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Brauchen wir eine Masern-Impfpflicht?

Maserngeschehen werfen immer wieder die Frage nach einer gesetzlichen Impfpflicht auf. Für den Besuch einer Kindertageseinrichtung ist ein umfassender und zeitgerechter Impfschutz gemäß den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) beim Robert Koch-Institut (RKI) von Bedeutung. Der Beitrag beleuchtet die Frage, welche Instrumente zum Schutz der Gemeinschaft, zu der auch sehr junge, noch ungeimpfte Kinder gehören, im Hinblick auf Masern zum Einsatz kommen können.

Gesetzliche Impfpflicht!?© Adobe Stock / Tatyana

Gesetzliche Impfpflicht!?© Adobe Stock / Tatyana

In Gemeinschaftseinrichtungen wie Kitas besteht ein enger Kontakt unter den Kindern, oftmals auch zwischen Erzieher/innen und Kindern, der eine Ausbreitung von Infektionserkrankungen begünstigt. Ein Impfschutz hat sowohl für den individuellen Schutz als auch für den Schutz anderer in diesen Einrichtungen eine hohe Bedeutung. Dies gilt für Masern in besonderem Maße. Masern sind sehr ansteckend und leicht übertragbar, ein direkter Kontakt ist für eine Masern-Infektion nicht zwingend erforderlich. Erfahrungen aus Ausbruchsgeschehen zeigen, dass der Aufenthalt in demselben Flur wie ein Infektiöser für eine Ansteckung bereits ausreichend sein kann. Masernerkrankte sind bereits einige Tage vor Auftreten des Exanthems – also bevor die Diagnose gestellt wird – ansteckend.

Eine Ansteckung kann also bei nicht-immunen Kindern bereits erfolgt sein, bevor eine Masernerkrankung bekannt wird. Eine Ansteckung mit Masern hat u.U. gravierende Folgen – sowohl für das einzelne Kind, das schwer erkranken kann, als auch für die Gemeinschaft, da ein Ausbruchsgeschehen folgen kann. Säuglinge und kleine Kinder haben ein besonders hohes Risiko für schwere Verläufe und für Folgeschäden. Die subakute sklerosierende Panenzephalitis (SSPE) ist eine seltene, aber gravierende Spätkomplikation, die durchschnittlich 6 bis 8 Jahre nach einer Infektion auftritt. Das Risiko ist für Kinder, die zum Zeitpunkt der Infektion unter 5 Jahre alt sind, besonders hoch. Es wird auf etwa 20 bis 60 SSPE-Fälle pro 100.000 Masernerkrankungen geschätzt. Beginnend mit psychischen und intellektuellen Veränderungen entwickelt sich ein fortschreitender Verlauf mit neurologischen Störungen und Ausfällen bis zum Verlust sämtlicher Hirnfunktionen (vgl. Robert Koch Institut).

Für Kitas mit Krippengruppen ist der Masernschutz besonders relevant. Die erste regelhafte Impfung gegen Masern findet ab dem 12. Lebensmonat statt, die zweite Impfung ab dem 16. Lebensmonat. Bei früher Aufnahme in eine Kita vor dem 12. Lebensmonat ist die erste Impfung ab dem Alter von 9 Monaten empfohlen (vgl. Robert Koch Institut). Da Kinder bis zum 9. Lebensmonat nicht geimpft werden können, lässt sich schlussfolgern, dass das Masernrisiko einer früheren Aufnahme in die Kita aus Infektionsschutz-Sicht entgegensteht.

Nicht zu vernachlässigen ist das Infektionsrisiko durch nicht-immune Erwachsene. Die Altersgruppe der jungen Erwachsenen ist im Rahmen von Masern-Ausbruchsgeschehen in besonderem Maße betroffen. Es kommen sowohl ungeimpfte Eltern als auch Erzieher/innen als Infektionsquelle infrage. Es liegt in der Verantwortung der Einrichtung, auf einen ausreichenden Impfschutz der Mitarbeiter/innen zu achten. Ebenso liegt es in der Verantwortung der Eltern, auf einen ausreichenden eigenen Impfschutz zu achten.

Weitere Maßnahmen des Infektionsschutzes

Bei Auftreten von übertragbaren Erkrankungen in einer Gemeinschaftseinrichtung erfolgt ein Ausschluss erkrankter und krankheitsverdächtiger Kinder auf der Basis von § 34 Abs. 1 Infektionsschutzgesetz (IfSG). Weitere Schutzmaßnahmen, wie der Ausschluss ansteckungsverdächtiger oder nicht-immuner Kinder, werden vom Gesundheitsamt auf der Basis von § 28 IfSG angeordnet. Hierzu gehört der Ausschluss von nicht-geimpften Kindern bei Auftreten einer Masernerkrankung oder Verdacht auf das Vorliegen einer solchen Erkrankung.

Der Ausschluss Erkrankter, Ansteckungsverdächtiger und Nicht-Immuner führt zu einer Unterbrechung der Infektionskette, dient dem Schutz der Infektionsgefährdeten und ist damit ein wirksames Mittel des individuellen Schutzes und der Ausbruchsprävention. Die Gemeinschaftseinrichtungen müssen ihre Mitwirkungspflichten nach § 34 IfSG gegenüber dem Gesundheitsamt im Sinne eines bestmöglichen Infektionsschutzes konsequent erfüllen.

Die Nationale Lenkungsgruppe Impfen (NaLI) hat einen Leitfaden für das Management von Masern- und Rötelnfällen und -ausbrüchen in Deutschland erstellt (vgl. Nationale Lenkungsgruppe Impfen). Er gilt als fachlicher Maßstab u.a. für Maßnahmen des öffentlichen Gesundheitsdienstes (Gesundheitsämter) und beinhaltet u.a. sofortige Maßnahmen des Infektionsschutzes bei Auftreten bereits einer einzelnen Erkrankung, z.B. um einen Eintrag der Erkrankung in Gemeinschaftseinrichtungen zu verhindern.

Die Impfpflicht und die Kollision mit anderen Rechtsansprüchen

Eine Impfpflicht bei Aufnahme in die Kita kann wegen der potenziellen Schwere der Erkrankung im Hinblick auf Masern erneut geprüft werden. Dies muss im Rahmen einer Rechtsgüterabwägung erfolgen. Dabei sind auch mögliche Alternativen der Impfpflicht, wie die Regelungen mittels Satzung und die verstärkte Aufforderung zur Schließung von Impflücken (wie z.B. durch die ärztliche Bescheinigung in Schleswig-Holstein), zu berücksichtigen.

Rechtsgüterabwägung

Bei Überlegungen zur Einführung einer Impfpflicht ist grundsätzlich abzuwägen zwischen

  • dem Recht des Einzelnen auf freie Entscheidung und
  • dem Auftrag des Staates, vor Krankheiten zu schützen.

Der Nationale Impfplan enthält hierzu folgende Äußerung: »Eine Impfpflicht steht nur dann nicht außer Verhältnis zu den mit ihr verbundenen Eingriffen, wenn gegen Krankheiten mit klinisch schwerem Verlauf und der Gefahr epidemischer Verbreitung geimpft werden soll. In allen übrigen Fällen ergibt eine Abwägung das Überwiegen des Rechts des Einzelnen, über eine Impfung frei zu entscheiden, über den Auftrag des Staates, vor Krankheiten zu schützen, und über die Interessen der potentiell von einer Krankheit Bedrohten« (vgl. Geschäftsstelle Nationaler Impfplan).

Eine Impfpflicht, die Kindern den Besuch der Kita nur erlaubt, wenn sie alle empfohlenen Schutzimpfungen oder bestimmte Schutzimpfungen nachweisen können, kollidiert zunächst mit dem Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz. Dieser Rechtsanspruch muss vom zuständigen örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe erfüllt werden. Wenn Eltern eine Impfung ablehnen, muss eine Kita zur Verfügung stehen, die das Kind ohne Impfung aufnimmt. Dieser Konflikt könnte nur durch eine umfassende Regelung im Infektionsschutzrecht und weiteren betroffenen Rechtsbereichen (z.B. Kita-Gesetz) gelöst werden, die auf eine Impfpflicht hinauslaufen.

Mögliche Mobilisierung von Impfgegnern

Bei Einführung einer generellen oder auch nur partiell gesetzlich bestimmten Impfpflicht ist es möglich, dass diese Einschränkung des Rechts auf Selbstbestimmung ein Abwehrverhalten auslöst und somit kontraproduktiv wäre. Die Einführung einer Impfpflicht könnte der Gesamtidee damit eher schaden.

Impfpflicht bedeutet Impfzwang

Einer Impfpflicht müsste bei Umsetzung ein Impfzwang folgen, dessen Durchsetzung und Wirkung fraglich ist. Es stellt sich die Frage, welche Zwangsmaßnahmen erforderlichenfalls erfolgen müssten. Die mögliche Bandbreite reicht von einer Geldbuße bis zur Umsetzung mit Polizeigewalt. Eine Impfpflicht dürfte im Einzelfall nicht durchgesetzt werden, wenn nach ärztlichem Zeugnis durch die Impfung eine Gefahr für Leben oder Gesundheit besteht. Derartige ärztliche Zeugnisse kommen in Staaten mit einer Impfpflicht durchaus zum Einsatz. Die Wirksamkeit der Impfpflicht wird damit durchbrochen.

Alternativen einer gesetzlichen Impfpflicht

Vor Aufnahme eines Kindes in die Kita soll gemäß § 34 Abs. 10a IfSG ein Nachweis darüber erbracht werden, dass zeitnah vor der Aufnahme eine ärztliche Beratung in Bezug auf einen vollständigen, altersgemäßen, nach den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission ausreichenden Impfschutz des Kindes erfolgt ist. Das Ziel dieser Regelung ist die Erinnerung an den Impfschutz vor Aufnahme und kann als »ein kleiner Bruder der Impfpflicht« verstanden werden.

Das Land Schleswig-Holstein hat bereits im Jahr 2001 eine über diese Regelung hinausgehende verpflichtende ärztliche Bescheinigung bei Aufnahme in eine Kindertagesstätte eingeführt. Damit wird das Ziel verfolgt, den Impfschutz so früh wie möglich zu vervollständigen und einen Beitrag zur Reduktion impfpräventabler Infektionskrankheiten im Kindesalter zu leisten. Diese Bescheinigung beinhaltet die Überprüfung und Dokumentation des Impfstatus.

Das Ausstellen der ärztlichen Bescheinigung

  • gibt den Ärzten die Möglichkeit zur Überprüfung und Vervollständigung des Impfschutzes
  • führt zur Information der jeweiligen Kita über den bestehenden Impfschutz der Kinder.

Die Aufnahme der Kinder erfolgt auch bei bescheinigtem unvollständigem Impfschutz. Es handelt sich also nicht um eine »verkappte Impfpflicht«. Vielmehr erinnert die ärztliche Bescheinigung an noch ausstehende Impfungen und hat damit einen starken Aufforderungscharakter zum Schließen von Impflücken. Die Bescheinigung verbleibt in der Einrichtung und soll dort jederzeit einsehbar sein. Dies wird im Rahmen der infektionshygienischen Überwachung durch die Gesundheitsämter überprüft.

Kitas können in ihrer Satzung regeln, dass sie das Ziel »masernfreie Kita« verfolgen und zum Schutz der Gemeinschaft, zur Verhinderung von Ausbruchsgeschehen und zur Vermeidung von krankheitsbedingten Ausschlüssen von Kindern und Erzieher/innen nur geimpfte Kinder aufnehmen. Die stärksten Argumente für eine solche Regelung gibt es für die im Allgemeinen gut verträgliche Masernimpfung. Konsequenterweise muss die Verpflichtung zur Impfung oder zum Nachweis einer Immunität auch für die Mitarbeiter/innen gelten, da sie ebenfalls als Infektionsquelle infrage kommen. Die Verantwortung zum Schutz der betreuten Kinder beinhaltet also den Impfschutz der Mitarbeiter/innen.

Kurz-Info zum Impfschutz

  • Impfschutz in der Kita ist individueller Schutz und Gemeinschaftsschutz.
  • Säuglinge und kleine Kinder sind durch Masern in besonderem Maße gefährdet.
  • Erwachsene wie Eltern und Personal kommen als Infektionsquelle für Masern infrage.
  • Die Gemeinschaftseinrichtungen müssen ihre Mitwirkungspflichten nach § 34 IfSG gegenüber dem Gesundheitsamt im Sinne eines bestmöglichen Infektionsschutzes konsequent erfüllen.
  • Die Regelungen zum Impfschutz in der Kita müssen der Verantwortung für die betreuten Kinder gerecht werden.
  • Kitas können in ihrer Satzung (unter bestimmten Bedingungen, siehe Fußnote) regeln, dass sie das Ziel »masernfreie Kita« verfolgen und nur geimpfte Kinder aufnehmen.
  • Die Möglichkeit einer gesetzlichen Impfpflicht wurde und wird weiterhin unter Berücksichtigung der rechtlichen Auswirkungen, der Alternativen und der Erfahrungen anderer Staaten geprüft.

Fazit

Für den Besuch einer Kita ist ein zeitgerechter Impfschutz wichtig. Dem Masern-Impfschutz kommt eine besondere Bedeutung zu. Auch Erwachsene sind eine potenzielle Infektionsquelle. Regelungen zum Impfschutz müssen der Verantwortung für den Schutz der betreuten Kinder gerecht werden. In der Kita-Satzung kann der Nachweis einer Masern-Impfung gefordert werden. Eine Masern-Impfpflicht wurde und wird weiterhin unter Berücksichtigung der Alternativen und der Erfahrung anderer Staaten geprüft.

Literatur

Robert Koch Institut (o.J.): Masern. URL: https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/M/Masern/Masern.html;jsessionid=B49E68DF899E89CF8860459BD7479405.2_cid372?cms_box=1&cms_current=Masern&cms_lv2=2394202. Robert Koch Institut (o.J.): Ständige Impfkommission (STIKO). URL: https://www.rki.de/DE/Content/Kommissionen/STIKO/stiko_node.html. Nationale Lenkungsgruppe Impfen (Hrsg.): Generischer Leitfaden für das Management von Masern- und Rötelnfällen und -ausbrüchen in Deutschland. URL: https://www.lgl.bayern.de/gesundheit/praevention/impfen/doc/2019_02_05_management_mr_leitfaden_finale_fassung.pdf. Geschäftsstelle Nationaler Impfplan (Hrsg.) (2012): Nationaler Impfplan. Impfwesen in Deutschland – Bestandsaufnahme und Handlungsbedarf. URL: http://nationale-impfkonferenz.de/wp-content/uploads/sites/10/2014/10/Nationaler-Impfplan.pdf. Landesverordnung über Mindestanforderungen für den Betrieb von Kindertageseinrichtungen und für die Leistungen der Kindertagespflege (Kindertagesstätten- und -tagespflegeverordnung – KiTaVO), § 1. Fußnote Anm. d. Red.: Die derzeitige Rechtslage ist bezüglich der Frage, ob Kitas in ihrer Satzung regeln können, dass eine Aufnahme nur bei nachgewiesener Masernimpfung erfolgt, bislang nicht eindeutig geklärt. Zumindest in Bezug auf kommunale Einrichtungen wird dies kritisch gesehen, da ohne eine gesetzliche Impfpflicht ein Ausschluss einzelner Kinder dem Recht auf frühkindliche Förderung nach § 24 SGB VIII entgegenstehen würde.