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Die Überlastungsanzeige – Recht und Pflicht der Beschäftigten

Im Kita-Alltag stehen Erzieher/innen täglich vor der Herausforderung, den unterschiedlichen Bedürfnissen aller Kinder gerecht zu werden. Dabei sind die Arbeitsbedingungen in den letzten Jahren nicht einfacher geworden. Insbesondere wirkt sich vor allem eine dünne Personaldecke negativ auf die Arbeitssituation aus. Neben der Frage, ob der Bildungsauftrag überhaupt noch erfüllt werden kann, steht aber auch die Frage nach der eigenen Gesundheit und der Sicherheit der anvertrauten Kinder im Raum.

Stellen Sie bei zu viel Personalausfall eine Überlastungsanzeige

Stellen Sie bei zu viel Personalausfall eine Überlastungsanzeige

Stellen Sie sich folgende Situation vor: An einem kalten Herbsttag kommt Frau E. morgens in die Einrichtung. An der Tür erfährt sie, dass heute leider drei Kolleginnen erkrankt sind. Zwei weitere Kolleginnen befinden sich noch im Urlaub. In ihrer Gruppe erwartet sie zwei neue U3-Kinder, die heute ihren ersten Tag haben. Außer ihr ist in der Gruppe nur noch eine neue Praktikantin, die eingearbeitet werden soll. Das neue U3-Kind muss gewickelt werden, ein anderes muss zur Toilette.

Eine schwierige Situation. Ohne Frage steht der Kollegin ein anstrengender Arbeitstag bevor. Sie macht sich aber auch Sorgen um die Sicherheit der ihr anvertrauten Kinder. Kann diese unter den genannten Umständen noch gewährleistet werden? Eine Kollegin hat ihr von der Möglichkeit einer Überlastungsanzeige erzählt. Sie fragt sich, ob dieses Instrument hier hilfreich sein kann.

Was ist eine Überlastungsanzeige?

Die Überlastungsanzeige ist ein schriftlicher Hinweis an den Arbeitgeber, dass aufgrund von Arbeitsüberlastung, z.B. durch personelle Unterbesetzung, organisatorische Mängel oder unzureichende Arbeitsbedingungen, die ordnungsgemäße Erfüllung der Arbeitsleistung gefährdet ist. In einem Gesetz oder in einem Tarifvertrag ist der Begriff nicht geregelt, er hat sich aus dem allgemeinen Arbeitsrecht entwickelt. Wichtig dabei ist, dass die zu meldende Gefährdung durch einen sachlichen und nicht aus einem persönlichen Grund gegeben ist.

Verpflichtung zur Gefährdungsmeldung

Die Gefährdungsmeldung ist aber nicht nur eine Möglichkeit, sondern sogar eine Verpflichtung jedes einzelnen Arbeitnehmers/jeder einzelnen Arbeitnehmerin. Sie ergibt sich aus dem Arbeitsrecht. Aus dem Arbeitsverhältnis entstehen für den/die Arbeitnehmerin und für den Arbeitgeber Pflichten. Es gibt Hauptpflichten, wie die Erbringung der Arbeitsleistung und die Zahlung des vereinbarten Lohns. Neben diesen Hauptpflichten gibt es aber auch Nebenpflichten. Eine dieser Nebenpflichten ist für den/die Arbeitnehmer/in im Arbeitsschutzgesetz geregelt. Hier wird der Beschäftigte in § 16 dazu verpflichtet, sowohl für seine eigene Gesundheit als auch für die Gesundheit der Personen Sorge zu tragen, die von seinen Handlungen bei der Arbeit betroffen sind.

Für Beschäftigte in Kindertageseinrichtungen sind diese Personen die Kindergartenkinder, die ihnen während ihrer Arbeitszeit anvertraut wurden. Wenn nun eine unmittelbare erhebliche Gefahr für die Sicherheit oder Gesundheit dieser anvertrauten Personen vorliegen sollte, dann muss der Beschäftigte nach § 16 Arbeitsschutzgesetz dem Arbeitgeber diese Gefahr melden. Eine solche Gefahr liegt auch dann vor, wenn der Beschäftigte aufgrund von Arbeitsüberlastung, z.B. durch personelle Unterbesetzung oder durch mangelhafte Arbeitsbedingungen, nicht mehr sicher für die Gesundheit der ihm anvertrauten Personen sorgen kann.

Durch das Stellen einer Überlastungsanzeige kommt Frau E. dieser Meldepflicht nach, sie erfüllt damit ihre Verpflichtung aus dem Arbeitsschutzgesetz.

Überlastungsanzeige schützt den Beschäftigten bei Haftungsansprüchen

Die Überlastungsanzeige hat aber auch direkte Auswirkungen auf die Haftungsfrage der Beschäftigten, wenn wirklich einmal etwas passieren sollte. Noch ein Beispiel: Frau E. ist wegen Krankheit einer Kollegin allein in einer Gruppe. Ein U3-Kind stiehlt sich unbemerkt davon, fällt eine Treppe hinunter und bricht sich ein Bein. Zwar gelten die allgemeinen Grundsätze über eine Schadensersatzverpflichtung im Arbeitsrecht nur eingeschränkt, trotzdem könnten jetzt Schadensersatzansprüche auf die Kollegin zukommen. In Frage käme hier bspw. eine Haftung wegen einer Aufsichtspflichtverletzung nach § 832 BGB. Auch arbeitsrechtliche Maßnahmen, wie z.B. eine Abmahnung wegen Verletzung der Aufsichtspflicht, wären in diesem Falle denkbar. Um dies zu vermeiden, eignet sich die Überlastungsanzeige. Zwar wird man hierdurch nicht »automatisch« von jeder Verantwortung freigestellt, aber bei der Frage, ob eine Sorgfaltspflichtverletzung vorliegt, wird die Überlastungsanzeige hinzugezogen und kann den Beschäftigten (zum Teil) entlasten. Mit der Überlastungsanzeige wird nämlich die Verantwortung an die nächsthöhere Stelle weitergereicht.

Welche Formalien sind wichtig?

In der Anzeige sollten Datum, Name der Person, Name der Einrichtung und die konkrete Situation (z.B. Personalmangel) in kurzen Worten beschrieben sein. Wichtig ist, dass die Überlastungsanzeige unverzüglich nach Feststellung der Gefährdung dem Arbeitgeber bzw. dem unmittelbaren Vorgesetzten zu übergeben ist. Ändert sich für den Beschäftigten an der Situation nichts, sollte er nach einiger Zeit erneut eine Überlastungsanzeige stellen.

Verfahrensablauf

Die Anzeige ist auf dem Dienstweg einzureichen. Den Eingang sollte man sich auf einer Kopie bestätigen lassen. Die Kopie der Anzeige sollte ebenfalls dem Betriebsrat bzw. dem Personalrat weitergeleitet werden, damit dieser ggf. unterstützend tätig werden kann.

Sollte den angezeigten Umständen nicht zeitnah abgeholfen worden sein, muss nach spätestens vier Wochen ein Zwischenbescheid ergehen, aus dem hervorgeht, dass die Anzeige bearbeitet wird.

Die Regelungen des Arbeitsschutzgesetzes

§ 15 Arbeitsschutzgesetz: Pflichten der Beschäftigten

(1) Die Beschäftigten sind verpflichtet, nach ihren Möglichkeiten sowie gemäß der Unterweisung und Weisung des Arbeitgebers für ihre Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit Sorge zu tragen. Entsprechend Satz 1 haben die Beschäftigten auch für die Sicherheit und Gesundheit der Personen zu sorgen, die von ihren Handlungen oder Unterlassungen bei der Arbeit betroffen sind.

(2) Im Rahmen des Absatzes 1 haben die Beschäftigten insbesondere Maschinen, Geräte, Werkzeuge, Arbeitsstoffe, Transportmittel und sonstige Arbeitsmittel sowie Schutzvorrichtungen und die ihnen zur Verfügung gestellte persönliche Schutzausrüstung bestimmungsgemäß zu verwenden.

§ 16 Arbeitsschutzgesetz: Besondere Unterstützungspflichten

(1) Die Beschäftigten haben dem Arbeitgeber oder dem zuständigen Vorgesetzten jede von ihnen festgestellte unmittelbare erhebliche Gefahr für die Sicherheit und Gesundheit sowie jeden an den Schutzsystemen festgestellten Defekt unverzüglich zu melden.

(2) Die Beschäftigten haben gemeinsam mit dem Betriebsarzt und der Fachkraft für Arbeitssicherheit den Arbeitgeber darin zu unterstützen, die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Beschäftigten bei der Arbeit zu gewährleisten und seine Pflichten entsprechend den behördlichen Auflagen zu erfüllen. Unbeschadet ihrer Pflicht nach Absatz 1 sollen die Beschäftigten von ihnen festgestellte Gefahren für Sicherheit und Gesundheit und Mängel an den Schutzsystemen auch der Fachkraft für Arbeitssicherheit, dem Betriebsarzt oder dem Sicherheitsbeauftragten nach § 22 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch mitteilen.

Fazit

Mit einer Überlastungsanzeige werden Erzieherinnen und Erzieher ihrer Nebenpflicht aus § 16 Arbeitsschutzgesetz gerecht. Zugleich entlasten Sie sich (zum Teil) für den Fall, dass einem Kind etwas passieren sollte. Eine unverzügliche Meldung an den Arbeitgeber sollte also immer dann erfolgen, wenn Umstände auftreten, die zu einer erhöhten Gefährdung von Kindern oder Mitarbeitern führen.