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Bildungsdokumentation ins Zentrum rücken – eine Leitungsaufgabe

Was eine gute Bildungsdokumentation ausmacht und welche Rolle die Leitung dabei spielt: Die Dokumentation der Bildungsprozesse von Kindern ist eine zentrale Aufgabe pädagogischer Fachkräfte. Sie ermöglicht es, mit Kindern ihr Lernen zu reflektieren, unter Kollegegen/innen und Eltern in einen fundierten Austausch zu kommen und auf dieser Grundlage ein angemessenes und inspirierendes Umfeld für Kinder zu gestalten. Kitaleitungen nehmen eine Schlüsselrolle bei der Umsetzung dieses anspruchsvollen Zieles ein.

Bildungsdokumentation in der KiTa

© fotolia.com contrastwerkstatt

Dokumentation umfasst viele verschiedene Verfahren. Sie bezieht sich erstens auf standardisierte Formen, die einen bestimmten Entwicklungsstand messen und festhalten (z.B. in der Sprachentwicklung), etwa in Form von Einschätzskalen. Zweitens umfasst Dokumentation auch qualitative, prozessorientierte Verfahren, die auch als Bildungsdokumentation bezeichnet werden; sie stehen im Mittelpunkt des vorliegenden Beitrags.

Die in Deutschland am weitesten verbreiteten Verfahren der Bildungsdokumentation sind:

  • Das Portfolio: Sammlung von Produkten, Fotos und Aktivitäten eines einzelnen Kindes
  • Lerngeschichten: Beschreibung und Analyse von bestimmten Situationen im Kitaalltag eines einzelnen Kindes
  • Projektdokumentationen: Sammlung von Fotos, Geschichten, Produkten, Kommentaren einer Kindergruppe zu einem gemeinsamen Vorhaben als Plakat oder in einer Mappe
  • Produktpräsentationen: Ausstellung von Gemaltem, Gebasteltem oder Gebautem von einem oder mehreren Kindern in den Räumen der Kindertageseinrichtung

In der konkreten Umsetzung finden sich zahlreiche Varianten: So fokussieren sich einige Einrichtungen auf eine einzelne Form der Bildungsdokumentation, andere kombinieren mehrere Verfahren. Teilweise werden bestimmte Vorlagen verwendet oder eigene bzw. trägerspezifische Formate entwickelt (Knauf 2015). In vielen Einrichtungen entstehen auch immer wieder eigene, neue Formen der Dokumentation.

Was macht eine hochwertige Bildungsdokumentation aus?

Die verschiedenen Verfahren der Bildungsdokumentation haben jeweils eigene Prinzipien, an denen sie sich messen lassen. Darüber hinaus gibt es jedoch übergreifende Qualitätsanforderungen, die für alle Formen der Bildungsdokumentation gelten:

  1. Systematik: In jeder Einrichtung sollte die Bildungsdokumentation einem bestimmten Konzept folgen, das darauf ausgerichtet ist, die vielfältigen Aktivitäten der Kinder planmäßig zu erfassen. Eine solche Systematik soll sicherstellen, dass alle Kinder und eine gewisse Bandbreite ihres Tuns einbezogen werden. In Lerngeschichten wird die Systematik beispielsweise über die Lerndispositionen hergestellt, die in allen beschriebenen Situationen gefunden werden sollen. Ein systematisches Vorgehen verhindert Beliebigkeit bei der Auswahl der dokumentierten Situationen.

  2. Regelmäßigkeit: Bildungsdokumentation ist eine kontinuierliche Aufgabe, die idealerweise nicht nur anlassbezogen (z.B. anstehende Elterngespräche) oder ereignisbedingt (z.B. ein besonderer Ausflug) stattfindet. Stattdessen ist es wichtig, dass kontinuierlich und in Alltagssituationen Dokumentation stattfindet. Nur so kann zum einen die Dokumentation und damit der Dialog über Bildungsprozesse für Kinder, Fachkräfte und Eltern zu einem selbstverständlichen Bestandteil des Alltags werden. Zum andern kann durch häufiges Dokumentieren ein umfassendes Bild von der Gruppe und jedem Kind entstehen. Regelmäßigkeit kann davor schützen, nur bestimmte Situationen auszuwählen, die zu einem verzerrten Gesamtbild führen. Gerade durch die Kontinuität der Bildungsdokumentation können subjektive Wahrnehmungsfilter vermieden werden.

  3. Stärkenorientierung: Ein zentrales Anliegen von Bildungsdokumentation ist es, die Stärken und Fähigkeiten der Kinder in den Mittelpunkt zu stellen. Kindertageseinrichtungen haben (im Gegensatz zu Schulen) das Privileg, Kinder nicht bewerten und selektieren zu müssen. Deshalb können Fachkräfte sich auf die Dinge konzentrieren, die Kinder bereits können. Die Bildungsdokumentation kann wesentlich dazu beitragen, diese Stärkenorientierung im Alltag der Kindertageseinrichtung zu verankern. Das Portfolio ist bereits von seiner Definition her entsprechend angelegt: Wie bei der Arbeitsprobe eines Künstlers oder einer Architektin sind im Portfolio die besten und wichtigsten Produkte und Aktivitäten eines Kindes versammelt. Diese Fokussierung von Stärken ist zugleich eine wichtige Grundlage für die Schaffung einer anregenden Lernumgebung – im räumlichen wie im sozialen Sinne.

  4. Bildungsorientierung: Bei der Auswahl, Beschreibung und Analyse der in Bildungsdokumentationen festgehaltenen Situationen steht stets der Bildungsaspekt im Vordergrund. Bei der Präsentation von Bildern aus der Kindergruppe geht es beispielsweise eben nicht darum, wer »besser« malen kann. Vielmehr stehen die in den Bildern zum Ausdruck kommenden Wahrnehmungen und Weltdeutungen der Kinder im Mittelpunkt. Aufgabe der Bildungsdokumentationen ist es, diese sichtbar zu machen, etwa indem Kommentare und Erklärungen der Kinder gesammelt und präsentiert werden.

  5. Kontextbezug: Bildung besteht nicht aus isoliertem Wissen (z.B. welche Bäume in deutschen Wäldern wachsen) und nicht aus abgesonderten Fähigkeiten (z.B. wie man ein »E« schreibt). Bildung ist immer eingebunden in einen größeren Kontext aus sozialen Beziehungen und sachlichen Zusammenhängen. Deshalb ist es ein wichtiges Anliegen von Bildungsdokumentation, Produkte und Aktivitäten des Kindes in einen Zusammenhang zu stellen. In einer Lerngeschichte wird beispielsweise nicht nur erzählt, wie ein Kind die Wasserpumpe im Außenbereich entdeckt, sondern auch, mit wem und wann es das tut; es werden Überlegungen angestellt, welche Erfahrungen das Kind in Zukunft mit Wasser machen könnte.

  6. Partizipation: Kinder sind an der Bildungsdokumentation beteiligt. Sie können selber Fotos schießen und auswählen, welche in die Projektdokumentation aufgenommen werden. Ihre Aussagen werden protokolliert und einbezogen. Die Dokumentation wird so gestaltet, dass die Kinder sie erreichen oder zumindest sehen können und dass die Kinder ihre Kernaussage verstehen – auch ohne lesen zu können. Es ist also nicht das Ziel von Bildungsdokumentation, dass Erwachsene ausgefeilte Analysen über das Kind für andere Erwachsene erarbeiten, sondern das Kind selbst handelndes Subjekt ist.

 

Wird die Bildungsdokumentation auf diese Weise verstanden, dann ist sie ein pädagogischer Kernprozess in Kindertageseinrichtungen. Um diese anspruchsvolle Zielsetzung realisieren zu können, braucht es

  • Fachkräfte, die Expertinnen für Bildungsprozesse in der frühen Kindheit sind,
  • vielfältiges Material,
  • Fachkräfte, die offen für die Impulse der Kinder sind und diese kreativ aufgreifen können,
  • genügend Platz und Orte, an denen Bildungsdokumentationen ausgestellt und aufbewahrt werden können,
  • Ausstattung, die die Erstellung von Dokumentationen ermöglicht und erleichtert sowie

Welche Funktionen hat die Kitaleitung?

Der Leitung von Kindertageseinrichtungen kommt eine zentrale Rolle bei der Realisierung einer Bildungsdokumentation, die den oben beschriebenen Qualitätsanforderungen entspricht, zu. Es sind insbesondere vier Funktionen, die Leitungen erfüllen können:

  1. Handlungsleitende Orientierung unterstützen: Handlungsleitende Orientierungen umfassen »explizite Einstellungen und Deutungsmuster« sowie »implizite Werthaltungen«, »habitualisierte Denk- und Handlungsmuster« und »Erfahrungswissen« (Viernickel et al. 2013, S. 12). Für die Integration einer anspruchsvollen Bildungsdokumentation in den Alltag von Kindertageseinrichtungen ist es eine Grundvoraussetzung, dass Fachkräfte hinter den der Bildungsdokumentation zugrundeliegenden Prinzipien (s.o.) stehen. Die Leitung kann hier erstens als Vorbild fungieren, indem sie auch die eigene Arbeit an diesen Prinzipien ausrichtet. Zweitens kann der Stellenwert der Bildungsdokumentation von der Leitung immer wieder neu in den Vordergrund geschoben werden, etwa indem Bildungsdokumentation Teil der Konzeption wird, in Teambesprechungen und beiläufigen Gesprächen aufgegriffen sowie in Personalgesprächen positiv hervorgehoben wird.

  2. Qualifikation sicherstellen: Für die Erstellung einer hochwertiger Bildungsdokumentation benötigen Fachkräfte das entsprechende Know-how. Studien zeigen, dass beispielsweise Lerngeschichten oftmals eher intuitiv erstellt werden (Knauf 2017); sie sind dann »Geschichten über das Lernen«, jedoch keine Lerngeschichte im Sinne des Konzepts von Margaret Carr (2001) oder des Deutschen Jugendinstituts (Leu et al. 2007). Es bedarf der individuellen und auch teambezogenen Auseinandersetzung mit einzelnen Verfahren der Bildungsdokumentation – hierbei hat die Leitung eine zentrale Rolle.

  3. Zeitressourcen organisieren: Als eine wesentliche Hürde für die Umsetzung von Bildungsdokumentation erweist sich die hierfür oft fehlende Zeit, sodass diese häufig in Pausen und in der Freizeit durchgeführt werden (Viernickel et al. 2013, S. 96). Aufgabe der Leitung ist es, regelmäßige Zeitkontingente für die mittelbare pädagogische Arbeit bereitzustellen. Parallel dazu ist eine wichtige Funktion der Leitung, gemeinsam mit dem Team zu überlegen, welche überkommenen Aktivitäten möglicherweise verzichtbar sind (z.B. Basteln von Muttertagsgeschenken) und so den Alltag von Kindern und Fachkräften von anderen, teilweise auch als Belastung empfundenen Tätigkeiten zu befreien.

  4. Material und Ausrüstung bereitstellen: Für die Erstellung und Gestaltung von Bildungsdokumentation ist eine bestimmte Grundausrüstung mit Material erforderlich, wobei dieses aus drei Elementen besteht: Erstens Arbeitsmaterial wie Plakatkarton, Klebstoff, dicke Stifte. Zweitens die technische Ausrüstung wie Digitalkameras, Computer, Farbdrucker oder zur Vereinfachung ein Tablet. Drittens die räumlichen Rahmenbedingungen, die in den Gruppen- und Funktionsräumen ebenso Flächen für flache und dreidimensionale Dokumentationen bieten wie in den gemeinsam genutzten Räumen.

Fazit

Die Leitung einer Kindertageseinrichtung kann auf vielfältige Weise zur Etablierung einer qualitativ hochwertigen Bildungsdokumentation beitragen. Hierbei verschränken sich Organisations- und Administrationsaufgaben einerseits mit Aufgaben von Qualitätsentwicklung und Leadership. Bildungsdokumentation kann vor allem dann gelingen, wenn sie von Leitungen wichtig genommen und ihre Umsetzung entsprechend unterstützt wird.

Literatur

Carr, M. (2001): Assessment in Early Childhood Settings. London: Sage.

Knauf, H. (2015): Styles of Documentation in German Early Childhood Education. In: Early Years, 35, S. 232–248.

Knauf, H. (2017): Lerngeschichten als narratives Assessment in der Elementarpädagogik: Eine empirische Untersuchung des Konzepts in deutschen Kindertageseinrichtungen. Erscheint in: Zeitschrift für Erziehungswissenschaft.

Leu, H. R./Flämig, K./Frankenstein, Y./Koch, S./Pack, I./Schneider, K./Schweiger, M. (2007): Bildungs- und Lerngeschichten. Weimar, Berlin: Verlag das Netz.

Viernickel, S./Nentwig-Gesemann, I./Nicolai, K./Schwarz, S./Zenker, L. (2013): Schlüssel zu guter Bildung, Erziehung und Betreuung. Hrsg. von Der Paritätische, Diakonie, Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft). Berlin.