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Was ist Qualität in der Kita?

Kinder müssen wieder im Mittelpunkt der Qualitätsdiskussion stehen - Die Qualitätsperspektiven, die Qualitätsmessungen und auch die Forschung der letzten Jahre (insbesondere die Längsschnittstudien) scheinen die Perspektive des Kindes verloren zu haben. Kinder rücken an den Rand der Qualitätsdiskussion, werden verobjektiviert und vereinheitlicht, um vergleichbare möglichst internationale Standards zu erhalten. Die Perspektive des Kindes geht dabei verloren, muss jedoch wieder zentraler Ausgangs- und Zielpunkt jeglicher Qualitätsdiskussion werden.

 

Was ist gute Qualität in der Kita?

© Serhiy Kobyakov

Auftrag einer Kindertageseinrichtung ausgehend vom gesellschaftlichen Auftrag gem. § 1 Abs. 3 SGB VIII ist die Förderung junger Menschen in ihren individuellen und sozialen Entwicklungen und der Beitrag Benachteiligungen zu vermeiden oder abzubauen. Die Gesellschaft stellt damit in den zentralen Focus jeglicher auch institutioneller Arbeit den „jungen Menschen“, sprich in der Kindertageseinrichtung das Kind und die Förderung seiner individuellen und sozialen Entwicklung an sich. Jegliche Qualitätsdiskussion (und deren Umsetzung, sowie Weiterentwicklung) hat sich an diesem gesellschaftlichen Auftrag nicht nur zu orientieren, sondern muss eigentlich aufzeigen, über welche Art von Qualität das Ziel bestmöglich erreicht werden kann.

Allerdings motiviert manch aktuelle Diskussion schon die Frage, ob es überhaupt noch EIN Ziel in einer Kindertageseinrichtung geben kann, oder ob wir über das SGB VIII hinaus mittlerweile weitere Ziele formulieren, die möglicherweise das gesellschaftliche Ziel entsprechend dem Sozialgesetzbuch in den Hintergrund rücken lassen? Zu Nennen sind beispielsweise die Diskussionen Vereinbarkeit von Familie und Beruf, gesellschaftliche und unternehmesbezogene Nutzenorientierung, strategische Strukturplanungen, Elternergänzung vs. Elternersatz, Social Return on Investment, Familienzentren. Dies bedeutet jedoch, dass je nach Zielfestlegung auch eine andere Art der Kindertageseinrichtung entsteht bzw. umzusetzen ist. Und damit wäre auch die Frage, was ist eigentlich DIE Qualität einer Kindertageseinrichtung unterschiedlich zu beantworten, da eine Definition von Qualität sich primär am eigentlichen Ziel der Einrichtung orientieren muss.

Der Deutsche Verein ist in seinen Empfehlungen zur Umsetzung des § 22a SGB VIII konsequent beim eigentlichen gesellschaftlichen Auftrag geblieben und hat somit das Kind und die Förderung dessen Entwicklung in den Mittelpunkt der Qualitätsdiskussion gestellt und daraus entsprechend Empfehlungen abgeleitet. Die Persönlichkeitsentwicklung eines Kindes hin zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit, welches gem. z.B. den Bildungs- und Erziehungsempfehlungen RLP jetzige und zukünftige Lebensaufgaben gelingend bewältigen kann, muss somit Ausgangspunkt auch jeglicher Qualitätsdiskussion sein.

Die Persönlichkeit eines Menschen setzt sich in den Grundzügen aus der Anlage (Gene) und der Umwelt zusammen. Die Umweltfaktoren sind im Bereich der 0 – 6-jährigen Kinder in der Regel die Eltern, die Kindertageseinrichtung und das soziale Umfeld. Eingebettet ist das Gesamtsystem in gesellschaftliche Vorstellungen, Norme, Werte und Kultur.

Wie aber hängen nun die einzelnen Faktoren der Persönlichkeit zusammen? Wie wirken diese aufeinander? Und welche Konsequenzen im Hinblick auf die Qualitätsdiskussion können daraus abgeleitet werden?

Die Frage des Einflusses, des Gewichtes von Anlage und Umwelt auf die Persönlichkeit eines Kindes ist bis heute nicht eindeutig geklärt. Beide Faktoren wirken interaktiv zusammen. „Deshalb ist die Frage nach Gewichten in etwa so unsinnig, wie es unsinnig wäre zu fragen, ob die Länge oder die Breite mehr zur Fläche beitragen.“ (Schneider, Lindenberger, Entwicklungspsychologie, 2014, 42) Je nach Lebensalter und je nach entsprechender Umgebung ist der jeweilige Einfluss unterschiedlich. Während die Zwillingsforschung gleiche Anteile von Anlage und Umwelt postuliert, gehen Schneider und Lindenberger (2014) von einer Verlagerung der Einflussfaktoren aus: In der Kindheit spielt der Umweltfaktor eine größere Rolle, während im späteren Lebensalter die Anlage weit mehr zur Geltung kommt. Gerade in der Entwicklung von Kindern ist es deshalb besonders wichtig, diese Erkenntnisse zu reflektieren. Ist ein Kind z.B. aufgrund seiner Anlage noch nicht in der Lage feinmotorische Bewegungen zu zeigen (= Anlage), die pädagogische Fachkraft (= Umwelt) fordert dies jedoch, so kann dies Frustration beim Kind auslösen. Ist das Kind jedoch schon in der Lage feinmotorische Bewegungen umzusetzen (= Anlage), jedoch die pädagogische Fachkraft erkennt dies nicht und hält das Kind von entsprechenden Aktionen ab (= Umwelt), können Entwicklungen verzögert werden. Hier zeigt sich noch einmal deutlich, das Zusammenspiel von Anlage und Umwelt. Die pädagogischen Fachkräfte müssen insbesondere durch Beobachtung und spielerisches Ausprobieren mit den Kindern in der Lage sein, unter Beachtung der Anlage-Umwelt-Faktoren Persönlichkeitsentwicklung zu ermöglichen. Dabei ist die unterschiedliche Entwicklungszeit der Ausprägung der Anlagen zu berücksichtigen. Beispielsweise: Kinder können bis zu einem Alter von 15 Monaten in der Regel laufen. Damit wird deutlich, dass gerade in diesem Bereich ein individueller Entwicklungsbegriff einem altersbezogenen eineindeutig vorzuziehen ist. An dieser Stelle sei der Hinweis schon gegeben, wie fragwürdig oder überhaupt wie aussagekräftig altersbezogene Outcome-Messungen domainspezifischer Inhalte (z.B. Sprachfähigkeit) sind.

Während die Anlage ein vorgegebenes und nicht veränderbares Faktum darstellt, setzt sich das Kind im Alter von 0 – 6 Jahren mit der eigenen Familie, der Kindertagesbetreuung und dem Umfeld aktiv auseinander (= Umwelt). Aus aktuellen Untersuchungen (Studien: SEED, Pre-COOL, FBBE) wird deutlich, dass die unterschiedlichen Facetten alle einen Einfluss auf die Persönlichkeitsentwicklung der Kinder haben. Die Art und Mächtigkeit des Einflusses hängt von der jeweiligen Bedeutung der Situation und der Beziehungs- und Bindungswirklichkeit ab. Ereignisse, die für das Kind bedeutsam sind, tragen ebenso zur Persönlichkeitsentwicklung bei, wie aus bedeutsamen Beziehungen zu Menschen hervorgehende Erkenntnisse. Dabei sind die Eltern als erste Beziehungswirklichkeit gerade in diesem Altersbereich für das Kind von höchster Bedeutung. Forscher sprechen vom 3 – 5-fachen Einfluss der Eltern auf die Persönlichkeitsentwicklung im Vergleich zu anderen Systemen (Kindertagesbetreuung, Umfeld).

Aus sicherer Bindung heraus erkundet das Kind seine Umwelt. Eigenes Interesse und Motivation sind neben der sicheren Bindung Bedingungen, die dazu führen, dass Kinder „etwas“ in ihr eigenes Persönlichkeitskonzept aufnehmen. Jeder Teilbereich (Eltern, Kita, Umfeld) trägt so in unterschiedlicher Weise zur Persönlichkeitsentwicklung bei, jedoch kann sich auch gegenseitig beeinflussen bzw. blockieren. Dies gilt insbesondere im Bereich von Normen, Werten und kulturellen Vorstellungen, aber auch in anderen Bildungsthemen. Sind beispielsweise die Systeme Eltern und Kindertageseinrichtungen aus der Sicht des Kindes miteinander in Einklang zu bringen, so entstehen in Kindern kaum Unsicherheiten und Dissonanzen. Kinder sind so besser in der Lage, ihre eigene Persönlichkeit zu finden. Gelingt dies nicht oder nur bedingt, so führt dies zu Unsicherheit und möglicherweise Entwicklungsverzögerungen.

 

Dies sei nur eines der Beispiele für die Komplexität der Persönlichkeitsentwicklung eines Kindes. Oder anders ausgedrückt, die Persönlichkeitsentwicklung ist nicht monokausal erklärbar, sondern nur im System schlecht hin. Die Qualität und damit die Qualitätsdiskussion – wenn sie kindorientiert sein will – kann nur unter Beachtung des Systems und seiner Wirkfaktoren beantwortet werden. Die Komplexität zeigt sich darin, dass zwar die Einflussfaktoren bekannt sind, jedoch wenig die unterschiedlichen Wirkungen aufeinander. Also die Frage der Verstärkung, der Auslöschung oder Minderung im Zusammenspiel der Faktoren Eltern, Kita, Umwelt resp. Anlagen. So ist es durchaus denkbar, dass eine noch so gute Qualität einer Kita nur begrenzt Wirkung im Bereich der Sprachentwicklung beim einzelnen Kind entfalten kann, wenn das Kind selbst als bedeutungsvollen und beziehungswirkmächtigen Faktor die Freundschaft zu einem Spielkammeraden außerhalb der Familie und der Kita ansieht und somit ein Großteil der Sprachentwicklung über den Spielkammeraden motiviert ist.

Da die Wirkmechanismen kindlicher Persönlichkeitsentwicklung zwar bekannt, deren Wirkmächtigkeit und Interdependenzen jedoch je nach Kind und Situation äußerst unterschiedlich sein können, stellt sich die Frage, welche Art der Qualität kann und muss eine Kindertageseinrichtung aufzeigen, damit die Wahrscheinlichkeit erhöht wird, dass die Persönlichkeit der Kinder gefördert werden kann oder anders formuliert, dass die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass Kinder in der Kindertageseinrichtung ihre eigene Persönlichkeit entwickeln können.

Die Qualität einer Kindertageseinrichtung ist auch hier multiperspektivisch und multikausal anzulegen. In einer sehr vereinfachten Weise spielen die menschlichen Faktoren Eltern, Personal, Leitung und Träger, Kinder ebenso eine Rolle, wie die organisatorischen Faktoren Management, Prozesse, Strukturen, Einbindung in das gesellschaftliche System. Auch hierbei wird schnell die Komplexität deutlich, wenn man Aussagen über Wirkmechanismen einer Qualität zur Förderung der Persönlichkeit treffen will.

Dies kann wiederum nur im System unter Beachtung des je einzelnen Kindes geschehen. So mag für das eine Kind die aktivierende Umgebung bedeutsam sein, für das andere die positive Beziehung zur pädagogischen Fachkraft und für ein drittes die Spielkameradin in der Einrichtung. Aktuelle Forschungen wie „Schlüssel guter Bildung Teil I und II“ zeigen wichtige Erkenntnisse über die Fragen der qualitativen Umsetzung von Bildungsplänen und deren Umgang im Team, oder beschreiben die enormen Belastungen der pädagogischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, wie die AQUA- oder STEGE-Studie bestätigen. Jedoch muss die Frage gestellt werden, ob die Wirkfaktoren, deren Interdependenzen und deren Wirkmächtigkeit auf die individuelle und gesellschaftsfähige Persönlichkeit eines Kindes damit beantwortet werden können.

Fazit

Die Qualitätsdiskussion (und deren Messinstrumente und Umsetzungsmethoden) muss stärker noch als bisher die Perspektive des Kindes und des Auftrages der Kindertageseinrichtung einnehmen. Unter diesen Bedingungen gilt es die vorhandenen Qualitätsinstrumente und Qualitätsmessverfahren neu zu analysieren, weiterzuentwickeln und Evaluationsmethoden entsprechend zu eichen. Die Qualität einer Kindertageseinrichtung entscheidet sich am und mit dem einzelnen Kind als Teil des Systems im System selbst und nicht an einzelnen herausgegriffenen singulären teilweise sogar Subthemen. Die angedachte Vermessung des Feldes durch die OECD, quasi PISA für Kitas, muss sich dieser Anforderungen stellen, wenn sie den gesellschaftlichen Auftrag berücksichtigen will.