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Das mach’ ich doch mit links!

Der bekannte Ausspruch aus der Überschrift dieses Beitrags ließe ich auch anders lesen: Als stolzer Widerspruch gegen eine rechtsdominierte Umwelt. Doch viele linkshändige Kinder passen sich stattdessen – oft still und leise – ihrer Umgebung an und schulen sich selbst zu Rechtshänderinnen und -händern um. Damit – das zeigen Forschungen – fügen sie sich erheblichen Schaden zu. Kitas sind daher aufgerufen, linkshändige Kinder zu erkennen und sie bei der Ausbildung ihrer angeborenen Händigkeit zu unterstützen.

 

Linkshändigkeit ist weiter verbreitet als vermutet.

Linkshändigkeit ist weiter verbreitet als vermutet.

In jeder Kita gibt es Kinder, die die linke Hand nutzen, wenn sie malen, essen oder Zähne putzen. Früher war es dann gang und gäbe, sie zu ermahnen, die »liebe« Hand zu verwenden, oder sie sogar – mit drastischen Maßnahmen, wie dem Abbinden der linken Hand – dazu zu zwingen, diese Dinge mit rechts zu erledigen. Inzwischen ist eine solche bewusste Umschulung glücklicherweise nicht mehr Usus.

Viele Kinder schulen sich selbst um

Trotzdem wechseln Kinder, die eigentlich Linkshänderinnen bzw. -händer sind, noch immer das »Lager«. Ihre Umgebung ist so sehr von (vielfach vermeintlich) rechtshändigen Menschen geprägt und gestaltet, dass es vielen nicht gelingt, sich diesem unbewussten Diktat zu widersetzen. Sie erleben, wie Eltern und Erzieher/innen, die sie beobachten, und deren Vorbild sie nachahmen, die rechte Hand als dominante Hand nutzen. Sie finden Arbeitsmittel wie Scheren und Messer vor, die sich mit der linken Hand partout nicht bedienen lassen wollen. Auch das Öffnen und Schließen von Türen und Fenstern mit herkömmlichen Beschlägen ist für Linkshänderinnen und -händer recht unpraktisch. Die Liste ließe sich weiter fortsetzen.

Dominate Hirnhälfte prägt die Händigkeit

Vielen gilt es als unproblematisch, wenn Kinder dadurch quasi beiläufig ihre Händigkeit wechseln. Das ist es jedoch ganz und gar nicht. Denn auch wenn sich Kinder quasi selbst umschulen – sie werden immer ein Gehirn behalten, dessen rechte Hemisphäre dominant ist, und das sie damit zu Linkshänderinnen bzw. -händern macht. Die Händigkeitsforscherin Dr. Johanna Barbara Sattler schreibt in ihrem Buch »Der umgeschulte Linkshänder oder der Knoten im Gehirn«: »Die Umstellung der angeborenen Händigkeit ist einer der massivsten Eingriffe in das menschliche Gehirn. […] Durch den bevorzugten Gebrauch der nicht dominanten Hand, besonders zum Schreiben, kommt es im Gehirn oft zu schwersten Störungen und Irritationen, die den Menschen individuell meist sehr belasten und Auswirkungen für sein ganzes Leben haben können«.

Negative Folgen einer Umschulung

Umgeschulte Linkshänderinnen und Linkshänder leiden dadurch oft unter diesen oder ähnlichen typischen Primärfolgen:

  • Sie können Gelerntes weniger gut aus ihrem Gedächtnis abrufen.
  • Sie haben Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren.
  • Sie ermüden schnell.
  • Sie leiden unter Lese- und Rechtschreibschwierigkeiten.
  • Sie zeigen eine Links-Rechts-Unsicherheit.
  • Sie entwickeln Sprachprobleme.
  • Sie kämpfen mit der Feinmotorik, besonders beim Zeichnen und Schreiben.

Diese Herausforderungen zu kompensieren, fordert umgeschulten Linkshänderinnen und Linkshändern einen großen Energieeinsatz ab. Sie haben es dadurch schwerer, ihre Intelligenz zu nutzen und zu zeigen.

Diese Situation mündet bei Kindern nicht selten in Sekundärfolgen wie Minderwertigkeitsgefühlen, Unsicherheit, Trotzverhalten und Widerspruchsgeist, Nägelkauen oder erneutes Bettnässen. Emotionale Probleme ziehen sich oft bis ins Erwachsenenalter und zeigen sich durch neurotische oder psychosomatische Symptome.

Bei Rechtshänderinnen und Rechtshändern, die z.B. infolge eines Unfalls mit links schreiben müssen, zeigen sich übrigens genau dieselben negativen Umschulungsfolgen.

Sind 50% der Menschen eigentlich linkshändig?

Das Phänomen sei keine Randerscheinung, gibt Sattler zu bedenken: Zwar gingen Statistiken nach wie vor von einem Anteil linkshändiger Menschen von unter 10% aus. Genetikerinnen und Genetiker schätzen den Anteil der Personen, deren linke Hand dominant ist, jedoch auf rund 50%. In bayerischen Grundschulen liege der Anteil links schreibender Kinder heute beispielsweise bereits zwischen 20 und 30%.

Das bedeutet: Kita-Leitungen, -Teams und -Träger müssen sich mit dem Thema »Händigkeit« auseinandersetzen und ein Konzept für den Umgang damit erarbeiten. Denn Kinder sind in Gefahr, wenn sie keine Unterstützung dabei erhalten, ihre natürlich veranlagte Händigkeit zu entwickeln.

Was können Kitas tun?

Kita-Leitungen sollten sich bei der Aufnahme eines Kindes mit seinen Eltern zum Thema Händigkeit austauschen. Viele Eltern haben nämlich bereits Beobachtungen dazu gemacht und ihr Kind als rechts- oder linkshändig erlebt.

Händigkeit wird vererbt

Händigkeit vererbt sich. Daher kann es aufschlussreich sein, im Elterngespräch zu erfragen, welche Veranlagungen Mutter und Vater sowie die Großeltern in diesem Punkt besitzen. Vielfach ist diese Frage jedoch nicht einfach korrekt zu beantworten, da sich umgeschulte Linkshänderinnen und Linkshänder dieser Tatsache oft nicht bewusst sind. Die Aussage »Linkshändigkeit gibt es in unserer Familie nicht« muss also nicht bedeuten, dass ein Kind nicht linkshändig sein kann. Ich erlebe häufig, dass sich gerade Eltern, die selbst eigentlich Linkshänderinnen und -händer sind, besonders vehement gegen die Vorstellung wehren, ihr Kind könne eventuell linkshändig sein.

Eltern über Umschulungsfolgen informieren

Es ist auch vor diesem Hintergrund sehr wichtig, Eltern über die negativen Folgen jeglicher »Umschulung« zu informieren. Denn auch wenn sie scheinbar ganz problemlos und nebenbei geschieht, fügt sie den Kindern Schaden zu.

Da Aufnahmegespräche noch viele weitere Themen zum Inhalt haben, ist es sinnvoll, Informationen zur Händigkeit darüber hinaus auf anderen Wegen zu kommunizieren – z.B. auf Elternabenden, in Aushängen oder einem Elternbrief. Beraterinnen und Berater zum Thema Händigkeit unterstützen dabei gerne.

Kinder gut beobachten

Manchmal ergibt das Elterngespräch, dass die Händigkeit eines Kindes nicht eindeutig ist. Besonders in diesen Fällen sollten die Fachkräfte die Jungen oder Mädchen in der Kita genau beobachten. Daraus können sie Rückschlüsse über die Händigkeit gewinnen. Besonders aussagekräftig sind dabei Bewegungen, die ungewohnt sind, die ganz schnell erfolgen müssen oder die ein besonderes Fingerspitzengefühl verlangen. In diesen Situationen greifen Menschen oft ganz intuitiv zur bevorzugten Hand – auch dann, wenn sie es sich für viele alltägliche Verrichtungen bereits angewöhnt haben sollten, die rechte Hand zu nutzen.

Händigkeitsberatung aufsuchen

Gelingt es Eltern und Fachkräften nicht, zu einer sicheren Einschätzung der Händigkeit eines Kindes zu gelangen, empfiehlt es sich, eine Fachperson zu Rate zu ziehen. Ich führe in solchen Fällen eine Diagnostik nach Dr. Johanna Barbara Sattler durch, für die ich zertifiziert bin. Dafür nehme in zuerst die Ist-Situation und die Geschichte des Kindes auf (Anamnese). Bei einem weiteren Termin nutze ich bestimmte Geschicklichkeitsspiele und Übungen, um die Händigkeit zu ermitteln. Das Wissen um die Aussagekraft unterschiedlicher Diagnoseverfahren sowie meine langjährige Erfahrung helfen mir bei der Einschätzung.

Vorbild sein

Ideal ist es, wenn ein Kita-Team über Mitglieder verfügt, die selbst Linkshänderinnen bzw. Linkshänder sind und linkhändigen Kindern als Vorbilder dienen können. Gibt es diese Kolleginnen und Kollegen nicht, können sich Erzieherinnen und Erzieher von einer Fachperson zeigen lassen, welche Haltung linkshändige Menschen einnehmen können, um entspannt und unverkrampft zu malen und zu schreiben und dieses Wissen an linkshändige Kinder weitergeben.

Passende Werkzeuge bereitstellen

In eine Kita gehören neben den üblichen Werkzeugen für Rechtshänderinnen und Rechtshänder immer auch solche für Personen, die die linke Hand bevorzugen. Das gilt z.B. für Scheren, Füllfederhalter, Bleistiftspitzer sowie Geräte in Garten und Werkstatt.

Ein Gang durch die Kita in Begleitung einer Händigkeitsexpertin oder eines -experten zeigt, wo es Verbesserungspotenziale gibt. Ein Beispiel ist der für rechtshändige Personen gedeckte Mittagstisch – mit dem Löffel oberhalb des Tellers, dessen Stiel auf die rechte Seite weist, sowie mit dem Messer rechts und der Gabel links vom Teller. Alternativ könnten sich die Kinder das Besteck aus Boxen von der Tischmitte selber nehmen und es dann so ablegen, wie es für sie stimmt.

Bei der Anschaffung können Kita-Teams darauf achten, dass Spielzeug zentriert ist. So können es rechts- und linkshändige Kinder gleichermaßen gut nutzen. Gegenstände sollten diskriminierungsfrei sein. Das heißt z.B., dass Tassen ihr hübsches Dekor auf beiden Seiten aufweisen.

Beidhändig? – Gibt es das?

Manche Menschen behaupten von sich, beidhändig zu sein. Der Forschung zufolge ist dies jedoch kein erstrebenswerter Zustand und zumeist Ausdruck einer beginnenden (unbewussten) Umschulung. Menschen entwickeln nämlich bereits im Mutterleib eine dominante Hirnhälfte. Ist es die linke, bevorzugen sie die rechte Hand. Ist es die rechte, ist die linke Hand die Schreibhand.

Lange Zeit galt Beidhändigkeit (Ambidextrie) als Ideal. Ein Versuch zu Beginn des letzten Jahrhunderts, Kindern in der Schule das Schreiben mit beiden Händen beizubringen, ist jedoch gescheitert. Sowohl Rechts- als auch Linkshänderinnen und -händer entwickelten daraufhin überproportional häufig Lernschwierigkeiten.

Fazit

Eine Kita, die auf Händigkeit achtet, und die Einrichtung mit für beide Händigkeiten passenden Materialien ausrüstet, rückt das Thema dadurch gleichzeitig ins Bewusstsein von Kindern und Eltern. Es wird ganz automatisch Gegenstand der Auseinandersetzung und Diskussion. Die unhinterfragte Rechtsdominanz der Umgebung wird durchbrochen, und es entsteht der nötige Freiraum, damit linkshändige Kinder ihre Händigkeit gut entwickeln können. Es ist also gar nicht so schwer.

Link-Tipps

Praxistipps für die Kita gibt es auf der Website der österreichischen Linkshänder-Initiative unter http://www.linkshaender.at

Linkshänderberaterinnen und -berater listet die Erste deutsche Beratungs- und Informationsstelle für Linkshänder und umgeschulte Linkshänder e.V. unter http://lefthander-consulting.org