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Wie wird Bildungsdokumentation im Kita-Alltag umgesetzt?

Ergebnisse eines Forschungsprojekts mit deutschen und neuseeländischen Fachkräften.

Bildungsdokumentation gilt als wichtig für eine qualitativ hochwertige pädagogische Arbeit – im Alltag ist sie dennoch oft schwer umzusetzen. Die Ergebnisse einer Befragung pädagogischer Fachkräfte aus Deutschland und Neuseeland zeigen: Die organisatorischen Rahmenbedingungen sind ein entscheidender Faktor für Umfang und Qualität der Bildungsdokumentation.

Um die Bildungsdokumentation in den pädagogischen Alltag zu integrieren, greifen Fachkräfte auf verschiedene Strategien zurück.

Die Betonung von Bildung als Kernaufgabe von Kindertagesbetreuung hat weltweit deutlich zugenommen. Damit einher geht eine gestiegene Bedeutung von Bildungsdokumentation für die Tätigkeit von Fachkräften in Kindertageseinrichtungen. Dokumentation steht für die Fachkräfte jedoch in Konkurrenz zu zahlreichen anderen Aufgaben. Deshalb gelingt es in vielen Einrichtungen nicht oder nur teilweise, eine systematische und umfassende Bildungsdokumentation für und mit allen Kindern zu erarbeiten. Andererseits gibt es immer wieder auch einzelne Einrichtungen, die diese Anforderung dennoch im Alltag umsetzen.

Interviews mit Fachkräften in Deutschland und Neuseeland

Die in diesem Sinne erfolgreichen Einrichtungen waren Gegenstand einer Untersuchung, bei der insgesamt 24 Fachkräfte befragt wurden, wie sie Bildungsdokumentation in ihren Alltag integrieren; davon stammten je 12 aus Deutschland und 12 aus Neuseeland. Diese beiden Länder wurden einbezogen, weil einerseits in beiden Ländern Bildungsdokumentation einen hohen Stellenwert hat. In Neuseeland wurde zudem das Konzept der Lerngeschichten entwickelt, das auch in Deutschland verbreitet ist. Andererseits sind die Rahmenbedingungen in Neuseeland in verschiedener Hinsicht günstiger als in Deutschland (z.B. in Hinblick auf Vor- und Nachbereitungszeit sowie Digitalisierung), sodass hier Impulse für die Situation in Deutschland zu erwarten sind.

Neun Praxis-Strategien

Bei der Analyse der Interviews konnten neun Strategien identifiziert werden, die die Fachkräfte nutzen, um Bildungsdokumentation umzusetzen. Diese Strategien sind zunächst einmal als Formen der Bewältigung einer anstehenden Aufgabe zu verstehen und nicht als unhinterfragtes Vorbild, dem es nachzufolgen gilt. Es handelt sich dabei um die folgenden Strategien:

Strategie 1: Mehrfachnutzung von Dokumentation

Fast alle befragten Fachkräfte berichten, dass sie eine einmal erstellte Dokumentation an mehreren Stellen nutzen. Dabei werden vor allem zwei Varianten beschrieben: Erstens werden Lerngeschichten für mehrere Kinder genutzt. Dies ist dann der Fall, wenn eine kleine Kindergruppe gemeinsam eine Aktivität durchgeführt oder ein Projekt verfolgt hat. Durch den Austausch von Namen und den Einsatz unterschiedlicher Fotos kann dieselbe Lerngeschichte durch wenige Handgriffe individualisiert und für mehrere Kinder erstellt werden. Zweitens werden Lerngeschichten an mehreren Orten eingesetzt: Zunächst werden sie kurzfristig als Wanddokumentation aufgehängt, die dann bereits im DIN-A4-Format erstellt wird. Dieses Dokument wird dann später als Lerngeschichte in den Portfolioordner des Kindes geheftet.

Strategie 2: Aufteilung der Kinder

In vielen deutschen Einrichtungen werden die Dokumentationsaufgaben im Team aufgeteilt, um zu einer gleichmäßigen Verteilung der Aufgaben unter den Kolleginnen und Kollegen zu gelangen. So beschreiben die Fachkräfte ein System, bei dem einzelne Fachkräfte für alle Belange einer kleinen Gruppe von Kindern verantwortlich sind (»Bezugserzieherin«); dazu gehört dann auch die Dokumentation für die Kinder dieser Gruppe. Im Gegensatz dazu bevorzugen es die meisten neuseeländischen Fachkräfte, gemeinsam als Team zuständig für alle Kinder zu sein. Gerade vor dem Hintergrund des weiter unten beschriebenen Austausches und dem dadurch ermöglichten Einbeziehen verschiedener Perspektiven erscheint es ihnen sinnvoll, dass alle gemeinsam auf die Kinder einer Gruppe schauen.

Strategie 3: Notizen, Standardisierung und Formalisierung

Einige der befragten Fachkräfte berichten, dass sie ein bestimmtes Verfahren entwickelt haben, mit dem sie systematisch Notizen machen, fotografieren und Dokumentationen erstellen. In einigen Einrichtungen in Deutschland wurden im Team Formulare entwickelt, die diese Systematik ermöglichen sollen. Und auch für die spätere Dokumentation – sei es als Lerngeschichte oder als Wanddokumentation – beschreiben die Befragten, dass sie Templates entwickelt haben, sodass sie Fotos und Text schnell zu einer Dokumentation zusammenfügen können und die Gestaltung nicht jedes Mal neu entwerfen müssen. Andere Fachkräfte haben sich ein individuelles System überlegt, mit dem sie die Übersicht behalten können und eventuell sogar Muster im Verhalten der Kinder besser erkennen können. Ein formelles Verfahren beschreiben einige Fachkräfte auch für die Herstellung von Portfolioeinträgen, bei denen sie denselben Eintrag für mehrere Kinder verwenden oder Textbausteine verwenden.

Strategie 4: Phasen der Beobachtung und Dokumentation

Eine weitere Möglichkeit, die Arbeit des Dokumentierens zu handhaben, liegt in der Definition bestimmter Dokumentationsphasen. So beschreiben einige der Befragten, dass sie bestimmte Zeiträume festgelegt haben, zu denen sie beobachten, Lerngeschichten schreiben und Wanddokumentationen erstellen. Das kann entweder eine Phase sein, in der alle Fachkräfte dieser Tätigkeit nachgehen, wie etwa in den »Dokumentationswochen« zum Ende des Kitajahres. Oder die Aktivitäten einzelner Kinder werden zur Vorbereitung eines Elterngesprächs gezielt beobachtet und dokumentiert, um eine Gesprächsgrundlage zu haben. Diese Strategie der Dokumentationsphasen wird ausschließlich von deutschen Fachkräften berichtet.

Strategie 5: Einander den Rücken freihalten

Angesichts des grundsätzlich von allen befragten Fachkräften empfundenen Zeitmangels beschreiben alle Untersuchungsteilnehmer/innen, dass sie sich mit ihren Kolleginnen und Kollegen absprechen, um kürzere Phasen zum Dokumentieren in den Alltag einbauen zu können. Absprachen untereinander ermöglichen so spontane Arbeitsphasen. Dabei werden Phasen ausgewählt, in denen nicht so viele Fachkräfte benötigt werden, etwa am Nachmittag, wenn weniger Kinder da sind, jüngere Kinder einen Mittagsschlaf halten oder die Kinder im Außengelände weitgehend autonom spielen. Auch hier erweist sich die Zusammenarbeit im Kollegium als wichtige Ressource.

Strategie 6: Prioritäten setzen

Die befragten Fachkräfte arbeiten alle in Einrichtungen, in denen der Dokumentation ein hoher Stellenwert beigemessen wird. Diese Priorisierung von Dokumentation gelingt vor allem deshalb, weil andere, als weniger wichtig erachtete Tätigkeiten hintangestellt oder ganz weggelassen werden. Im engeren Sinne bezieht sich das auf die Dokumentation selbst, die nicht mit ausschließlich dekorativen Elementen »aufgehübscht« wird und für die auch Arbeitszeit aufgewendet werden muss. Diese Reduktion wird aber nicht nur als das Weglassen von etwas verstanden, sondern eher als eine Konzentration auf das Wesentliche. Jedoch nicht nur beim Dokumentieren selbst werden Prioritäten gesetzt, sondern auch was die Tätigkeiten in der Einrichtung betrifft. Konkret bedeutet das, dass bestimmte Aktivitäten, die zuvor eine Rolle gespielt haben, einfach nicht mehr stattfinden: Das Basteln von Muttertagsgeschenken oder von Laternen für einen Umzug entfällt beispielsweise.

Strategie 7: Parallelisieren mit Kinderbetreuung

Neben dem Dokumentieren als zurückgezogene, ruhige Tätigkeit beschreiben alle Befragten aber auch, dass sie parallel mit den Kindern zusammen sind und dokumentieren. Wie auch der Austausch über Beobachtungen und Dokumentationen teilweise in Anwesenheit von Kindern stattfindet (siehe unten), arbeiten die Fachkräfte auch während der Betreuungszeit an der Dokumentation. Dies wird zum Teil auch gemeinsam mit den Kindern getan, sodass sich Anlässe für Partizipation von Kindern ergeben. Jedoch beschreiben die Befragten unterschiedliche Fähigkeiten und Bedürfnisse der Fachkräfte: So fällt es einigen leicht, auch umgeben von Kindern zu dokumentieren, andere benötigen einen Rückzugsort oder sind in Tätigkeiten involviert, bei denen eine Parallelisierung nicht möglich ist. Als Voraussetzung für das Dokumentieren während der Betreuungszeit beschreiben die Befragten zudem die Verfügbarkeit eines Computers. Die Parallelisierung ist also eine mögliche Strategie, ist jedoch nicht für jeden und nicht zu jeder Zeit möglich.

Strategie 8: Digitalisierung

Durchgängig spielen digitale Werkzeuge bei der Dokumentation eine wichtige Rolle und sind ein entscheidendes Medium der Dokumentation. Dies bezieht sich erstens auf die ganz praktische Ebene der Ausstattung und insbesondere der Verfügbarkeit von Computern in ausreichender Zahl. Gerade die deutschen Befragten thematisieren auch die Möglichkeit, Fotos bzw. Lerngeschichten mit Fotos auszudrucken: Aufgrund der höheren Kosten (im Vergleich zu Abzügen, die im Drogeriemarkt bestellt werden) ist dies oft nicht möglich. Neben der Ebene der Hardware wird aber auch der Einsatz geeigneter Software von den neuseeländischen Befragten als eine wichtige Strategie beschrieben, um zu dokumentieren.

Strategie 9: Austausch im Kollegium

Die Besprechung des Tagesgeschehens mit den Kolleginnen und Kollegen wird von allen Befragten als wichtiger Bestandteil der Arbeit an Dokumentationen beschrieben. Dabei können zwei Hauptmotive unterschieden werden: Erstens geht es darum, sich gegenseitig auf den aktuellen Stand zu bringen und sich gegenseitig über wichtige Ereignisse zu informieren. Zweitens dient der Austausch aber auch dazu, die Aussagekraft und Differenziertheit von Dokumentationen zu erhöhen, da unterschiedliche Perspektiven einfließen können.

Fazit

Insgesamt verdeutlicht die Untersuchung den starken Einfluss der organisatorischen Rahmenbedingungen auf das pädagogische Handeln. Das Vorhandensein bzw. die Abwesenheit bestimmter Ressourcen (Zeit, Austauschmöglichkeit, Computer, Drucker, Dokumentationssoftware, digitale Plattformen) bestimmt, welche Strategien angewandt werden bzw. überhaupt angewandt werden können. So ist es für die Fachkräfte aus Deutschland deutlich schwieriger, genügend Zeit für das Dokumentieren einzurichten, weshalb sie schwerpunktmäßig Strategien entwickelt haben, um Zeit zum Dokumentieren zu haben. Dieses Bemühen um Zeitfenster nimmt einen Großteil der Energie für das Dokumentieren in Anspruch, sodass beispielsweise für eine Vertiefung der Aussagekraft und Wirkung von Dokumentation durch den internen Austausch und eine adressatengerechte Interaktion mit Eltern darüber hinaus kaum noch Ressourcen zur Verfügung stehen. Pädagogische Qualität, so zeigt sich hier, wird in hohem Maße von den Strukturen und dem Input geprägt.

Hinweis

Eine detaillierte (englischsprachige) Darstellung der Ergebnisse kann hier eingesehen werden:

Knauf, H. (2019): Documentation Strategies: Pedagogical Documentation from the Perspective of Early Childhood Teachers in New Zealand and Germany. Early Childhood Education Journal. DOI 10.1007/s10643-019-00979-9. URL: https://rdcu.be/bQ4ht