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Demokratische Partizipation in Kitas – Anforderungen auch an Träger

Eine nachhaltige Umsetzung von Partizipation erfordert, dass Kita-Teams mit diesem Thema nicht alleine gelassen, sondern durch Leitungen und Träger systematisch angeregt und unterstützt werden. Der folgende Text skizziert dies u.a. vor dem Hintergrund zweier Modellprojekte: der Verankerung von Partizipation in den Kitas der AWO Schleswig-Holstein gGmbH und dem Trägerprojekt der Bertelsmann Stiftung im Rahmen des Projekts »jungbewegt«.

Demokratische Partizipation

Kinder haben ein Recht auf Beteiligung und Beschwerde im Kita-Alltag.

Partizipation als Recht auf Mitentscheiden und Mithandeln der Kinder

Lange Zeit beruhten Fortbildungen zum Thema »Partizipation« i.d.R. auf der Initiative der einzelnen Kindertageseinrichtungen. Obwohl die Verpflichtung zur Partizipation von Kindern schon seit 1990 im SGB VIII verankert ist (u.a. in § 8), war für pädagogische Fachkräfte in Kindertageseinrichtungen die Beschäftigung mit dem Thema »Partizipation« lange eine Aufgabe neben anderen. 2012 wurde im Zusammenhang mit der Verabschiedung des Kinderschutzgesetzes der Nachweis von Partizipation und Beschwerdeverfahren von Kindern zu einer Voraussetzung für die Erteilung der Betriebserlaubnis (§ 45 SGB VIII). Seitdem wird bei der Erteilung einer Betriebserlaubnis geprüft, ob Partizipation und Beschwerdeverfahren in der Konzeption dargelegt werden. Darüber hinaus muss die Einrichtung Auskunft über Maßnahmen zur Qualitätsentwicklung und -sicherung bezüglich dieser Punkte geben. Damit ist Partizipation zu einem verpflichtenden Merkmal der pädagogischen Arbeit in Kitas geworden – und damit auch zu einer Aufgabe von Trägern.

Partizipation als Verantwortung von Trägern

Wenn Partizipation die Rechte von Kindern schützen muss, kann es nicht ausreichen, Beteiligung von Kindern in den Konzeptionen zu verankern. Es muss vor allem immer geklärt sein, wie Partizipation im Kita-Alltag für alle Kinder realistisch möglich ist. Die langjährigen Erfahrungen aus den Konzepten »Die Kinderstube der Demokratie« (Hansen/Knauer/Sturzenhecker 2011) und »Mitentscheiden und Mithandeln in der Kita« (Hansen/Knauer 2015) weisen darauf hin, dass die Realisierung von Partizipation letztlich immer davon abhängt, ob die pädagogischen Fachkräfte Partizipation wollen und können.

Eine demokratischere Gestaltung der immer vorhandenen Machtverhältnisse in der Kindertageseinrichtung berührt den Kern der pädagogischen Arbeit und beschäftigt sich mit Aspekten, die von den Fachkräften nicht nur fachlich verstanden, sondern von ihnen auch in Verbindung mit ihren bisherigen Erfahrungen gebracht und schließlich in ihrem Alltagshandeln umgesetzt werden muss. Pädagogische Fachkräfte sprechen in diesem Zusammenhang immer wieder davon, dass sie Partizipation in bestimmten Punkten »aushalten« müssen (u.a. Redecker et al. 2017, S. 47). Hier wird deutlich, dass Partizipation eben nicht nur eine fachliche Anforderung »von außen« ist, die es umzusetzen gilt, sondern vor allem eine Herausforderung, deren Umsetzung letztlich mit der Reflexion vielfältiger fachlicher, persönlicher aber auch biographischer Momente verbunden ist. Partizipation verlangt von den Fachkräften alte Routinen (die häufig mit »paternalistischen« oder auch »fürsorglichen« Motiven verbunden waren) zu ersetzen durch neue partizipative Routinen (zu denen die automatische Frage gehört: Was sagen denn die Kinder dazu? Ist das nicht ein Problem das die Kinder selbst lösen können bzw. das wir mit ihnen gemeinsam lösen wollen?). Partizipation trifft auf den »Kern« pädagogischer Selbstverständlichkeiten und muss damit ein Teil der Orientierungsqualität1 werden. Das erfordert die Klärung von Selbst- und Mitentscheidungsrechten der Kinder bzw. die Erarbeitung konkreter Verfahren für die Umsetzung von Partizipation. Eine nachhaltige Verankerung bedeutet, dass Partizipation im Kita-Alltag das »Selbstverständliche« und nicht mehr das »Besondere« ist. An dieser Stelle wird deutlich, dass die Einführung von Partizipation letztlich ein Organisationsentwicklungsprozess ist, in dem sich die Kita als »lernende Organisation« vor dem Hintergrund sich wandelnder Gegebenheiten immer wieder neu mit den Kinderrechten, die in der UN-Konvention als Schutz-, Förder- und Beteiligungsrechte beschrieben werden, auseinandersetzt. Eine Verankerung von Partizipation auf Trägerebene fand bundesweit erstmalig bei der AWO Schleswig-Holstein gGmbH statt.

Auf Bundesebene verfolgt das Projekt »Mitentscheiden und Mithandeln in der Kita« der Bertelsmann Stiftung (ein Teilprojekt von »jungbewegt«) das Ziel, die im Konzept »Mitentscheiden und Mithandeln in der Kita« beschriebenen Verfahren demokratischer Partizipation und Engagementsförderung über eine Kooperation mit Trägern in die Breite zu bringen.

Durch die bundesweite Anlage des Projektes kam es zu regionalen, auch trägerübergreifenden Vernetzungen und einer stärkeren Sichtbarkeit von Partizipation in der Region.

Modellprojekt »Nachhaltige Verankerung von Partizipation in den Kitas der AWO Schleswig-Holstein gGmbH«

Ziel: Partizipation nach den Kriterien des Konzepts »Die Kinderstube der Demokratie« in allen Kindertageseinrichtungen des Trägers verbindlich auch im Rahmen des Qualitätsmanagementprozesses zu verankern. Dieses Ziel wurde vom Träger Top-down verbindlich festgelegt. Gleichzeitig wurden die Kitas durch Fortbildungen darin unterstützt, »ihren« Weg zur Verankerung von Partizipation zu gehen. Diese Unterstützung beinhaltete folgende Bausteine:

  • Je eine 3-tägige Teamfortbildung zur Planung eines Partizipationsprojekts und zur Erarbeitung einer Kita-Verfassung;
  • drei Veranstaltungen zur Begleitung der Leitungskräfte;
  • vier Teilvollversammlungen, zur Erreichung aller Mitarbeiter;
  • Unterstützung durch eine Koordinationsfachkraft.

Bei Vorliegen der Voraussetzungen werden die Kitas als »Demokratie-Kita« zertifiziert bzw. re-zertifiziert. Bis heute haben zehn Kindertageseinrichtungen diese Zertifizierung erhalten, weitere Zertifizierungsanträge befinden sich aktuell in Prüfung (Weitere Informationen: Redecker et al. 2017).

Mitentscheiden und Mithandeln in der Kita – Trägerprojekt

In der dritten Phase des Projekts »jungbewegt« der Bertelsmann Stiftung steht der Transfer des Konzepts »Mitentscheiden und Mithandeln in der Kita« in möglichst vielen Einrichtungen im Vordergrund. Insgesamt konnten 16 Träger in 12 Bundesländern gewonnen werden.

Bausteine dieses Projekts sind:

  • Qualifizierungen von MultplikatorInnen. Diese wiederum führen i.d.R. Fortbildungen zu Partizipations- und Engagementprojekten durch bzw. erarbeiten eine Kita-Verfassung.
  • Je zwei Leitungscoachings pro Jahr je teilnehmendem Träger.
  • Jährliches Vernetzungstreffen der Träger auf Bundesebene.
  • Eine jährliche Sommerakademie für ausgebildete MultplikatorInnen.
  • Weiterentwicklung von Materialien für demokratische Partizipation und Engagementsförderung.

(Weitere Informationen: www.jungbewegt.de).

Partizipation als didaktische Herausforderung

Die Betonung der Trägerverantwortung in Bezug auf die Umsetzung gesetzlicher Regelungen birgt die Gefahr, dass versucht wird, Partizipation vor allem Top-down umzusetzen. Da Pädagogik sich aber immer im konkreten Handeln vollzieht, müssen solche Anforderungen immer durch die einzelnen Fachkräfte selbst interpretiert und umgesetzt werden. Daher kann Partizipation nur gelingen, wenn sie auch als Aneignungsprozess der Fachkräfte selbst verstanden wird und der von FortbildnerInnen, Leitungen aber auch Trägern didaktisch begleitet wird. Die Konzepte »Kinderstube der Demokratie« und »Mitentscheiden und Mithandeln in der Kita« richten sich zunächst an die pädagogischen Fachkräfte. Beide Konzepte gehen davon aus, dass Kinder darauf angewiesen sind, dass ihnen die pädagogischen Fachkräfte Rechte zugestehen und ihre Wahrnehmung ermöglichen.

Daher arbeiten beide Konzepte mit Teamfortbildungen. In diesen begleiten qualifizierte MultiplikatorInnen Teams dabei ein Beteiligungsprojekt zu planen oder eine Kita-Verfassung umzusetzen.2 Teams können so für ihre Kinder und Familien vor dem Hintergrund ihrer konkreten Voraussetzungen (in Bezug auf Kinder, Sozialraum, Rahmenbedingungen, Team etc.) geeignete Verfahren von Partizipation entwickeln. In diesen Prozessen spielen Kita-Leitungen eine besondere Rolle. Sie sind es, die fachliche Entwicklungsprozesse im Team anstoßen, fordern, begleiten und am Laufen halten können. Leitungen sind insbesondere bei der Einführung und Konzeptionierung von Partizipation in ihren Einrichtungen vor allem auf folgenden Ebenen herausgefordert:

  • Sie müssen sich selbst zu Partizipation positionieren und ihr Team vom Thema überzeugen und begleiten.
  • Sie werden immer wieder damit konfrontiert, dass Partizipation auch ihre eigene Rolle als Leitung tangiert bzw. hinterfragt.

Eine Nachhaltigkeit von Partizipation entsteht aber erst, wenn es gelingt, die Praxis von Partizipation auch angesichts personeller Wechsel zu verstetigen. Dies weist in zwei Richtungen:

  • Einerseits ist die Leitung gefordert, neue Fachkräfte immer wieder mit der konkreten Praxis von Partizipation in ihrer Einrichtung vertraut zu machen.
  • Andererseits gilt es ebenso neue Leitungen, die auf ein partizipationserfahrenes Team treffen, darin zu unterstützen sich die verschiedenen Aspekte von Partizipation anzueignen.

In beiden Fällen ist auch der Träger gefordert. Im ersten Fall braucht es ein möglichst auch auf Trägerebene angesiedeltes Personalentwicklungskonzept, das Routinen der Qualifizierung neuer Fachkräfte zu zentralen Themen (hier Partizipation) beinhaltet. Im zweiten Fall ist der Träger gefordert, neue Leitungen in Partizipationsorientierung einzuarbeiten und zu unterstützen.

Partizipation als übergreifendes Prinzip

Demokratische Partizipation bezieht sich nie nur auf die Beteiligung von Kindern. Es geht immer um das ganze System einer pädagogischen Einrichtung.

Partizipation der Kinder hat immer auch mit der Frage zu tun, welche Beteiligungsrechte Eltern haben. Gerade die Frage nach Selbstbestimmungsrechten der Kinder (z.B. bei Fragen des Essens oder der Kleidung) führt bei Eltern schnell zu Fragen: Kann mein Kind solche Entscheidungen schon selbst treffen? Wird es dann nicht krank? Ist es nicht überfordert? Eltern haben ein Recht darauf, dass Fachkräfte ihr Handeln begründen und sich mit ihren Wünschen und Befürchtungen auseinandersetzen. Auch hier geht es um Aushandlungsprozesse. Gleichzeitig führt die Beschäftigung mit dem Thema Partizipation schnell auch zur Thematisierung der Machtkonstellationen innerhalb der Kita, also Partizipation des Teams: Die Kinder werden beteiligt – aber was ist mit uns? Damit ist Partizipation immer auch mit der Klärung demokratischer Entscheidungsprozesse in der Kita bzw. im Träger verbunden. Kitas, die sich intensiv mit Partizipation beschäftigt haben, haben inzwischen beide Themen aufgegriffen: es gibt erste Kitas, die ihre Kita-Verfassung um eine Eltern-Verfassung erweitert haben (Redecker 2016) und erste Kitas haben sich mit dem Thema einer Mitarbeiter-Verfassung beschäftigt.3

Partizipation in der Qualitätsentwicklung

Beteiligungs- und Beschwerderechte von Kindern sind nicht nur Voraussetzung für die Erteilung einer Betriebserlaubnis, sondern müssen auch im Qualitätsmanagement nachgewiesen werden. Explizit geht es um die Darstellung, wie in Kindertageseinrichtungen die Rechte von Kindern gesichert und ihr Schutz vor Gewalt überprüft wird.

Dies verlangt von allen Trägern und Einrichtungen eine Qualitätsentwicklung, die das pädagogische Handeln (in Bezug auf Strukturen und Prozesse) in den Blick nimmt. Wenn Partizipation und Beschwerdemöglichkeiten sich im konkreten Alltagshandeln der Fachkräfte realisiert, darf Qualitätsentwicklung sich nicht auf formale Prüfungen reduzieren, sondern muss sich vor allem als didaktisches Prinzip verstehen. Welche didaktischen Anstrengungen unternimmt eine Kita, um die Anforderungen demokratischer Partizipation allen MitarbeiterInnen deutlich zu machen und alle MitarbeiterInnen darin zu unterstützen, sich damit verbundene Kenntnisse und Methoden anzueignen?4

Fazit

Träger müssen sich darüber bewusst sein, dass Partizipation eben nicht ein »nice to have« darstellt, sondern das Recht der Kinder auf Beteiligung und Beschwerde im Kita-Alltag Kernelement fachlicher Steuerung und von Qualitätsentwicklung sein muss.

Fußnoten


1 »Pädagogische Orientierungen beziehen sich auf die pädagogischen Vorstellungen, Werte und Überzeugungen der an den pädagogischen Prozessen unmittelbar beteiligten Erwachsenen … als zeitlich relativ stabile und überdauernde Konstrukte, die wie die Merkmale der Strukturqualität Rahmenbedingungen für das direkte pädagogische Handeln darstellen und somit die Prozeßqualität beeinflussen«. (Tietze 1998, S. 22).

2 Bislang wurden über 300 Multiplikator/innen für Partizipation und Engegamentförderung vom Institut für Partizipation und Bildung e.V., der Fachhochschule Kiel und der Bertelsmann Stiftung qualifiziert, näheres: www.partizipation-und-bildung.de.

3 Hier ging es um die Frage: Was dürfen Fachkräfte selbst oder mitentscheiden und welche Entscheidungen sind Leitung und/oder Träger vorenthalten. Die Teams, die sich mit dieser Frage auseinandergesetzt haben, forderten vor allem Transparenz über Entscheidungsbefugnisse und -verfahren ein (und gar nicht so stark mehr Entscheidungsrechte). Unveröffentlichte Dokumentation.

4 Eine solche Perspektive nimmt auch das schleswig-holsteinische Projekt »Pädagogische Qualität in schleswig-holsteinischen Kindertageseinrichtungen im Dialog entwickeln« ein (Kägi et al. 2018 i.E.).