Um die Bedeutung von Beobachtung und Dokumentation im Kinderschutz innerhalb der Kindertagesstätte aufzuzeigen, wird im Folgenden zuerst der jeweilige rechtliche Auftrag, welcher sich aus den beiden genannten Paragrafen ergibt, skizziert.
Der § 8a SGB VIII in der Kindertagesstätte
Erzieher*innen sind durch den § 8a SGB VIII dazu verpflichtet, den Schutzauftrag in Kindertagesstätten umzusetzen. Der § 8a lässt sich für die Praxis grob in die folgenden vier Schritte unterteilen:
- Kindeswohlgefährdung wahrnehmen
Die Anzeichen der Kindeswohlgefährdung werden von den Fachkräften beobachtet und dokumentiert, auf dieser Grundlage wird (mit Hilfe eines Gefährdungseinschätzungsbogens) eine Fallbesprechung innerhalb des Kitateams durchgeführt.
- Gespräch mit der insoweit erfahrenen Fachkraft
Erhärtet sich der Verdacht einer Kindeswohlgefährdung innerhalb der ersten Fallbesprechung im Team, wird eine insoweit erfahrene Fachkraft zur Einschätzung des Gefährdungsrisikos hinzugezogen. Die Fallverantwortung liegt weiterhin bei der Kita, der Fall wird durch die zuständigen Erzieher*innen nur anonymisiert vorgestellt und besprochen.
- Gespräch mit den Eltern
Im Gespräch mit den Sorgeberechtigten arbeiten die Erzieher*innen auf die Inanspruchnahme notwendiger Hilfen hin, um die Kindeswohlgefährdung abzuwenden.
- Meldung an das Jugendamt
Falls die Eltern nicht gewillt oder nicht fähig sind, die Kindeswohlgefährdung abzuwenden, ist die Kindertagesstätte dazu verpflichtet, den Fall dem zuständigen Jugendamt zu melden.
Auf den ersten Blick wirken diese vier Schritte eher basal – hinter jedem einzelnen Schritt steckt jedoch eine Fülle an Fachwissen und Kompetenzen, welche die Fachkräfte mitbringen müssen. Fundamental ist dabei vor allem eine sorgfältige Beobachtung und Dokumentation, welche die Grundlage für alle weiteren Schritte im Kinderschutz darstellt und sich wie ein roter Faden durch den kompletten Kinderschutzprozess ziehen muss.
Eine professionelle Beobachtung setzt zuallererst die innere Haltung der Fachkräfte voraus, dass auch innerhalb der eigenen Kindertagesstätte Fälle von Kindeswohlgefährdung auftreten, unabhängig davon, wie »klein und idyllisch« das Einzugsgebiet auch erscheinen mag. Wenn Fachkräfte diese schmerzhafte Wahrheit nicht anerkennen, werden sie weder gefährdete Kinder wahrnehmen noch wichtige Beobachtungen dokumentieren können (Beckmann 2016).
Der § 47 SGB VIII in der Kindertagesstätte
Gemäß § 47 Nr. 2 SGB VIII muss der Träger einer Kindertagesstätte »Ereignisse oder Entwicklungen die geeignet sind, das Wohl der Kinder und Jugendlichen zu beeinträchtigen« an das zuständige Landesjugendamt melden. Als eben solche Ereignisse und Entwicklungen gelten das Fehlverhalten von Mitarbeiter*innen, Straftaten bzw. Strafverfolgung von Mitarbeiter*innen, Gefährdungen und Schädigungen durch zu betreuende Kinder, katastrophenähnliche Ereignisse, besonders schwere Unfälle von Kindern, Beschwerdevorgänge über die Einrichtung (oder einzelne Mitarbeiter*innen), sowie Vorgänge, welche die Arbeitsfähigkeit des Teams in Frage stellen. Wird eine notwendige Meldung nach § 47 SGB VIII nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig vorgenommen, ist dies ordnungswidrig und bußgeldbewehrt (BAG Landesjugenämter 2013). Erzieher*innen müssen mögliches Fehlverhalten innerhalb des pädagogischen Teams beobachten, ansprechen und der Kitaleitung melden, damit diese weitere Schritte einleiten kann. Am weiteren Prozess sind – je nach individuellem Fall – auch einzelne Eltern (der betroffenen Kinder), der Elternbeirat, der Träger, das zuständige Jugendamt und das Landesjugendamt beteiligt. Beobachten Erzieher*innen Fehlverhalten durch die Leitung selbst, ist der Träger zu informieren.
§ 8a SGB VIII oder § 47 SGB VIII?
Der Unterschied zwischen Meldungen nach § 8a SGB VIII und § 47 SGB VIII lässt sich wie folgt skizzieren: Kindeswohlgefährdungen innerhalb der Kindertagesstätte müssen nach § 47 SGB VIII gemeldet werden. Kindeswohlgefährdungen die ihren Ursprung außerhalb der Kindertagesstätte haben und sich in der Kindertagesstätte zeigen, müssen nach § 8a SGB VIII gemeldet werden. Die notwendigen Handlungsschritte nach § 8a SGB VIII und § 47 SGB VIII unterscheiden sich demnach voneinander, die signifikante Gemeinsamkeit liegt jedoch in der jeweils notwendigen Beobachtung und Dokumentation.
Was und warum müssen Erzieher*innen beobachten?
Beobachtungen sind – auch unabhängig vom Thema Kinderschutz – die Grundlage der pädagogischen Arbeit innerhalb der Kindertagesstätte. Nur durch Beobachtungen können die Entwicklung, die Bedürfnisse, die Interessen sowie die Bildungsthemen eines Kindes angemessen wahrgenommen und begleitet werden. Um dies in der Praxis umzusetzen, werden häufig verschiedene Methoden und Instrumente benutzt, wie z.B. die Bildungs- und Lerngeschichten oder die Kuno Beller Entwicklungstabelle.
Die im Kinderschutz notwendigen Beobachtungen passen jedoch kaum in vorgefertigte Beobachtungsbögen. Vielmehr gilt es für die Erzieher*innen an dieser Stelle Fachwissen über Kindeswohlgefährdung zu besitzen, um dieses Wissen in Gelegenheitsbeobachtungen abrufen zu können. Dazu gehören unter anderem die vielfältigen Hinweise auf Versorgungsdefizite, die unterschiedlichen Merkmale von Sturz- und Misshandlungsverletzungen, sowie Anzeichen sexueller Gewalt und damit verbundene Strategien von Täter*innen.
Auch präventiv sollten die Fachkräfte die elterlichen Risikofaktoren, die auf das Kind bezogenen Risikofaktoren sowie psychosoziale Risikofaktoren kennen, um eine Veränderung dieser im Alltag der Familien aufmerksam wahrzunehmen. Gelegenheitsbeobachtungen, welche bei den Fachkräften ein ungutes Bauchgefühl hinterlassen, sollten zu weiteren Beobachtungssituationen führen, in welchen die Aufmerksamkeit auf einzelne Teilbereiche gelenkt wird. Zeigt das Kind einzelne Verhaltensauffälligkeiten nur an bestimmten Wochentagen oder nur im Kontakt mit einzelnen Personen? Wie häufig und an welchen Körperstellen sind Verletzungen ersichtlich? Gibt es für diese Verletzungen eine glaubhafte Erklärung?
Wie und warum muss eine Dokumentation angefertigt werden?
Dokumentationen sind verschriftlichte Beobachtungen. Durch diese werden alle wahrgenommenen Anzeichen einer Kindeswohlgefährdung festgehalten und strukturiert. Nur durch Dokumentationen werden die vorherigen Beobachtungen im Kinderschutz verwertbar. Dokumentationen sind die notwendige Grundlage für eine professionelle Fallbesprechung im Team, für die gemeinsame Gefährdungseinschätzung mit einer insoweit erfahrenen Fachkraft, für das Gespräch mit den Sorgeberechtigten sowie für die schriftliche Meldung an das zuständige Jugendamt. Auch wenn Pädagog*innen in Kindertagesstätten eine ausführliche Dokumentation häufig als zusätzliche Belastung im eng getakteten Kitaalltag erleben, soll an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass eine Dokumentation im Einzelfall einem möglichen Gerichtsverfahren standhalten muss. Dementsprechend sorgsam und verantwortungsbewusst muss diese angefertigt werden.
Eine professionelle Dokumentation sollte grundsätzlich zeitnah und konkret erfolgen. Das bedeutet, dass die jeweilige Fachkraft schnellstmöglich nach der eigentlichen Beobachtung die dazugehörige Dokumentation anfertigt. Dabei wird das Datum, die Uhrzeit, die detaillierte Beschreibung der Anhaltspunkte der jeweiligen Kindeswohlgefährdung sowie der Name der dokumentierenden Fachkraft notiert. Auch weitere anwesende Personen sollten benannt werden. Die aus der jeweiligen Beobachtung abgeleiteten Hypothesen sollten ebenfalls dokumentiert werden, jedoch klar als eben solche gekennzeichnet werden. Eine Vermischung von Beschreibung und Deutung gilt es unbedingt zu vermeiden. An dieser Stelle wird deutlich, dass die Dokumentation mehrere Themenfelder des Kinderschutzes aufzeigt. So sollte zum Beispiel auch dokumentiert werden, welchen Wortlaut eine mögliche Frage der Fachkraft an das Kind hatte, um die Beeinflussung des Kindes durch Suggestivfragen auszuschließen. Es ist ein großer Unterschied, ob man ein Kind fragt »Wer hat dich gehauen?« oder »Hat der Papa dich da gehauen?«
Nicht nur die Anzeichen der Kindeswohlgefährdung selbst müssen dokumentiert werden, auch die Ergebnisse der Fallbesprechungen, die Absprachen mit der insoweit erfahrenen Fachkraft sowie die Inhalte der Elterngespräche bedürfen einer genauen Dokumentation. Gleiches gilt selbstverständlich für alle Beobachtungen und die einzelnen Schritte innerhalb einer Meldung nach § 47 SGB VIII. Vereinbarungen, die zur Abwendung der Kindeswohlgefährdung mit den Eltern getroffen wurden, sollten in einem Gesprächsprotokoll festgehalten und von allen Anwesenden unterschrieben werden.
Fazit
Beobachtung und Dokumentation werden durch Zeit- und Personalmangel in der Praxis häufig nach unten auf die Prioritätenliste verschoben. Doch Kindertagesstätten müssen sich selbst als das verstehen, was sie wirklich sind: wichtige Institutionen der Kinder- und Jugendhilfe, deren Dokumentation in Kinderschutzfällen unabdingbar ist. Denn Kinderschutz ist Netzwerkarbeit und eine professionelle Dokumentation ist die gemeinsame Sprache.
Literatur
Beckmann, K. (2016): Kindeswohlgefährdungen erkennen und professionell handeln. Online einsehbar unter: https://www.kita-fuchs.de/ratgeber-paedagogik/beitrag/kindeswohlgefaehrdungen-erkennen-und-professionell-handeln/
Bundesarbeitsgemeinschaft Landesjugendämter (2013): Handlungsleitlinien zur Umsetzung des Bundeskinderschutzgesetzes im Arbeitsfeld der betriebserlaubnispflichtigen Einrichtungen nach § 45 SGB VIII. S. 9–13.