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Fachkräfte mit langfristigen Personalstrategien halten

Bei der derzeitigen Diskussion um den Fachkräftemangel gewinnt man oft den Eindruck, dass es nur darum gehe, ein gutes Rezept anzuwenden, wie sich in der Konkurrenz am Arbeitsmarkt, am besten noch mit einer »Zauberformel«, pädagogische Fachkräfte rekrutieren lassen. Wichtiger scheint es, die Bedingungen vor Ort in den Kitas so zu gestalten, dass pädagogische Fachkräfte gerne zur Arbeit kommen und mit Freude von ihrer Arbeit berichten. Dazu können Leitung und Träger, aber auch andere Akteure im Feld der Kindertagesbetreuung einiges beitragen.

Mit Strategie Personal halten

Mit Strategie Personal halten

Ratgeber und Fachkräftegewinnungsstrategien suggerieren, dass vor allem die Gewinnung von neuem Personal erforderlich ist, um Menschen für die Arbeit mit Kindern zu begeistern und dass dies hilft, den Fachkräftemangel zu beseitigen. Dabei wird, nicht immer, aber oft, vergessen, dass die Gewinnung von Personal nicht bedeutet, eine Stellenausschreibung zu schalten, oder über die sozialen Netzwerke für eine Stelle zu werben. Personal gewinnen heißt zunächst, an vielen Stellschrauben zu arbeiten und nachhaltige Strategien zu verfolgen. Ein Blick in das aktuelle Fachkräftebarometer zeigt, dass die Rekrutierung aus der Arbeitslosigkeit und aus der Familienphase nur von geringer Bedeutung sind, auch im Vergleich zu anderen Arbeitsfeldern (vgl. Autorengruppe 2019, S. 118). Ganz prägnant sind die beiden Zahlen, die die häufigsten Gründe für die Suche nach einem neuen Arbeitsplatz angeben: 24% suchen nach besseren Arbeitsbedingungen, 21% suchen, weil eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses bevorsteht; letzteres lässt auf eine Befristung der Stelle schließen (vgl. Autorengruppe 2019, S. 119). D.h. sowohl bei den Arbeitsbedingungen als auch bei den Befristungen sind Leitungen und Träger vor Ort gefragt. Auch die Berechnungen der Prognos AG lassen vermuten, dass für die Gewinnung von Fachkräften nicht nur Werbemaßnahmen von Bedeutung sind. Weßler-Poßberg nennt die folgenden vier Potenziale, um die bis 2025 zu erwartende Fachkräftelücke von bundesweit 346.000 Fachkräften zu schließen:

  • im Rahmen der Ausbildung (Ausbildungsvergütung, Stärkung der Praxisübergänge, akademische Abschlüsse);

  • bessere Ansprache von bisher unterrepräsentierten Zielgruppen (Männer, Menschen mit Migrationshintergrund, Quereinstiege);

  • Verbesserung der Arbeitsbedingungen (Aufstockungswünsche von Teilzeitbeschäftigten berücksichtigen, Reduzierung des vorzeitigen Ausscheidens);

  • Gestaltung von Karrierechancen (vgl. Weßler-Poßberg 2019).

Die Fülle der Maßnahmen zeigt, dass alle Verantwortungsträger im Feld der frühen Bildung gefragt sind, gemeinsam an der Gewinnung, Entwicklung und Haltung von Fachkräften zu arbeiten.

Fachkräftemangel ist ein Thema, aber nicht überall gleichermaßen

Erst in den letzten Jahren ist der Fachkräftemangel zu einem beherrschenden Thema in vielen Bereichen geworden. War anfangs von Ingenieuren die Rede, sind heute auch und vor allem Berufe im Sozial- und Bildungsbereich, namentlich in Pflegeeinrichtungen, der Kindertagesbetreuung und in der Schule, von diesem Mangel betroffen. Mehr und mehr heißt es: »Wir haben keine Auswahl mehr, wir müssen nehmen, was wir bekommen«. Bei einer Erhebung von Trägern im Bundesland Brandenburg zeigte sich der Mangel an Fachkräften vor allem in Stoßzeiten und bei Leitungskräften im ländlichen Raum. Deutlich wurde dort aber auch – und das lässt sich sicher auch auf andere Bundesländer übertragen –, dass eine Personalplanung oft nur einrichtungsbezogen stattfindet, dass (dort z.B. gesetzlich mögliche) Maßnahmen zur Personalgewinnung nicht genutzt werden und es Unterschiede zwischen den einzelnen Trägern gibt, wie mit der Situation umgegangen wird. Träger, die sich mit anderen zusammentun, die langfristige Strategien fahren (sich z.B. an Ausbildungsstätten engagieren) und grundsätzlich auf Befristungen verzichteten, haben geringere Probleme bei der Personalgewinnung (vgl. Schneider 2018). Zunehmend sind soziale Netzwerke für die Rekrutierung von Personal von Bedeutung. In einem Arbeitsmarkt, der derzeit vor allem durch eine Knappheit von Beschäftigten und Arbeitskräften gekennzeichnet ist, hilft es kaum, dass alle das Gleiche tun und Jugendliche mit Geld, Laptops und Autos locken, sondern hier ist es von Bedeutung, die Besonderheiten und Vorteile der Arbeit im sozialen Feld besonders herauszustellen. Menschen sind dann motiviert, Verantwortung (in sozialen Berufen für andere Menschen) zu tragen, wenn sie sich einbringen können, Kompetenz erleben und mit anderen Menschen zusammen verbunden sind.

Gewinnungsstrategien greifen zu kurz

Auf allen Ebenen wird verschiedentlich versucht, dem Fachkräftemangel entgegenzutreten. Mehr oder weniger offen wird dann von »überzogenen Ansprüchen« geredet und auf eine Senkung der Qualität hingearbeitet (entweder durch einen geringeren Fachkraft-Kind-Schlüssel oder durch eine Aufweichung des Fachkraftbegriffes). Eine weitere Strategie besteht darin, Reserven aus allen Bereichen zu mobilisieren, sei es, dass Männer angesprochen werden, Abbrecher aus Ausbildungen oder Studiengängen, Wiedereinsteigerinnen oder Abwerbeversuche aus verwandten sozialen Berufen (Pflege) oder eine interkulturelle Öffnung unternommen werden. Schließlich werden pädagogische Ansätze verändert durch andere Betreuungsformen oder multiprofessionelle Teams. Wie oben beschrieben können dadurch nur einige Effekte erzielt werden. All diese Gewinnungsstrategien ändern wenig bis nichts an den Arbeitsbedingungen, an den Punkten, weshalb ausgebildete Personen das Arbeitsfeld verlassen, pädagogische Fachkräfte nach Familien- und Kinderzeiten nicht wiedereinsteigen oder eine Karriere anstreben, die nicht selten nur dann möglich ist, wenn nicht mehr direkt mit Kindern gearbeitet wird.

Bei aller Schwierigkeit, vorteilhaft sind Gewinnungsstrategien dann, wenn sie

  • langfristig angelegt sind,

  • über den aktuellen Bedarf hinaus auch zukünftige Bedarfe einbeziehen,

  • einrichtungs- und trägerübergreifend (z.B. in einer Kommune) unternommen werden,

  • mehrere Medien einbeziehen (auch sogenannte soziale Medien),

  • Netzwerke nutzen und aufbauen,

  • andere Partner (z.B. Ausbildungsstätten) mit im Boot sind.

Personalentwicklung heißt: an Stärken ansetzen

Wesentlich für die Qualität eines Arbeitsplatzes sind vor allem die Antworten auf die folgenden vier Fragen:

  • »Weiß ich, was von mir bei der Arbeit erwartet wird?«

  • »Habe ich die Materialien und die Ausstattung, die ich benötige, um meine Arbeit richtig zu machen?«

  • »Habe ich auf der Arbeit die Möglichkeit, jeden Tag das zu tun, was ich am besten kann?«

  • »Ist in den letzten sieben Tagen meine gute Arbeit bemerkt oder gelobt worden?« (vgl. Buckingham/Coffmann 1999).

Das meint nicht, dass ein Motivationstrainer täglich lobend durch die Kita zieht, sondern in erster Linie, dass Führung dicht an den pädagogischen Fachkräften arbeitet, dass sich Fachkräfte wohlfühlen, Zeit zum Lachen ist, Teams so zusammengestellt werden, dass sich die Personen ergänzen, dass Anreize (auch jenseits von Geld) vorhanden sind, sodass Mitarbeiter/innen gerne zur Arbeit kommen. Grundbedürfnisse von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bestehen darin, dass sie (zu Recht) von ihren Führungskräften Vertrauen, Mitgefühl, Stabilität und Hoffnung erwarten (vgl. Rath/Conchie 2018, S. 74). Wenn das Gegenteil der Fall ist, wenn Misstrauen, Distanz und Arroganz, ständige Veränderungen und Verzweiflung das Tagesgeschäft in der Kindertagesbetreuung bestimmen, dann liegt vieles an der mangelnden Führung und zumindest die fitten Mitarbeiterinnen verlassen sehr schnell den Arbeitsplatz, zumal in Zeiten des Fachkräftemangels an anderen Stellen bessere Arbeitsbedingungen zu erwarten sind. Dass eine durch schlechte Führung verursachte Personalfluktuation wesentlich teurer ist als das Halten von Personal dürfte auf der Hand liegen: Zu den Gewinnungskosten kommen Einarbeitungskosten, Teams sind permanent in der »Machtkampfphase« bzw. in Aushandlungsprozessen, hinzu kommt die zusätzliche zeit- und kräfteraubende Mehrarbeit bei einer Personalunterbesetzung.

Zur Personalentwicklung gehören auch Möglichkeiten der Karriere im Feld der Kindertagesbetreuung. Bisher bedeutete Karriere nur der vertikale Aufstieg in eine Leitungsposition, zuweilen auch von Personen, die keine besonderen Leitungskompetenzen mitbringen. Hier gilt es zukünftig auch in der Einrichtung und beim Träger Möglichkeiten zu einer Binnendifferenzierung zu schaffen, ohne jedoch Fehler aus anderen Feldern zu wiederholen. Klaffen die Einkommen zu weit auseinander, ist dies ebenso schlecht für die Stimmung im Team wie das Gefühl, jahrelang in einer Karrieresackgasse zu stecken. Auch dies zeigt, dass Tarifparteien, Träger und Politik noch einiges an Hausaufgaben machen müssen. Ebenso wäre es vorteilhaft, wenn es zwischen den Bundesländern vergleichbare Standards in Aus- und Weiterbildung geben könnte, die hier »Laufbahnen« möglich machen und Um- und Aufstiege erleichtern – auch in benachbarte Arbeitsfelder in der Kinder- und Jugendhilfe, in der Pflege oder Bildung.

Entwicklungschancen in der Einrichtung und beim Träger bieten

Das neue Wort des »Employer Branding«, wie das Halten oder die Bindung von Mitarbeiterinnen auch genannt wird, scheint – zumindest nach seiner ursprünglichen Bedeutung (»in der Haut eingebranntes Zeichen«) – nicht zielführend zu sein. Daher soll hier eher von einem Halten von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die Rede sein, in dem Sinne, dass es sich dabei um eine gegenseitige Anstrengung und Bewegung handelt und nicht um ein »Fest-halten« oder eine »Käfig-Haltung«, sondern eher um ein Halten, das auf beiden Seiten mit einer Haltung in Form einer inneren Einstellung verbunden ist. »Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die aus Überzeugung für »die gute Sache« bei einem Arbeitgeber arbeiten, haben eine tief verwurzelte, emotionale Verbindung zu ihrem Beruf entwickelt, die weit über Fragen der Gehaltshöhe hinausgeht« (Heider-Winter 2014, S. 7). Diese innere, intrinsische Motivation zu halten und zu stärken, kann und sollte die Aufgabe aller Maßnahmen der Mitarbeiterbindung und -haltung sein. Oft sind es die kleinen Dinge, die aber vom Träger und von der Leitung initiiert und gestaltet werden können, die von großer Bedeutung sind:

  • Mitarbeitergespräche an einem Ort und in der Atmosphäre der Wahl der Mitarbeiterin,

  • gemeinsame Teamaktivitäten,

  • Schallschutz und gute Belüftung am Arbeitsplatz,

  • altersgerechtes Mobiliar,

  • herausfordernde Zukunftsaufgaben in der Kita zusammen mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern angehen,

  • auch Personen, die den Arbeitsplatz verlassen, nach ihren Erfahrungen befragen,

  • aufmerksam sein gegenüber Entwicklungen und Stimmungen im Team,

  • Perspektiven in der Einrichtung und darüber hinaus schaffen,

  • Räume in der Kita, die ja auch Arbeitsräume sind, ansprechend gestalten,

  • Rückzugsmöglichkeiten in der Kita für Kinder und für pädagogische Fachkräfte schaffen,

  • Mitarbeiter/innen als Ressource auch für Fortbildungen nutzen und damit fördern,

  • auf das Bild nach außen achten: Wenn Kitas wichtig sind, muss sich dies auch in den Kontakten des Trägers, in der Öffentlichkeit und im Erscheinungsbild zeigen.

Fazit

Die Gewinnung, die Entwicklung und das Halten von Personal gehören zusammen und bedürfen langfristiger Strategien in der Einrichtung und beim Träger bzw. im Verbund verschiedener Träger. Letztlich kann die Überwindung des Fachkräftemangels nur gelingen, wenn alle Akteure im Feld der Kindertagesbetreuung zusammenarbeiten. Wenn pädagogische Fachkräfte mit Freude von ihrer Arbeit berichten, werden andere neugierig und interessieren sich für die Arbeit in der Kita. Selbst wenn es zum Stellenwechsel kommt, kann dies unter Karrieregesichtspunkten für die einzelne Person wie auch aus Imagegründen für die Einrichtung förderlich sein und Signalwirkung zeigen: »Bei uns bzw. mit uns kann man weiterkommen«.

Literatur

Autorengruppe Fachkräftebarometer (2019): Fachkräftebarometer Frühe Bildung 2019 München: Deutsches Jugendinstitut.

Buckingham, M./Coffmann, C. (1999): First, break all the rules. New York: Simon & Schuster.

Heider-Winter, C. (2014): Employer Branding in der Sozialwirtschaft. Wiesbaden: Springer Gabler.

Rath, T./Conchie, B. (2018): Führungsstärke. München: Redline Verlag.

Schneider, A. (2018): Träger und Personalrekrutierung. Kindertagesbetreuung in Brandenburg. Koblenz: Institut für Bildung, Erziehung und Betreuung in der Kindheit | Rheinland-Pfalz (IBEB).

Weßler-Poßberg, D. (2019): Fachkräfte für die Frühe Bildung. Bedarfe und Potenziale. [Vortrag am 26. Oktober 2019 in Wiesbaden].