Bei genauerem Hinschauen erkennen wir ihn in unserem Sprachgebrauch, in Liedern und Reimen, Spielen, Bildern und Büchern. Aber auch in Abläufen, Regeln und unhinterfragten Normvorstellungen liegt er verborgen, prägt die Bilder in unseren Köpfen und entscheidet letztendlich, wie wir über andere denken und reden und wie – und ob überhaupt – wir in Beziehung treten. Unhinterfragt schleppt er sich von Generation zu Generation und bleibt aufrechterhalten – es sei denn, wir ändern etwas, weil wir hinschauen. Und das ist gar nicht so schwer.
Was ist eigentlich Rassismus und woher kommt diese Denke?
Der Glaube an eine zivilisatorische und moralische Überlegenheit der »weißen Rasse« lässt sich bis ins Mittelalter zurückverfolgen. Einzelne sozio-historische Ereignisse in Europa, wie z.B. 1492 die Vertreibung und Zwangsbekehrung islamischer Mauren in Spanien, der Erfindung der jüdischen Rasse und dem Glauben an die »Reinheit des Blutes« prägten dessen Anfänge.1 Das willkürliche Einteilen in Gruppen nach nicht sichtbar definierten Merkmalen, wie Herkunft und Abstammung, systematisierte sich. Im sogenannten Dreiecks-Sklavenhandel zwischen Europa, Afrika und Amerika wurden bis ins 19. Jahrhundert schätzungsweise 11–15 Millionen Menschen zwangsdeportiert. Doch die Massenversklavung, und die damit verbundene Vernichtung von Völkern suchte sich erst im Nachhinein ihre Rechtfertigung. So wurden »Naturordnungsmodelle« erfunden, die Überlegenheitskonzepte erklärten, derer sich die Verdrängungs- und Kolonialisierungspolitik, wie auch der Nationalsozialismus und die Apartheitspolitik bedienten.
»Rassismus ist ein Prozess und eine gesellschaftliche Praxis, in dem Menschen aufgrund ihrer tatsächlichen oder ihnen zugeschriebenen körperlichen und/oder kulturellen Merkmale (z.B. Hautfarbe, kultureller Herkunft, Migrationsschichte, Sprache) als soziale Gruppe und als die Anderen (Othering) konstruiert, negativ bewertet, und strukturell diskriminiert werden.« (Institut Social Justice und Diversity 2012)2
Dass die Einteilung von Menschen in Rassen keinen Sinn ergibt, ist wissenschaftlich belegt. Darauf einigten sich 1995 Anthropologen und Anthropologinnen, Humangenetiker/innen und Biologen und Biologinnen. Unterschiede in der äußeren Erscheinung (Hautfarbe, Morphologie des Körpers und des Gesichts und Pigmentierung usw.) ließen sich zwar erkennen, doch unsere Genetik sei zu wenig unterschiedlich, als dass sich die menschliche Vielfalt in Rassen kategorisieren ließe.3
»Alle Menschen gehören einer einzigen Art an und stammen von gemeinsamen Vorfahren ab. Sie sind gleich an Würde und Rechten geboren und bilden gemeinsam die Menschheit.« (Generalkonferenz der UNESCO, 1978).
Mit dieser Erkenntnis schwand jedoch keineswegs das Gefühl und die Haltung der Überlegenheit mancher über andere. Genozide und Völkermorde, auch unter dem Namen der »ethnischen Säuberung« bekannt, liegen nicht allzu fern zurück. Heute zeigt sie sich immer wieder in antisemitischer und islamfeindlicher Stimmungsmache und Übergriffen, bzw. direkten Anfeindungen.
Wo versteckt sich Rassismus im Kita-Alltag?
Die Kita, als kleiner Ausschnitt der Gesellschaft, ist leider auch nicht frei von rassistischen Denk- und Handlungsmustern, auch wenn subtiler (indirekter) und meist unbewusst. Noch zu viele Kinderbücher, die vermeintliches Wissen über die menschliche Vielfalt darstellen möchten, reproduzieren stereotype Bilder von Menschen und zeichnen ein einfaches, traditionelles Bild von Gruppen von Menschen, während das eigene Volk als fortschrittlich und modern dargestellt wird. »Unsere Welt. Das pfiffige Wissensspiel« von Ravensburger enthält Bildkärtchen, denen Erklärungen zugeordnet werden: z.B. »Wüsten- und Steppenlandschaft. In der kargen Steppe Afrikas ernähren sich die Menschen hauptsächlich von der Jagd.« Ein dementsprechendes Bild von einem Mann im Lendenschurz und einem Speer in der Hand ist auf den Kärtchen abgebildet, wie auch ein über Pfähle gespanntes Tuch, was eine Behausung darstellen soll. Während die »Mitteleuropäische Landschaft«, wie folgt beschrieben wird: »Europäische Menschen sehen sehr unterschiedlich aus. Europäer leben in Ein- oder Mehrfamilienhäusern, die regional sehr verschieden sind.« Man sieht eine Frau in Kostüm mit einer Aktentasche in der Hand. Sie steht vor einem großen Einfamilienhaus. Also Vorsicht! Hier werden rassistische Stereotype reproduziert.
Oder folgendes Beispiel: Auf einer Weltkarte steht in jedem Land ein Kind. In Russland eine Ballett-Tänzerin, in Namibia ein Kind in Bastrock. Hilfreiche Fragen, die sich Kitas bei der Auswahl von Büchern, Weltkarten, Bildern, Liedern und Reimen über unsere Welt stellen können, sind: Werden Menschen eines Landes in ihrer Vielfalt dargestellt? Oder werden Bilder von Menschen gezeigt, die jeweils ein ganzes Land (oder wie im Wissensspiel sogar einen ganzen Kontinent) repräsentieren sollen? Wie ist das möglich? Wie sieht dieser eine Deutsche Mensch aus, der für Deutschland steht? Rassistische Stereotype verfestigen ein unwahres Bild in den Köpfen von Kindern. Im Alter von 4 bis 6 Jahren sind diese sehr anfällig für Vorurteile, da sie auf der Suche nach Erklärungsmustern sind.4 Auffällig oft wird »Afrika« als Synonym für ein Land verwendet, ein Kontinent, der 30.244.049 km2 groß ist und auf dem ca. 1.216 Milliarden wohnen. Oder ein Kind mit dunkler Hautfarbe wird automatisch auf diesen Kontinent verortet, obwohl es in Berlin geboren wurde. Es fehlt die Differenzierung. Die Bilder, die vermittelt werden, sind zu einfach.
Ausgrenzung und »Anderssein« aufgrund von vermeintlicher Herkunft wird auch aufrechtgehalten, mit der Art, wie wir übereinander sprechen. Deutlich wird das mit der Einteilung in »wir« und »die«. Einige Kita-Teams fällt es nicht auf, dass sie von »unseren Kindern« und den »ausländischen Kindern« sprechen. So wird eine unsichtbare Linie gezogen, die Trennung schafft. Diese teilt ein in »mir bekannt« und mir »fremd«. Welche Auswirkungen hat das auf die Beziehung, die ich mit einem Kind eingehe? Außerdem, weiß ich denn wirklich alles über Liza und ihre Familie? Oder habe ich vielleicht mit Alis Familie doch mehr gemeinsam als ich annehme? Gebe ich der Begegnung überhaupt eine Chance, oder verurteile ich vielleicht vorschnell? Welcher Beziehung gebe ich unbewusst Vertrauensvorschüsse?
Rassistisch ist es auch, wenn ich mir als Erzieher/in oder als Eltern den/der Freund/in meines Kindes keine Mühe gebe, den Namen des Kindes richtig auszusprechen, nur weil es mir schwerfällt, oder der Name in meinen Ohren ungewohnt klingt. Kurze Frage: Um wessen Ohren sollte es gehen? Das erste Recht der UN Kinderrechtskonvention ist, sein Recht auf einen Namen5 und spielt demnach in seiner Identitätsentwicklung eine wesentliche Rolle. Hätten wir sonst eine »Klaudia mit K«? Spannend ist noch die Frage: Wem gestehen wir dieses Recht zu? Wem sprechen wir es ab?
Offensichtlicher ist es, wenn Erzieher/innen ein Kind »scherzhaft« »Reiswaffel« nennen, und damit Tim meinen, der einen deutschen Pass hat und Eltern mit einem vietnamesischen Migrationshintergrund. Es ist nicht leicht, Kollegen und Kolleginnen damit zu konfrontieren, dass das nicht in Ordnung ist. Aber auch hier stellt sich wieder die Frage: Um wen sollte es hier gehen? Wer braucht gerade mein Mitgefühl und meinen Schutz?
Es ist offensichtlich, dass das N-Wortes nicht mehr verwendet wird,6 doch woher kommt die Empörung, wenn darum gebeten wird, bei Festen und Feiern, auf die alte Bezeichnung von Schaumküssen zu verzichten? Oft heißt es dann, »aber das ist doch gar nicht schlimm«. Auch darin zeigt sich ein versteckter »weißer Überlegenheitsanspruch«: In dem Anspruch jemanden die Verletztheit abzusprechen. »Man solle sich da doch nichts draus machen, andere täten das auch nicht«. Doch wer darf das entscheiden? Die Antwort ist eigentlich klar.7
Tipps, wie Sie Kinder vor Ausgrenzung und Diskriminierung schützen können
- Grenzen setzen und sofort eingreifen: Regel deutlich machen, dass Identität kein Grund für Hänselei oder Ausgrenzung sein darf.
- Das diskriminierte Kind trösten: »Das war unfair von Jona zu sagen, dass du nicht mitspielen darfst, weil du eine braune Hautfarbe hast.«
- Unterstützen: Helfen Sie dem Kind seine Gefühle gegenüber dem anderem Kind auszudrücken, damit es in die Handlung kommt und weg von der Opfer-Rolle.
- Den wirklichen Grund für den Konflikt feststellen: Wenn Vorurteile wiederholt Grund für Ausgrenzung sind.
- Unterstützung anbieten: »Da entgeht Jona eine gute Freundin – komm wir suchen jemand anderen, der mit dir spielt!«
- Um Kind kümmern, das ausgrenzt: Benennen Sie das konkrete Verhalten, das nicht in Ordnung ist und finden Sie heraus, welche Vorurteile und Gedanken bestehen – diese können gut als Gespräch (mit allen Kindern) aufgegriffen werden, ohne das betroffene Kind zu exponieren.
Was tun? Rolle und Verantwortung pädagogischer Fachkräfte
Da Erzieher/innen Schlüsselpersonen sind, fällt ihnen i.B.a. den Umgang mit Rassismus eine besondere Verantwortung zu. Vor allem im Aufklären und »Richtigstellen« von Zusammenhängen: z. B. wenn die 4-jährige Marie fragt, warum Liza eine dunkle Hautfarbe hat. Fragen Sie sich, was ist die wahrhaftigste Antwort? Weil Menschen ganz unterschiedlich aussehen. Eine weitere wichtige Rolle ist der Schutz vor Ausgrenzung und Diskriminierung. Auf der nächsten Seite finde Sie einige Tipps, was Sie als Fachkraft tun können.
Fazit
Um also eine jahrhundertlange Praxis abzuschütteln, die Menschen auf Grund ihrer Herkunft, Hautfarbe, Sprache oder Religion kategorisierte, und das, für die Rechtfertigung der eigenen Privilegien, die andere dadurch benachteiligte, ausgrenzte und schlechter behandelte, braucht es einen bewussten Umgang mit Rassismus. Ein Hinschauen ist notwendig. Es braucht den Mut, sich selbst, Strukturen und Praktiken, wie auch den Sprachgebrauch zu reflektieren, damit wir sie nicht unbewusst aufrechterhalten und weitertragen. Es braucht die Bereitschaft, Fragen zu stellen, auf die es nicht immer sofort eine Antwort gibt. Wichtig ist es Räume zu schaffen, in denen ein beständiger Austausch darüber stattfinden kann. So kommen wir alle einen Schritt weiter, hin zu einem gesellschaftlichen Miteinander, das immer mehr auf sozialer Gerechtigkeit basiert. Ein Miteinander, dass jedem Kind vermittelt, dass es wichtig ist und dazugehört. Kinder brauchen die Botschaft »Mit mir stimmt alles.«, »Ich bin gut, so wie ich bin.« »Ich gehöre dazu.«. Wir nennen es auch Teilhabegerechtigkeit.
Literaturtipps
www.bpb.de/mediathek/178985/die-entstehung-des-rassismus
Geulen, Christian, Geschichte des Rassismus. München: 2007 (C.H. Beck Verlag).
Eske Wollrad: Das Gift der frühen Jahre. Rassismus und Weiße Dominanz in Kinderbüchern. 2012 (Unrast Verlag).
Susan Arndt, Antje Hornscheidt (Hg.): Afrika und die deutsche Sprache. Münster 2009 (UNRAST Verlag).
www.derbraunemob.de
Rachel Isadora: At the crossroads. 1994 (Greenwillow Books).
Saraswati Nandini Majumdar: Satayas Boat (Tulika Books).
Natasha Anastasia Tarpley: I Love my Hair. New York 2001 (LB Verlag).
Bob Graham: Ein Hoch auf Oskar. 2006 (Carlson Verlag).
Fußnoten
1 Vgl. Geulen, Christian: Geschichte des Rassismus. München: 2007 (C.H. Beck Verlag), S. 38 f. und projektseminar-rassismus.uni-siegen.de/html/geschichte_des_rassismus.html.
2 Vgl. Leah Carola Czollek, Gudrun Perko, Heike Weinbach: Praxisbuch Social Justice und Diversity. Theorien, Training, Methoden, Übungen. München/Weinheim 2012 (Juventa/ Beltz Verlag).
3 Siehe Stellungnahme der UNESCO Konferenz 1995, zit. in Liebscher und Fritzsche: Antidiskriminierungspädagogik. 2010 (VS Verlag), Arbeitsblatt 6.
4 Vgl. Liebscher, Doris und Fritzsche, Heike: Antidiskriminierungspädagogik. 2010 (VS Verlag).
5 Art. 7 Abs. 1 UN Kinderrechtskonvention.
6 Siehe Susan Arndt, Antje Hornscheidt (Hg.): Afrika und die deutsche Sprache. Münster 2009 (UNRAST Verlag).
7 Weitere Infos dazu, was geht und was nicht, ist auf der Internet-Seite »der braune mob e.V.« aufgeführt – die erste Schwarze-media-watch- Organisation Deutschlands.