Dennoch bewerten viele Fachkräfte ihre Beziehung zu Eltern in den letzten Jahren zunehmend bedeutsamer im Hinblick auf die Entwicklungsmöglichkeiten des Kindes und machen sich auf die Suche nach (neuen) Wegen, um eine angemessene Haltung in schwierigen Elternkontakten zu finden und um kreative Lösungen bei der Unterstützung von Familien zu entdecken.
Dieser Artikel möchte das Interesse an Kompetenzentwicklung für die Elternzusammenarbeit unterstützen und liefert dazu wissenschaftlich fundiertes Wissen, mit dem sich jede Erzieherin, jeder Erzieher individuell ihr/sein eigenes Orientierungswissen für angemessene Dialoge erarbeiten kann. Der Beitrag geht davon aus, dass jede Fachkraft, aufgrund der Einzigartigkeit ihrer Person und ihrer Erfahrungen, individuell verschiedene Aspekte als Herausforderungen in Elternkontakten wahrnimmt. Entsprechend persönlichkeitsbezogen und divers sind die Erkenntnisse und Lernprozesse.
Der Begriff "Erziehungspartnerschaft" verkommt zu einer Worthülse
Mittlerweile wird der Begriff Erziehungspartnerschaft inflationär für jegliche Bezugnahmen auf Eltern verwendet und er droht, zu einer Worthülse ohne Fundierung und Präzisierung zu verkommen. Das Konzept der Erziehungspartnerschaft ist dahin gehend zu kritisieren, dass es per se in naiver Weise von zwei Partnern "auf gleicher Augenhöhe" ausgeht. Es wird viel zu wenig die Unterschiedlichkeit in der Kommunikation von Erzieher/innen mit den Eltern beachtet: Auf der einen Seite gibt es jene strukturelle Ungleichheit, bei der die Erzieher/innen in ihrer jeweiligen institutionellen Einbindung mit einem staatlichen Auftrag überforderten, hilflosen oder kommunikationsungewohnten Eltern gegenüber stehen. Eine andere Form der Ungleichheit liegt vor, wenn kommunikationsstarke, vielleicht auch akademisch gebildete Eltern unsicheren Fachkräften begegnen.
Das Wohl des Kindes ist aber nur dann gewährleistet ist, wenn im Kontakt zu den Eltern die Aspekte Gleichheit und Ungleichheit unabdingbar mit deren Anerkennung verbunden sind, so Wiezorek (2006). Das Thema Anerkennung spielt aktuell in den Debatten der pädagogischen Wissenschaftsdisziplinen eine große Rolle. In der Regel wird dabei die Anerkennungstheorie von Axel Honneth (1992), einem an der Universität Frankfurt beheimateten Sozialwissenschaftler, angeführt. Die Anerkennung des Anderen ist die Basis für die eigene Weiterentwicklung. Mit anderen Worten: damit ein Erwachsener an den Lebensaufgaben und beruflichen Herausforderungen wachsen kann, muss er den Anderen in seinen Bedürfnissen und Werten erkennen und anerkennen. So könnten die Fragen, die sich eine Fachkraft in diesem Zusammenhang stellen könnte beispielweise heißen: "Warum habe ich Schwierigkeiten respektvoll mit der Mutter zu sprechen? Oder: "Wieso empfinde ich mich unwohl im Gespräch mit dieser Mutter - was für Gefühle sind das?"
Der bzw. die "Andere" wird in der Literatur oftmals auch als ‚Fremde‘ bezeichnet, weil grundsätzlich davon auszugehen ist, dass das Denken und Handeln eines anderen Menschen grundsätzlich unbekannt und verschieden ist von dem eigenen Denken und Handeln. Und diesen "Anderen", der im vorliegenden Fall eine Mutter oder ein Vater ist, gilt es in jedem Gespräch behutsam zu ‚erforschen‘. Jedes Gespräch ist wie ein kleines ‚Forschungsprojekt‘, das der Frage nachgeht: "Welche Werte und Bedarfe haben diese Eltern?", "Was will die Mutter von mir?", "Was braucht die Mutter, der Vater?".
Mit einer forschenden Haltung den Eltern begegnen
Für das ‚Erforschen‘, bedarf es einer Haltung gegenüber den Eltern, die alltagssprachlich als "Offen-Sein"‘ bezeichnet wird. Die hier gemeinte Offenheit ist Voraussetzung für eine Beziehungsaufnahme und vergleichbar mit der Haltung, wie sie eine Forscherin benötigt. Nentwig-Gesemann (2007) spricht deshalb von einem "forschenden Habitus". Darin sieht sie die grundlegende Zielausrichtung in der Aus- und Weiterbildung von Erzieher/innen. Allerdings unterscheidet sich das "Forschen" einer Erzieherin vom Forschen einer Wissenschaftlerin: Während die eine wissenschaftliches Wissen produziert, muss die andere kompetent und vorurteilsbewusst in der Praxis handeln und flexibel und kreativ interagieren. Die Interaktion mit den Eltern ist diesen Vorstellungen nach ein offener Prozess, der nach Neuem sucht, bewusst auch nach den Stärken der Eltern, und der nicht ausschließlich nach den Defiziten Ausschau hält.
Bei dieser forschenden Haltung erweist sich Vorurteilsbewusstsein als hilfreich. Hier ist ein Vorurteils-bewusst-sein in dem Sinne gemeint, als dass die Fachkraft nicht die eigenen Vorurteile gegenüber eines spezifischen Vaters oder einer Mutter negiert oder abstreitet. Im Gegenteil: das Sich-bewusst-machen der eigenen - im Übrigen, jedem Menschen innewohnenden - Vorurteile, verhelfen dabei, diese Vorurteile im nächsten Schritt einfach mit einem ‚großen Schritt‘ zu umgehen und sachlich sowie freundlich im Dialog zu bleiben.
In dem hier vorgeschlagenen kommunikativen Modell der Zusammenarbeit mit Eltern, ist es notwendig, dass die Begegnung mit den Eltern die Erzieherin zu einem mal mehr und mal weniger intensiven Nachdenken und Nachspüren führt, bei dem sie sowohl die Beweggründe für die eigene Position bzw. das eigene Verhalten als auch die möglichen Begründungen für die Elternposition bzw. deren Verhalten ergründet.
Gespräche im Team nach einem unbefriedigenden Elternkontakt, mit vertrauten Kolleg/innen oder in privaten Kontakten können beim Perspektivwechsel, d. h. sich gedanklich in die Elternposition hineinzuversetzen, sehr hilfreich sein. Insgesamt ist es ein Prozess des "Für und Wider", bei dem die Erzieherin abwägen und sich letztlich (innerlich) positionieren und ggf. entsprechend handeln muss. Ein solches Aushandeln bedeutet oftmals große Mühe - die steht im Gegensatz zu einem allzu einfachen Verständnis von Erziehungspartnerschaft.
Nachdenken über die Begegnung mit den Eltern
Selbstreflexion ist die Basis, auf der sich Professionalität grundsätzlich herausbildet, so Oevermann (2008). Das gilt auch für die Professionalisierung für Elternkooperation. Oevermann betrachtet die Professionalisierung als Entwicklungsweg, der im Wesentlichen aus dem Aufbau von persönlich-sachlichen Denkschemata für die Steuerung, Kontrolle und Bewertung des eigenen Handelns besteht. Fehlt es an Selbstreflexion, besteht die Gefahr, dass vorgefertigte und zu allgemeine Handlungskonzepte, die nicht die Bedarfe der spezifischen Eltern ansprechen, an die Stelle individueller Lösungen gesetzt werden.
Jedes Gespräch mit Eltern stellt ein Lernfeld dar, in dem Selbstreflexion genutzt und eine zunehmende Steuerung des eigenen Verhaltens erprobt werden kann. Es ist davon auszugehen, dass jeder Kontakt zwischen einer Erzieherin und einer Mutter oder einem Vater hoch komplex ist, das heißt, dass es unendlich viele Facetten des Gesprächs gibt. Für eine Gesprächsauswertung ist es hilfreich, den Reflexionsprozess zu strukturieren. Reflexions-Dimensionen, die hier vorgeschlagen werden, wurden im Rahmen einer Untersuchung zur Elternzusammenarbeit in Erziehungshilfemaßnahmen erstellt (Köngeter 2009). Diese Dimensionen werden nachfolgend vorgestellt, sie sind speziell für die Arbeit im frühpädagogischen Bereich aufgearbeitet worden (Hess 2012). Die zugehörigen Reflexionsfragen können beim Nachdenken hilfreich sein.
- Milieu: Welchem Milieu, welcher sozialen Schicht sind die Eltern zuzuordnen? Aus welchem Milieu komme ich selbst? Gibt es diesbezüglich wahrgenommene Ängste, Voreingenommenheiten bei den Eltern/bei mir? Welche Sprache verwenden die Eltern? Welche Sprache ist mir vertraut? Erlebe ich das Interview als Gespräch "auf gleicher Augenhöhe"?
- Geschlecht: Welcher "Typ Frau" ist die Mutter, die interviewt wird? Welchem "Typ Frau" gehöre ich selbst an? Wie fühle ich mich als Interviewerin dem Vater gegenüber in seiner spezifischen Männlichkeit? Was heißt für mich Frau-Sein und Mann-Sein? - Was bin ich gewohnt?)
- Emotionen: Welche Grundstimmung bildet sich in der Erzählung ab? An welchen Stellen war die erzählende Mutter emotional "auffällig", d. h. wo hat sie gelacht? Wo war sie wütend? An welcher Stelle erschien Trauer? Wie habe ich mich gefühlt? Konnte ich mich richtig einlassen? - Warum nicht?)
- Offenheit vs. Verschlossenheit: Musste ich den Eltern alles "aus der Nase ziehen" oder hatten sie Vertrauen, dass ich die persönlichen Aussagen wirklich vertraulich behandle? Haben sie mir wirklich Persönliches anvertraut oder haben sie oberflächlich erzählt? Kamen die Eltern in einen wirklichen Redefluss?
- Grenzziehung: Gab es Punkte, an denen die Mutter meine Fragen als zu persönlich sah? Gab es Punkte in der Erzählung, die auf ein nachvollziehbares oder nicht nachvollziehbares Abgrenzungsverhalten des erzählenden Vaters hinweisen? Sind die Eltern mir als Interviewerin zu "nahe" getreten, fand ich manche Situationen unangenehm? - Warum?
- Prozesshaftigkeit: Wie war die Dynamik im Gespräch? Welchen Verlauf, welche Entwicklung hat die Beziehung zwischen mir und der/dem befragten Mutter/Vater genommen? Wird sie zunehmend vertrauter? Kam Misstrauen auf? Wirkte alles eher unengagiert und das Gespräch "plätscherte dahin"?
- Externalisierung vs. Veränderungsbereitschaft: Weisen die Eltern die "Schuld" stets von sich? Sind es immer die anderen - Kita, Erzieherin, Jugendamt u.a.? Oder: Zeigen sich Veränderungen, berichten die Eltern von eigenen Lernprozessen, Einsichten u. Ä.?
Weitere Qualitätsmerkmale von Beziehung: Finden Sie über die genannten Dimensionen hinaus andere Qualitätsdimensionen in Beziehungen?
Das folgende Fallbeispiel ist die leicht veränderte Version, eines real stattgefundenen und nachträglich reflektierten Gesprächs einer (angehenden) Fachkraft mit einer Mutter im Rahmen eines Projektes (Hess 2012).
Fallbeispiel
Anne Müller hat als Leiterin der Kita Pusteblume um 14 Uhr mit den Eltern der vierjährigen Camille ein Aufnahmegespräch telefonisch vereinbart. Der Vater erscheint 10 Minuten nach der vereinbarten Zeit und entschuldigt seine Frau, die etwas später kommen würde. Er öffnet eine große Tüte mit Obst und überreicht sie freudestrahlend Frau Müller mit den Worten: "Für die Kinder!". Frau Müller geht mit der Tüte in ihr Büro, sie bittet den Vater im Eingangsbereich zu warten, bis seine Frau kommt und dann mit dieser zu ihr ins Büro zu kommen. Alleine im Büro gehen ihr folgende Gedanken durch den Kopf: "Wenn die Mutter bzw. Familie noch nicht einmal pünktlich sein und einen Termin einhalten kann, dann fehlt es dem Sohn sicher auch an vorgelebter Struktur." Sie reflektiert aber auch, welche Gastfreundlichkeit und Offenheit der Vater mit seinem Obst-Präsent zeigt. Nach zwanzig Minuten klopfen beide Eltern an der Tür. Anne Müller nimmt wahr, dass die Mutter dunkelhäutig ist. Sie erfährt später, dass sie von einer karibischen Insel stammt und ihr Mann südamerikanischer Herkunft ist. Beide sprechen gebrochen Deutsch. Die Mutter entschuldigt sich bei der Leiterin für die Wartezeit und erklärt ihr, dass sie in der Elternarbeit der Schule ihres Sohnes aktiv ist und hier einen Termin wahrnehmen musste.
Für das im Nachfolgenden geführte Aufnahmegespräch wollte Anne Müller erstmals einen vom gesamten Team ausgearbeiteten Fragebogen einsetzen. Sie hatte die Erwartung, damit so viele Informationen wie möglich von der Mutter über das neue Mädchen und seine Familie in Erfahrung zu bringen. Allerdings wird ihr im Gespräch sehr schnell bewusst, dass sie diesen Fragebogen nicht in der technischen und scheinbar effektiven Form einfach ‚abarbeiten‘ kann - eine Art und Weise zu der sie manchmal im Hektik des Alltags neigt, wie sie sich gegenüber selbstkritisch zugibt. Statt dessen musste sie offen sein und sich auch ein stück weit in einen emotionalen Kontakt zu dieser Frau einlassen, ohne dabei die professionelle Distanz als Fachkraft zu verlieren. Die kommunikationsbereiten Signale der Mutter ließen dies erwarten. Schließlich gelingt es Frau Müller auch, sich auf sie einzulassen. Die Mutter kommt nun in einen Redefluss: Sie berichtet von ihrem Sohn, der schon zur Schule geht und davon, dass die Grundschullehrerin ihr nach einigen Wochen der Einschulung mitteilte, dass er in eine Sonderschule gehen müsse und sie nun Angst habe, dass dies bei der Tochter auch geschehe. Als sie damals die Information bekam, wusste die Mutter wie auch ihr Mann dies nicht einzuordnen. Sie beschreibt sich als ratlos und fühlte sich alleine gelassen. Die Zeit der Unklarheit wird von ihr als Krise beschrieben, die sie nun aber überwunden habe. Nach dem Redefluss der Mutter bleiben der Leiterin Anne Müller noch zehn Minuten, bis zum Aufnahmegespräch mit einem weiteren Elternpaar. Sie beschließt ad hoc einige wesentliche Fragen des Aufnahmebogens anzusprechen und dann weitere Punkte in den Bring-Abhol-Kontakten der nächsten Tage mit den Eltern abzuklären.
Interpretation
Es gibt deutlich kritische Gedanken bei der Leiterin gegenüber der Familie nach der ersten Begegnung mit dem Vater, der alleine und verspätet eintraf. Möglicherweise hat die Leiterin sich auch mit ihren eigenen Voreingenommenheiten auseinandergesetzt, und sich diese bewusst gemacht, damit diese nicht unbewusst im Elternkontakt der Entwicklung von Vertrauen entgegenstehen. Anne Müller wird aber auch die Ressource des Vaters bewusst: er bringt ein Gastgeschenk mit. Auch wird in den Gedanken die eigene zu technokratische, zu eng auf Informationsgewinn abzielende Gesprächshaltung reflektiert. Die besondere Hürde von Frau Müller in diesem Elterngespräch lag im "Sich-emotional-Einlassen".
Nachdem im Fallbeispiel die Mutter hinzu kommt und beide Seiten ihre Berührungsängste überwunden hatten und die Mutter den Grund für ihre Verspätung erklärte — ihre Mitarbeit in der Elternarbeit der Schule des Sohnes dürfte für Frau Müller als ein weiteres Vertrauensplus gegolten haben—, vertraut diese der Fachkraft ihre Erfahrungen mit der Schulproblematik ihres Sohns an. Dessen Überweisung in die Sonderschule haben sie als unvorhersehbares Ereignis erlebt, das unkontrollierbar über die ganze Familie hereinbrach. Schließlich führte die Erklärungsnot zu einer ausweglosen Situation mit entsprechenden Gefühlen der Hilflosigkeit. Inwieweit die Eltern bereits im Kontext ihrer Migrationsgeschichte oder gar als Grund für das Verlassen ihrer Heimat Erfahrungen mit (quasi) staatlicher Willkür gemacht haben, wie es bei vielen Migranten der Fall ist, dazu kann keine Aussage gemacht werden.
Fazit
Um die selbstreflexiven Kompetenzen für die Elternkooperation zu erweitern, sind Settings der Selbsterfahrung, Supervision und Intervision notwendig (Brock 2012, 32ff.). Eine ressourcenorientierte Haltung gegenüber den Müttern und Vätern ist wesentliche Voraussetzung für den Aufbau einer Beziehung.