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»Das schreibe ich auf!«

Unsere Kindertagesstätten sind oft schriftfreie oder schriftarme Räume, was aber nicht der Lebenswelt der Kinder entspricht. Vieles ist ausschließlich mit Bildern oder Symbolen gekennzeichnet, schriftsprachliches Material zur freien Verfügung finden die Kinder kaum. Im Hinblick auf das kindliche Interesse am geschriebenen Wort, sollten wir überlegen, wann und wo wir den Kindern die Möglichkeit bieten können, sich ungezwungen und spielerisch damit auseinanderzusetzen. Dafür bieten sich die Rollenspielbereiche unserer Kindertagesstätten hervorragend an.

schriftsprachliches Material als Bereicherung

Vielfältige Begegnungen im Sinne eines entdeckenden, spielerischen Zugangs gehören im Elementarbereich zur sprachlichen Bildung grundlegend dazu (vgl. BEP 2013, S. 206). Kinder sind täglich von Schriftsprache umgeben. Wenn wir bewusst darüber nachdenken, erkennen wir, dass uns überall in unserem Leben Schrift begegnet. Natürlich nehmen die Kinder diese große Bedeutung wahr und erkennen, dass Lesen und Schreiben in unserer Erwachsenenwelt ständig passiert. Auch sie wollen ein Teil dessen sein: Sie tun als ob sie die Zeitung lesen, sie wollen auch einen Einkaufszettel schreiben, sie erkennen einzelne Buchstaben oder Schriftzüge wieder. Vielleicht lernen sie sogar, ihren Namen zu schreiben. Dieses Interesse an Schrift, Schriftsprache und Buchstaben gilt es zu erhalten. Ziel sollte im Vorschulalter allerdings nicht der möglichst frühe Schriftspracherwerb sein, sondern das Wecken bzw. der Erhalt des Interesses und der Lust an Buchstaben und Schrift. Denn nur was die Kinder mit Lust erleben, was sie interessiert und emotional bewegt, lernen und merken sie sich dauerhaft (vgl. BEP 2013, S. 17).

Doch wie kann dies ohne Zwang, Druck und Verschulung bereits in der Kindertagesstätte umgesetzt werden? Obwohl sich die Implementierung der Förderung des Schriftspracherwerbs in den meisten Konzepten deutscher Kindertagesstätten wunderbar umsetzen lässt (vgl. Kammermeyer 2010, S. 73), ist der Rollenspielbereich in den Kindertagesstätten ein wenig beachtetes Setting in diesem Zusammenhang.

Im Rollenspiel spielen die Kinder ihre Lebenswelt und ihre Erlebnisse und Erfahrungen darin nach. Sie können so ihre Alltagserfahrungen spielerisch verarbeiten. Die Kinder können im Spiel ihre Identität entwickeln und in die Gesellschaft hineinwachsen (vgl. BEP 2013, S. 19). Es wäre also sinnvoll den Kindern die Möglichkeit zu geben, die alltäglichen Begegnungen mit Schriftsprache in ihr Rollenspiel zu integrieren.

Rollenspiel

Als Rollenspiel verstehen wir »So-tun-als-ob-Spielaktivitäten« von mindestens zwei Teilnehmern, die aufeinander abgestimmt sind. Im Rollenspiel haben die Kinder die Möglichkeit, ihre Vorstellung von der Welt umzusetzen und die Handlungen und (Lösungs-)Strategien, die sie sich überlegen, auszuprobieren und bei Bedarf anzupassen. Sie machen sich die Welt, in der sie leben, verständlich und sich selbst darin bedeutsam. Kinder sind mit ca. 3 Jahren in der Lage, soziale Rollen (Mutter, Arzt o.ä.) nachzuahmen. Die Fähigkeiten im Spiel und die Entwicklung des Kindes bedingen sich dabei wechselseitig: Spielen fördert die Entwicklung verschiedener Fähigkeiten, die Fähigkeiten des Kindes sind aber wiederrum Voraussetzung für weitere Entwicklungsschritte (vgl. Bürki 1998, S. 21 ff.).

Studien belegen Kohärenz

In der deutschsprachigen Literatur ist der Zusammenhang von Rollenspiel und Literacykompetenzen kaum zu finden und diese Idee ist hier weitestgehend unbeachtet. In der englischsprachigen Literatur sind diese Ansätze hingegen schon seit vielen Jahren vertreten. Morrow zeigte bereits 1990 in einer Studie, dass die beobachtbaren Lese- und Schreibhandlungen der Kinder signifikant ansteigen, wenn das Rollenspiel mit schriftsprachlichem Material angereichert wird. Unter schriftsprachlichem Material werden an dieser Stelle verschiedene Stifte, Papier, Bücher, Kalender, Umschläge und ähnliches verstanden. Die größte Steigerung lässt sich feststellen, wenn sowohl der Rollenspielbereich und das (schriftsprachliche) Material thematisch spezifiziert sind, als auch entsprechende Spielvorschläge des pädagogischen Personals eingebracht werden. Diese Beobachtung wird auch durch diverse andere Studien untermauert (vgl. Kammermeyer/Molitor 2005).

Rollenspielbereiche umgestalten

Das Rollenspiel bietet sich insofern für die Implementierung von schriftsprachlichem Material an, da die Kinder an dieser Stelle sowohl einen emotionalen, als auch einen kognitiven Zugang zu Lese- und Schreibhandlungen haben (vgl. Kammermeyer 2007, S. 237). Der Rollenspielbereich vieler Kindertagesstätten ist erfahrungsgemäß mit einer Küche, Puppen und Verkleidungsmaterial ausgestattet. Dieser lässt sich mit einfachen Mitteln zu einer äußerst schriftsprachlich anregenden Umgebung umgestalten. Praktisch bietet sich also an, anstatt der klassischen Puppenküche ein Postamt, eine Arztpraxis, einen Supermarkt oder ein anderes alltägliches Setting einzurichten.

Die Vorbereitung dieses Spielbereichs bietet enorm viele Sprachanlässe für Kinder und Personal: Alle Beteiligten müssen sich auf ein Thema einigen, es muss überlegt werden, welche Materialien gebraucht werden und wie der Raum gegebenenfalls umstrukturiert werden kann. Des Weiteren hat das pädagogische Personal so einen Einblick in die Situationen, die die Kinder kennen, die sie bewegen, die sie spielen wollen.

Bei der Ausstattung des Rollenspielbereichs liegt ein besonderes Augenmerk auf der Auswahl und Bereitstellung des schriftsprachlichen Materials: In der Arztpraxis gibt es einen Empfangsbereich mit Terminkalender, Notizzetteln, Patientenakten, Briefen, verschiedenen Stiften und Markern. Hier können die Kinder Termine in den Kalender eintragen und markieren, wenn der Patient da war, Briefe zum Verschicken vorbereiten, Papiere sortieren, etc. Außerdem kann ein Wartezimmer mit Zeitschriften, Büchern und Prospekten eingerichtet werden.

Die Patienten können dort sitzen, die Zeitschriften lesen und sich darüber unterhalten. Im Behandlungszimmer gibt es einen Rezeptblock, Fachliteratur und einen Computer. Der Arzt kann sein Untersuchungsergebnis aufschreiben oder eintippen, Rezepte ausstellen und Fachbücher lesen. Ein einfacher Arztbesuch kann also, wenn man bewusst den Fokus darauf legt, ein Anlass zu vielen schriftsprachlichen Handlungen sein.

Im Spiel bringt sich das pädagogische Personal als Patient/in, Arzt/Ärztin oder Arzthelfer/in ein und lässt dabei das Nachschlagen im Fachbuch oder ähnliche Handlungen einfließen, um die Nutzung von schriftsprachlichem Material noch mehr zu unterstützen. Das gemeinsame Spiel ist insofern von großer Bedeutung, da die »gemeinsame Aufgaben- und Problemlösung mit Erwachsenen und anderen Kindern und der kommunikative Austausch, der hierbei stattfindet, den Kindern ein ideales Lernumfeld« bieten (BEP 2013, S. 17). Die Interventionen der pädagogischen Fachkraft sind in diesem Fall nicht geplant, sie beobachtet die Spielsituation der Kinder und gibt passende Handlungsimpulse.

Neben den schriftsprachlichen Anregungen, bieten Rollenspielbereiche, die entsprechend gestaltet sind, den Kindern natürlich auch vielfältige Sprechanlässe. Durch die thematische Gestaltung dieser erweitern die Kinder ihren Wortschatz um Worte, die für diesen Bereich typisch sind. Auch die pragmatische Sprachkompetenz üben die Kinder innerhalb dieses Settings: Sie werden, um im Beispiel zu bleiben, andere Worte, Höflichkeitsformeln und Syntax benutzen, wenn sie der Arzt sind, als wenn ihre Rolle die des kranken Babys ist (vgl. Hofmann 2018).

Sorge der Verschulung

Pädagogische Fachkräfte äußern in Bezug auf Literacykompetenzen die Sorge, dass schulische Inhalte in den Elementarbereich vorverlegt werden. Einerseits würden so die Kinder zunächst überfordert, andererseits dafür gesorgt, dass sich die Kinder in der Schule langweilen. Allerdings sind die Impulse, die alle Kinder auf diese Weise bekommen, so wichtig für ihre Entwicklung, dass diese Sorge absolut zu vernachlässigen ist. Kammermeyer (vgl. 2007, S. 205) beschreibt, dass durch viele Berührungspunkte mit Schriftsprache im Kindergarten ein aktiver Beitrag zur Chancengleichheit beim Schulanfang geleistet wird. Wir sollten also weniger sehen, dass der Kindergarten verschult wird, als mehr darum bemüht sein, den Kindern die Möglichkeit zu bieten, die Welt der Buchstaben und Worte im Spiel zu entdecken. Sie lernen keine Buchstaben, aber sie erschließen sich die Funktion von Schrift und erfahren so, warum das geschriebene Wort für uns Erwachsene so wichtig ist. Nichtsdestotrotz kann sich diese Erkenntnis auf den Erwerb von Lese- und Schreibkompetenzen motivierend auswirken.

Fazit

Resümierend zur Implementierung von schriftsprachlichem Material ist folglich festzustellen, dass das Interesse und die Freude an der Schriftsprache mit kleinen Veränderungen gehalten und sogar gesteigert werden kann. Wir legen all diesen Überlegungen ein entwicklungsorientiertes Verständnis von Schriftsprache zu Grunde: Kein Kind muss dieses Material nutzen, wir können ihm auch nicht vorscheiben, wie beispielsweise der Kalender zu benutzen ist, wir können das Kind aber einladen und ihm im Spiel Möglichkeiten bieten, sich mit seiner Lebenswelt – und dazu gehört schriftsprachliches Material absolut – auseinanderzusetzen. Ebenso wie schriftsprachliches Material eingeführt werden kann, lassen sich in den beschriebenen Rollenspielsettings auch mathematische Entwicklungsprozesse in ähnlicher Form anstoßen. Um im Beispiel der Arztpraxis zu bleiben kann dies bedeuten, dass die Patienten in einer bestimmten Reihenfolge aufgerufen werden, Medikamente bezahlt werden müssen oder der Patient gemessen und gewogen wird. Auch diese Liste lässt sich beliebig erweitern.

Literatur

Bayerisches Staatsministerium für Arbeit uns Sozialordnung, Familie und Frauen, Staatsinstitut für Frühpädagogik (Hrsg.) (2013): Der Bayerische Bildungs- und Erziehungsplan für Kinder in Tageseinrichtungen bis zur Einschulung – BEP. 2. Aufl.

Bürki, D.(1998): Vom Symbol zum Rollenspiel. In: Zollinger, B. (Hrsg.) (1998): Kinder im Vorschulalter. 3. Aufl.

Hofmann, B. (2018): Schaffen Sie eine förderliche Raumgestaltung für die sprachliche Entwicklung. In: Sprachförderung in der Kita.

Kammermeyer, G./Molitor, M. (2005): Literacy Center – ein Konzept zur frühen Lese- und Schreibförderung in Theorie und Praxis. URL: http://www.kindergartenpaedagogik.de/1890.html (Zugriff am 18.01.2018).

Kammermeyer, G. (2007): Mit Kindern Schriftsprache entdecken. In: Geschäftsstelle der Stiftung Bildungspaket Bayern (Hrsg.): Das KIDZ-Handbuch. 1. Aufl.

Kammermeyer, G. (2010): Förderung des frühen Schriftspracherwerbs im Rollenspiel. In: Spiel, C./Schober, B./Wagner, P./Reimann, R. (Hrsg.): Bildungspsychologie.