem auch die Umwelt geschont. Sie schrecken auf? Sie merken ein ungutes Bauchgefühl? Selbstverständlich kostet auch ein digitales Portfolio etwas, diese Kosten werden sich jedoch spätestens mittelfristig amortisieren.

Fazit

Wir sind mit der analogen und der digitalen Szene in diesen Artikel eingestiegen. Rückblickend nicht ganz fair von mir. Warum? Digital und analog gehören nicht gegeneinander ausgespielt, sondern sinnvoll ergänzt. Sie können sich ein digitales Portfolio in ihrer Kita nicht vorstellen? Sie befürchten Kampfszenen um die Tablets, die womöglich alltagspräsent bei Ihnen herumliegen werden? Da kann ich Sie verstehen. Da kann ich Sie aber auch beruhigen. Tablets werden für die Kinder nichts Besonderes sein, wenn wir Erwachsene sie nicht dazu machen. Minutenkontingente, Tablet-Tage, Tablets nur für Spiele-Apps. Das alles lehne ich strikt ab. Das Tablet ist kein Spielzeug, sondern ein Werkzeug (mit dem man auch spielen kann). Ist das Tablet genauso gleichberechtigt verfügbar, wie die Leseecke, die Verkleidungskiste oder der Basteltisch – dann werden wir rasch feststellen, dass unsere Kinder sich entsprechend verhalten. Sie werden das Medium, den Impuls für sich wählen, der gerade für sie einen Mehrwert hat.

Sie haben Fragen, Kritik, Anregungen? Gerne her damit unter hi@digikids.online