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Bereichsspezifische Förderung im Kindergarten am Beispiel Naturwissenschaften

Gestaltung naturwissenschaftlicher Lerngelegenheiten im Kindergarten. Wie kann naturwissenschaftliche Förderung im Kindergarten effektiv gestaltet werden? Anhand von theoretischen Überlegungen und Forschungsbefunden werden verschiedene Gestaltungsmöglichkeiten (z.B. Experimente) vorgestellt und diese in einem Modell systematisiert. Zudem werden BiKS-Befunde zum Ausmaß von naturwissenschaftlichen Aktivitäten berichtet.

 

Naturwissenschaftliche Förderung im Kindergarten zur Schulvorbereitung

© flucas

Der Beginn der Kompetenzentwicklung vor Eintritt in die Grundschule und die besondere Bedeutung des frühen Vorwissens legen nahe, dass es sinnvoll ist, bereits im Kindergartenalter bereichsspezifisch zu fördern (Roßbach 2005). Dadurch können kindliche Kompetenzen gezielt in spezifischen Bildungsbereichen aufgebaut werden, die das Lernen in der Schule vorbereiten und den Übergang in die Grundschule erleichtern sollen. Dementsprechend ist der Bereich der frühen Naturwissenschaften ein Bildungsschwerpunkt des Elementarbereichs und in den Bildungsplänen sowie in Qualitätskatalogen für den Elementarbereich (z.B. Nationaler Kriterienkatalog von Tietze et al. 2007) eingeschlossen. Für die Praxis existieren zahlreiche Projektvorschläge und Handreichungen, die oftmals mit Fortbildungen für Erzieherinnen verknüpft sind (z.B. Naturwissen schaffen, Lernwerkstatt Natur, Haus der kleinen Forscher, Science Lab, Technolino, Forscherstation). Allerdings findet sich kaum Forschung dazu, wie effektiv solche Programme sind oder wie naturwissenschaftliche Förderung in der Praxis umgesetzt wird.

Der Beitrag stellt verschiedene Gestaltungsmöglichkeiten naturwissenschaftlicher Förderung im Kindergarten vor und fasst diese in einem idealtypischen Modell zusammen. Zudem werden aktuelle Forschungsbefunde aus der BiKS-Forschergruppe zum Ausmaß naturwissenschaftlicher Aktivitäten im Kindergarten berichtet.

Gestaltung naturwissenschaftlicher Förderung im Kindergarten

Die gegenwärtige Debatte um die „richtige“ Förderung im Kindergarten lässt sich anhand von zwei idealtypischen Dimensionen zusammenfassen, die durchaus als miteinander verbunden angesehen werden können (Kluczniok, Roßbach & Große 2010). Die erste Dimension bezieht sich auf die „Breite“ und Tiefe“ der Förderung. Diese mehr inhaltlich akzentuierte Dimension unterscheidet zwischen allgemeinen Fördermaßnahmen, die nicht auf spezifische Förderbereiche gerichtet sind, und Fördermaßnahmen in spezifischen Bereichen, z.B. Naturwissenschaften. Die zweite Dimension wird durch die beiden Pole „Situationsorientierung“ und „Angebotsorientierung“ beschrieben. Diese Dimension umfasst einerseits unmittelbar in das Alltagsgeschehen und die Lebenssituation der Kinder integrierte Fördermaßnahmen und andererseits gezielte Förderangebote mit hoher Anleitung durch die Erzieherin.

Der bereichsspezifischen Förderung, die in Alltagssituationen und -handeln integriert ist, kommt eine besondere Fördermöglichkeit im Kindergarten zu.

Ein Beispiel für eine solche Förderung ist das Aufgreifen einer kindlichen Äußerung im Morgenkreis beispielsweise zum Thema „Gefrieren einer Pfütze“. Dieses vom Kind initiierte Thema kann dann mittels einer klassischen Bilderbuchbetrachtung während der Freispielzeit von der Erzieherin weitergeführt werden, indem mit den Kindern ein Sachbuch angeschaut und das Phänomen „Gefrieren“ näher untersucht wird.

Als weiteres Beispiel kann die Förderung von naturwissenschaftlichem Lernen genannt werden, wie sie von Hartinger und Köster (2007) im Rahmen des Modellvorhabens KiDZ (Kindergarten der Zukunft in Bayern) vorgeschlagen wird. Ausgangspunkt dieser Förderung ist eine vielfältig gestaltete Lernumgebung, die die Kinder dazu anregt, neue interessante Erfahrungen zu machen. Spielerisches Ausprobieren und neugieriges Betrachten von Naturerscheinungen und -phänomenen sind die Grundlage für weiteres Lernen. Die Autoren formulieren einige Praxisvorschläge für die Bereiche „Basiskonzepte“ (z.B. Kenntnisse über Ordnungen und Ordnungssysteme durch Versuche, die solche Ordnungen zum Ziel haben) sowie „Physik/Chemie“ (z.B. Kennenlernen von Eigenschaften verschiedener Gegenstände und Materialien sowie deren Bewegung durch Tastspiele oder Versuche zum Schwimmen im Waschbecken) (Hartinger & Köster 2007). Kennzeichnend für den Förderansatz in KiDZ ist einerseits die Alltagsintegration bereichsspezifischer Förderung, und andererseits aber auch gezielte Angebote, bei der die pädagogischen Fachkräften eine mehr „lenkende“ Rolle einnehmen.

Ausgelöst durch Forderungen nach einer stärker kognitiv ausgerichteten Kindergartenarbeit in der Nach-PISA-Diskussion gibt es derzeit einen breiten – auch kommerziellen – Markt an bereichsspezifischen Förderangeboten und -programmen, der schwer zu überblicken ist. Oftmals sind solche Programme mit weitreichenden Versprechungen verbunden, obwohl über die tatsächlichen Auswirkungen auf die kindliche Entwicklung wenig ausgesagt werden kann. Daneben existieren Programme mit Angebotscharakter. Als Beispiel dafür können Experimentiergruppen angeführt werden, an denen z.B. einmal pro Woche eine bestimmte Kindergruppe angeleitet von der Erzieherin teilnehmen (vgl. Haus der kleinen Forscher, Natur-Wissen schaffen, Technolino). Darüber hinaus existieren „Angebote von außen“ wie z.B. die Lernwerkstatt Natur, die Kindergartengruppen gemeinsam mit den Erzieherinnen forschendes Lernen außerhalb des Kindergartens ermöglichen und gleichzeitig Fortbildungsangebote zum Thema „Naturwissenschaften im Elementarbereich“ für das pädagogische Fachpersonal anbieten (ähnlich: Science Lab und Forscherstation).

Zusammenfassend lässt sich für die Gestaltung naturwissenschaftlicher Förderung im Kindergarten festhalten, dass zwischen Situations- und Angebotsorientierung sowie zwischen allgemeinen und bereichsspezifischen Förderinhalten eine Balance notwendig erscheint, um jeweils „kindangemessen“ zu fördern.

Was sagt die Forschung zur Gestaltung von Lerngelegenheiten?

Was sind bessere Lerngelegenheiten für Kindergartenkinder? Einer wissenschaftlichen Untersuchung zufolge ist die Verknüpfung von Alltagssituationen mit naturwissenschaftlichen Experimenten, in denen das Phänomen beobachtet werden kann, im Vergleich zu Experimenten ohne Alltagsbezug sowie reiner alltagsbezogener Förderung ohne Experimentieren besonders förderlich für die naturwissenschaftliche Kompetenzentwicklung der Kinder (Steffensky, Lankes, Carstensen & Nölke, 2012). Dieses Ergebnis kann wie folgt erklärt werden: Alltagssituationen sind als naturwissenschaftliche Lerngelegenheiten gut geeignet, weil die Kinder durch Reflexion eigener Ideen, Vorgehensweisen und Ergebnisse kognitiv angeregt werden und dadurch praktische Handlungen lernwirksam werden. Allerdings erscheint es bei einer reinen alltagsorientierten Förderung für die Kinder schwierig, den wesentlichen naturwissenschaftlichen Aspekt der Alltagssituation zu erkennen. Kontexte wie z.B. die Rahmenhandlung eines Bilderbuchs lenken möglicherweise vom naturwissenschaftlichen Inhalt ab. Zudem zeichnet sich eine alltagsorientierte Förderung durch weniger Strukturierung aus. Aus der Forschung ist bekannt, dass Strukturierungsmaßnahmen (z.B. die Hervorhebung wichtiger Aspekte) wichtig sind, um Kinder im Elementarbereich nicht zu überfordern. Experimente folgen einem bestimmten Ablaufschema und sind daher strukturierter als situationsorientierte Fördermaßnahmen. Dadurch können die Kinder einzelne Aspekte leichter bearbeiten und so zu einem besseren Lernergebnis gelangen. Als Fazit kann festgehalten werden, dass die Kombination aus alltagsorientierter Förderung und Experimentieren sehr gute Lerngelegenheiten für Kindergartenkinder darstellen.

Ausmaß naturwissenschaftlicher Förderung im Kindergarten

In der BiKS-Studie wurden die Erzieherinnen (N=97) gebeten, einen Tag lang ein Tagebuch über die Aktivitäten zu führen. Sie sollten im Viertelstunden-Takt (neben weiteren Aspekten) protokollieren, mit welcher der 22 vorgegebenen Aktivitäten (z.B. Puzzeln, Rollenspiel, Informationsaustausch mit Eltern, Vorbereitungszeit) sie an diesem Tag (Zeitraum 6 bis 21 Uhr) überwiegend beschäftigt sind. Folgende Aktivitäten wurden für den Bereich „Naturwissenschaftliche Aktivitäten“ ausgewählt: Experimente/Naturerfahrungen, Spiele mit Sand/Wasser, Exkursionen.

Zu den Ergebnissen: „Experimente und Naturerfahrungen“ werden im Schnitt ca. 11 Minuten am Tag gemacht. In Abbildung 2 ist die Aufteilung in Minutenabschnitten dargestellt. Es fällt auf, dass der Großteil der Erzieherinnen (79%) angibt, keine Experimente/Naturerfahrungen am Protokolltag angeboten zu haben. Ein geringer Anteil von 5% führt solche Aktivitäten 75 bis 120 Minuten lang durch. Spiele mit Sand/Wasser finden am Tag ca. 16 Minuten statt. Hervorzuheben ist hier die große Spannbreite. Über 70% geben an, keine Spiele mit Sand/Wasser angeboten zu haben. Allerdings finden sich in BiKS auch knapp 25% Erzieherinnen, die in solche Aktivitäten bis zu einer Stunde involviert sind und ein geringer Anteil sogar noch länger. Exkursionen wurden am Protokolltag im Durschnitt sechs Minuten lang gemacht. 89% der befragten Erzieherinnen geben an, keine Exkursion gemacht zu haben und 11% berichten von Exkursionen mit einer Dauer von maximal zwei Stunden.

Fasst man diese drei Bereiche zusammen, so zeigt sich, dass diese Aktivitäten durchschnittlich ca. 33 Minuten am Tag stattfinden, wobei die Kindergärten sehr unterschiedlich sind. 18% geben naturwissenschaftliche Aktivitäten als ihre Hauptaktivität über einen Zeitraum von 15 Minuten bis zu einer Stunde an. Ein geringer Anteil von 6% protokolliert naturwissenschaftliche Aktivitäten sogar mehr als 2 Stunden am Tag.