Auch in den DJI-Interviews (mit Leitungen und Gruppenkräften) zeigen sich die Fachkräfte sowohl belastet als auch zufrieden. Vor allem der Personalmangel durch unbesetzte Stellen und Krankheit hält die Kitateams auf Trab. Den Personalmangel kann eine einzelne Kita nur begrenzt lösen. Zwei Leitungskräfte haben auch an der DJI-Studie teilgenommen, um energisch auf dieses Problem hinzuweisen. Sie wollen, dass das Problem auch in der Politik Beachtung findet. Typisch ist die Aussage einer Fachkraft, die zur Interviewerin sagt: »Das haben Sie wahrscheinlich auch schon 1.000 Mal gehört, ich will auch gar nicht schimpfen. Aber es ist anstrengend, wenn man aufgrund von Personalmangel umdisponieren muss. Wenn man nicht so arbeiten kann, wie man sich das vorstellt. Man achtet dann darauf, dass es läuft, aber das ist dann mehr Betreuung als fördern.« Ein zweiter Faktor, der den Interviewpartnerinnen zu schaffen macht: Sie fühlen sich zwar von den Kindern und den meisten Eltern anerkannt. Insgesamt jedoch empfinden sie sich nicht ausreichend bezahlt und von der Gesellschaft wenig wertgeschätzt für ihre Arbeit. Auch hier stimmt die DJI-Studie mit den Ergebnissen der bereits vorliegenden Studien überein.
Der Arbeitsalltag wird gemeistert – trotz Belastung
In den DJI-Interviews sprechen die Fachkräfte ausführlich über Belastungen und weit weniger über ihre Zufriedenheit. Insgesamt kommen aber alle Fachkräfte, die interviewt wurden, gut mit den Belastungen klar. Bemerkenswert ist: Viele Fachkräfte sprechen nicht nur über ihre persönliche Belastung, sondern auch darüber, wie belastet ihre Kolleginnen und Kollegen sind. Belastung ist also ganz grundsätzlich ein großes Thema. Manche Fachkräfte berichten in den Interviews auch davon, dass einige Kolleginnen in ihrem Umfeld massiv überlastet seien. Solche Belastungsspitzen sind schwer zu erforschen, denn meistens nehmen solche Hochbelasteten gar nicht erst an Stress-Studien teil. Das gilt für alle Arbeitsfelder, nicht nur für die Kita.
Die Arbeit mit Kindern schenkt auch Kraft
Viele Fachkräfte erkennen, dass die Freude an den Kindern ihnen auch Kraft schenkt. Eine Erzieherin sagt: »Manchmal, wenn die Kinder mich begrüßen, denke ich: Ist das schön! Und dann kann ich auch das andere wieder stemmen.« Eine andere Interviewpartnerin wäre eigentlich vollständig für ihre Leitungsaufgabe freigestellt, doch sie will die Interaktionen mit den Kindern nicht missen. »Mich durchströmt einfach so viel Liebe für die Kinder«, betont sie. Deshalb verbringt sie regelmäßig Zeit in einer bestimmten Kindergruppe. Eine andere Gesprächspartnerin schildert, dass ihr Team eine gemeinsame Strategie entwickelt hat, sich die Freude immer wieder gemeinsam vor Augen zu führen: »Das erzählen wir uns aber immer gegenseitig, man vergisst sonst die witzigen und schönen Momente. Oft muss man sich selber korrigieren und sagen: Nee, es ist nicht alles schlecht. Also haben wir aufgehört, im Negativen zu suchen, sondern jetzt suchen wir die positiven und schönen Momente. Und da haben wir ganz, ganz, ganz viele.« Mit Kindern zu arbeiten ist also eine bedeutsame Ressource, auch hier stimmen die WiFF-Ergebnisse mit den bereits vorliegenden Studien überein.
Die Arbeit bewegt sich zwischen Ideal und Wirklichkeit
Die Fachkräfte sind hochmotiviert, mit ihrem professionellen Handeln den Kindern in ihren Bedürfnissen und in ihrer Einzigartigkeit gerecht zu werden. Darauf verweisen sie immer wieder. Grundsätzlich ist diese Wertehaltung enorm wichtig für professionelles Handeln. Sie kann aber auch zur Belastung werden, nämlich dann, wenn situativ zwischen dem eigenen Handeln und dem professionellen Ideal eine große Lücke klafft. Über den Stress, der dann entsteht, sprechen längst nicht so viele Fachkräfte, am ehesten noch die Leitungen und die männlichen Fachkräfte.
Entscheidend dafür, dass Stress und Belastung empfunden werden, ist nicht nur das Erlebnis selbst, sondern auch dessen Bewertung: Hier bin ich meinen eigenen Standards, meinem Ideal, wie ich mit den Kindern umgehen will, nicht gerecht geworden. Das können Erlebnisse sein, die aus dem Alltag der Kita deutlich herausragen und lange in Erinnerung bleiben – so berichten gleich zwei Leitungskräfte davon, wie hilflos und überfordert sie sich fühlten, als ein Kind ein anderes verletzte. Das können aber auch kleinere Episoden sein, beispielsweise wenn es einem der interviewten Erzieher nicht gelingt, an einem unruhigen Morgen zu dem »friedlichen Miteinander« mit den Kindern zu kommen, das er eigentlich anstrebt. Und natürlich kann auch der eigene Stress dazu führen, dass man selbst ungeduldig und direktiv handelt, sagt ein anderer Erzieher. Hinterher denkt er dann: »Das Kind ist natürlich gefrustet, man ist selber natürlich gefrustet. Und dann danach merkt man: Oh, eigentlich war’s jetzt total das Falsche. Eigentlich hätte ich es jetzt wirklich nochmal erklären können.«
Rückhalt im Team tut gut
Die Kolleginnen und Kollegen, überhaupt das gesamte Team, sind für viele Interviewpartnerinnen und -partner eine wichtige Ressource. Es tut gut zu wissen: Hier werde ich so angenommen, wie ich bin, bei uns stimmt das Teamklima, und als Team können wir einiges stemmen. Dieses Ergebnis findet sich auch in den bereits vorliegenden Studien. In den Interviews – insbesondere mit den weiblichen Gruppenkräften – wird aber noch eine zweite Ressource beschrieben: die Lieblingskollegin. »Der vertraue ich blind«, sagt eine Erzieherin, »die ist ein ganz toller Mensch und eine irrsinnig gute Erzieherin, und wenn ich irgendwelche dummen Fragen habe oder unsicher bin, habe ich keine Hemmungen sie anzusprechen.« Dabei wird deutlich: Die Beziehung zu dieser Kollegin wurde aktiv angebahnt und wird nun sorgsam gepflegt. Auch die Leitungen schätzen vertrauensvolle Gespräche über ihre Arbeit. Ihr Gegenüber finden sie aber nicht innerhalb des Teams, sondern im Umfeld der Kita, bei der Fachberatung, im Leitungskreis oder im Gespräch mit dem Träger. Es fällt auf, dass die beiden Leitungen, denen solche vertrauensvollen Gespräche fehlten, auch eher stark belastet waren.
Viele Fachkräfte in der WiFF-Studie haben nicht nur klare professionelle Vorstellungen zu ihren eigenen Interaktionen mit den Kindern – sie erwarten gleiches auch von ihren Kolleginnen und Kollegen. Diese Erwartung erfüllt sich nicht immer. Dann ärgert sich eine Fachkraft, wenn Kolleginnen/Kollegen mitunter geringschätzend über Kinder sprechen. Eine andere Erzieherin findet es belastend, wenn ihre Kollegin mit den Kindern schimpft oder sie beschämt. Eine weitere Erzieherin erlebte, dass ihre ehemaligen Kolleginnen einen »ganz fürchterlichen Umgangston« mit den Kindern verwendeten, sodass die Kinder nur noch auf Schreien reagiert hätten. Für manche Fachkräfte kann es also ganz grundsätzlich belastend sein, wenn die Lücke zwischen Ideal und Wirklichkeit des professionellen Handelns zu groß wird. Bemerkenswert ist: Gegenüber der betreffenden Kollegin sprechen sie ihre Beobachtung meistens nicht an. Das ist doppelt problematisch: Zum einen bleibt durch ein derartiges Herunterschlucken die Belastung für die Fachkraft mit großer Wahrscheinlichkeit bestehen; sie wird auch nach der nicht thematisierten Situation wieder miterleben, dass Kinder beschimpft oder angeschrien werden. Zum anderen verändert sich auch für die Kinder nichts; sie sind weiter mit Schimpfen und Schreien konfrontiert. Hier liegen noch große Handlungspotenziale für die Teams. Denn nur was besprochen und thematisiert wird, kann überhaupt verändert werden. Auch dazu gibt die Studie Hinweise: Zwei Fachkräfte beschreiben, wie hilfreich es für ihre Entwicklung und für ihr alltägliches Arbeiten war, dass die Kolleginnen ihnen konstruktive Rückmeldungen zu ihren Interaktionen geben.
Kita-Leitungen haben Schlüsselposition im Belastungsgeschehen
Auch die Kita-Leitungen sind belastet – und zwar stärker als die Gruppenkräfte. In den Interviews wird zudem deutlich, dass die Leitungen auch mit den Belastungen ihres Teams umgehen müssen. Und sie sind in besonderem Maße mit dem Personalmangel konfrontiert. Gleichzeitig gilt: Viele Leitungen verfügen auch über einen hohen Gestaltungsspielraum. Sie nutzen ihn in vielfältiger Weise, etwa bei der Entscheidung, welchen Führungsstil sie für sich auswählen, in Verhandlungen mit dem Träger, im Setzen von »Highlights« und in der Arbeit mit dem Team. Zwei Leitungen beschreiben auch ihre Methoden, um mit und für das Team Belastungen des Alltags abzumildern. Während eine Leitung in alltäglichen Gesprächen immer wieder ermutigt und die lange Berufserfahrung des Teams betont, nutzt die andere eine große Pinnwand. Hier sammelt sie alle positiven Rückmeldungen, die ihr Team erhält. Zudem setzt sie für das ganze Team regelmäßig eine Stärkenanalyse ein, mit wechselseitigem Feedback.
Die Diskussion der WiFF-Ergebnisse in einer Leiterinnen-Runde zeigt aber auch: Es ist enorm wichtig, dass die Leitungen auch ihre eigene Belastung im Blick behalten. Sonst laufen sie Gefahr, sich massiv zu überlasten. Mögliche Ressourcen zur Stressminderung wären:
der Austausch mit anderen Leitungen und der Fachberatung,
das Pochen auf die Besetzung von Stellen (kritisch wird es, wenn die Stellvertretung lange Zeit fehlt)
und körperlicher Ausgleich.
Relativ wenig genutzt werden sogenannte kognitive Strategien, um die eigenen Stress-Verschärfer (wie z.B.: »Ich muss es allen recht machen« oder »Es muss immer alles klappen«) zu erkennen und abzumildern. Hier können Trainingsprogramme unterstützen, etwa das deutschlandweit angebotene und von den Krankenkassen zertifizierte Präventionsprogramm »Sicher und gelassen im Stress«.
Mitunter wäre es auch sinnvoll, zwischen den Bedürfnissen des Teams und den eigenen Bedürfnissen zu unterscheiden.
Was Teams und Leitungen tun können
Belastungen verstehen und benennen: Die Teams können, beispielsweise im Rahmen eines Klausurtags, gemeinsam reflektieren: Was belastet uns im Alltag, wie gehen wir als Team mit Belastungen um? Wo können wir uns gegenseitig unterstützen? Wo brauchen wir Unterstützung vom außen (etwa durch den Träger, Betriebliches Gesundheitsmanagement, Präventionsangebote der Krankenkassen, kommunale Präventionsketten)?
Konstruktives Feedback auf Teamebene einüben: Einigen Fachkräften fällt es schwer, ihre Kolleginnen auf problematische Interaktionen mit den Kindern anzusprechen. Für die eigene Entlastung und für die Qualität der pädagogischen Arbeit wäre dies jedoch wichtig. Bei Teamentwicklungstagen oder durch Teamsupervisionen können konstruktive Kommunikationsmuster gemeinsam entwickelt und eingeübt werden.
Ressourcen erkennen und pflegen: Viele Fachkräfte schöpfen große Freude aus ihrer Arbeit mit den Kindern. Die kleinen und manchmal großen guten Momente kann jede einzelne Fachkraft für sich immer wieder aufs Neue reflektieren. Teams können daraus gemeinsame Kraft schöpfen, indem sie stressige Situationen ins Verhältnis setzen zu freudvollen Momenten. Auch das Team selbst kann eine Ressource sein, wenn alle wissen: wir geben uns gegenseitig Rückhalt, wir unterstützen uns. Und es gelingt uns miteinander, auch Kritisches respektvoll auszusprechen.
Info
Alle Ergebnisse der hier vorgestellten Studie können Sie hier nachlesen:
Nürnberg, C. (2018): Kita-Alltag zwischen Belastung und Erfüllung. Ergebnisse einer explorativen Interviewstudie mit Gruppenkräften und Kita-Leitungen. Weiterbildungsinitiative Frühpädagogische Fachkräfte, WiFF Studien, Band 31. München Kostenloser Download unter: www.weiterbildungsinitiative.de/publikationen
Fazit
Der Druck, dem sich pädagogische Fachkräfte ausgesetzt fühlen, ist in den letzten Jahren gestiegen. Trotzdem beschreiben die interviewten Erzieher/innen und Leitungen auch viele Faktoren, die sie zufrieden machen, z.B. die Arbeit mit den Kindern, den kollegialen Rückhalt und den abwechslungsreichen Alltag. Diese Ressourcen gilt es zu stärken, ohne die Arbeit an den Belastungsfaktoren zu vernachlässigen.