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Die Methode des Bewegungsprofils – Wie nutzen Kinder die Räume?

Beobachtung und Dokumentation haben einen großen Stellenwert im pädagogischen Alltag. Die Methode des Bewegungsprofils dient als Möglichkeit, durch Beobachtung und Dokumentation die Gestaltung der Räumlichkeiten sowie deren Nutzung genauer in den Blick zu nehmen und daraus Konsequenzen für den pädagogischen Alltag abzuleiten.

Kinder im Raum beobachten

Bewegungsverhalten der Kinder im Raum beobachten

Die pädagogische Arbeit in Kindertageseinrichtungen zeichnet sich durch eine große Komplexität aus. Aufgrund dieser Komplexität ist die Reflexion und damit eine kritische Auseinandersetzung mit dem pädagogischen Alltag ein wichtiger Aspekt des pädagogischen Handelns (Nentwig-Gesemann et al. 2011, 20).

Beobachtung und Dokumentation als wichtige Bestandteile

Die Notwendigkeit einer kritischen Reflexivität der eigenen pädagogischen Praxis macht die Implementierung von alltagsnahen, systematischen Beobachtungs- und Dokumentationsverfahren unentbehrlich (Cloos und Schulz 2011, 11). Methoden des Beobachtens und Dokumentierens sollten dabei ein Verstehen und Interpretieren des pädagogischen Alltags ermöglichen. Regelmäßiges Beobachten und Dokumentieren bildet die Grundlage der »pädagogischen Planung im Sinne der Gestaltung bildungsförderlicher Beziehungen und Umwelten« (Viernickel 2011, 204) und ist damit unabdingbar, wenn es darum geht, Bildungsprozesse von Kindern zu begleiten und zu fördern. Eine bedeutsame Umwelt im pädagogischen Kontext ist der Raum, der als »bewusst vorstrukturierte und somit veränderbare Entwicklungsbedingung, die Bildungsprozesse ermöglichen oder verunmöglichen kann« (Haug-Schnabel und Bensel 2015, 5). Es ist somit von großer Relevanz für die pädagogische Arbeit, den Raum sowie dessen Gestaltung zum Gegenstand von Beobachtung und Dokumentation zu machen.

Die in diesem Beitrag vorgestellte Methode des Bewegungsprofils dokumentiert das Raumnutzungsverhalten von Kindern und ermöglicht den Fachkräften dadurch ein kritisches Hinterfragen des pädagogischen Alltags, um daraus notwenige Veränderungen abzuleiten. Insgesamt können durch ein Bewegungsprofil die Laufwege einzelner Kinder in der ganzen Einrichtung, aber auch innerhalb einzelner Räume in einem bestimmten Zeitraum sichtbar gemacht werden. Hieraus lassen sich zentrale Informationen bezüglich der Frequentierung von Räumen, bzgl. hindernder und förderlicher Faktoren in Laufwegen und Spielumgebungen oder auch bzgl. des Aktionsradius eines Kindes, bspw. in Transitionsprozessen, gewinnen.

Im Folgenden wird die Methode und deren Anwendung kurz vorgestellt, um daran anknüpfend die Potentiale dieser Methode für die Reflexion der praktischen Raumgestaltung aufzuzeigen. Anschließend werden die Chancen des Bewegungsprofils für Diskussionen und Weiterarbeit im Team sowie für die Partizipation von Kindern bei der Raumgestaltung aufgegriffen.

Die Methode des Bewegungsprofils

Die Methode entstand im Rahmen des Forschungsprojekts »TanGO« an der Hochschule in Esslingen gefördert durch das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg unter der Projektleitung von Prof. Dr. Marion Weise und Prof. Dr. Regine Morys (Weise et al. 2018, 199). Es wurde hierbei deutlich, dass die Methode des Bewegungsprofils gerade für den pädagogischen Alltag in Kindertageseinrichtungen von Fachkräften als hilfreich eingeschätzt wird.

Ein Bewegungsprofil besteht aus zwei Bestandteilen: Der Dokumentation der Raumwechselbewegungen eines Kindes und der Dokumentation der Innenraumbewegungen eines Kindes.

Die Raumwechselbewegungen zeichnen auf, wie sich das Kind im Beobachtungszeitraum in der gesamten Einrichtung bewegt. Als Grundlage für die Dokumentation dient eine Art Grundriss der jeweiligen Kindertageseinrichtung bzw. der einzelnen Räume der Einrichtung, in welche die Laufwege des Kindes eingezeichnet werden.

Beim Erstellen eines Bewegungsprofils wird zunächst der erste Raum, in dem sich das Kind aufhält, im Raumwechselprofil mit der Nummer 1 gekennzeichnet. Bei einem Raumwechsel wird im Raumwechselprofil der Weg in den anderen Raum festgehalten und mit der Nummer 2 usw. dokumentiert (siehe Abb. 1). Auf diese Weise werden alle durch das Kind aufgesuchten Räume sowie die dazwischenliegenden Laufwege nach und nach in das Raumwechselprofil eingetragen.

Für jeden aufgesuchten Raum wird ein Innenraumprofil erstellt. Hier wird durch das Aufzeichnen der Laufwege festgehalten, wie sich das Kind innerhalb des Raumes bewegt, z.B.: In welchen Bereichen hält sich das Kind vorwiegend auf? Wo holt es immer wieder Material? Wo wird dieses Material hin transportiert und gibt es dafür direkte Wege, oder muss das Kind Umwege laufen? Zusätzlich zu der bildlichen Dokumentation der Laufwege ist es für die Innenraumprofile sinnvoll, eine kurze Erläuterung zu den Spielinhalten des Kindes, dessen Tätigkeiten oder auch zu der Dauer der Tätigkeit hinzuzufügen, sodass die eingezeichneten Laufwege in einen inhaltlichen Kontext gestellt werden können und diese dadurch leichter nachzuvollziehen sind.

So werden über die gesamte Beobachtungszeit hinweg die Raumwechsel im Raumwechselprofil eingetragen und die genauen Bewegungen innerhalb eines Raumes finden im Innenraumprofil Beachtung.

Reflexion von Raumgestaltung und Raumnutzung

Durch die Auseinandersetzung mit der Methode sowie durch die Diskussionen über erstellte Bewegungsprofile mit pädagogischen Fachkräften unterschiedlicher Kindertageseinrichtungen konnten verschiedene Aspekte herausgearbeitet werden, die durch das Bewegungsprofil im Hinblick auf die Raumnutzung und die Raumgestaltung sichtbar werden.

Die Methode des Bewegungsprofils ermöglicht durch die Dokumentation der Raumwechselbewegungen die Reflexion der Häufigkeit der Nutzung und der Anordnung bestimmter Räume. Besonders in Einrichtungen, die nach dem offenen Konzept arbeiten, kann das Bewegungsprofil als aufschlussreich erachtet werden. So ergab die vergleichende Gegenüberstellung dreier Raumwechselprofile unterschiedlicher Kinder einer Einrichtung, dass die beobachteten Kinder das Spielezimmer einer Einrichtung nicht nutzten. Bei der genaueren Betrachtung fiel auf, dass dieser Raum eher etwas abseits lag und von zwei Räumen umgeben war, die lediglich für das Personal zugänglich waren. Aus diesen Gründen kam in der Diskussion die Vermutung auf, dass dieser Raum aufgrund seiner Lage eher seltener genutzt werde.

Neben diesen Erkenntnissen hinsichtlich der Anordnung und Nutzung von Räumen gibt die Methode zudem Auskunft darüber, wie einzelne Bereiche innerhalb eines Raumes genutzt werden. Pädagogische Fachkräfte halten die Methode für geeignet, um die Anordnung unterschiedlicher Bereiche im Raum zu reflektieren (Sigle 2018, 38). Ein konkretes Beispiel hierfür zeigt sich in erstellten Innenraumprofilen eines Gruppenraumes von drei unterschiedlichen Kindern. Die drei beobachteten Kinder suchten im Zeitraum der Beobachtung alle Bereiche des Raumes auf. Lediglich die Leseecke ließen sie im gesamten Beobachtungszeitraum als einzigen Bereich im Raum aus. An dieser Stelle wäre auf der Grundlage der Bewegungsprofile im Team zu diskutieren, ob es generell im Alltag der Fall ist, dass der Bereich der Leseecke von den Kindern selten aufgesucht wird und worin mögliche Gründe hierfür liegen könnten.

Zusammenfassend kann die Methode Auskunft geben über:

  • Die Häufigkeit der Nutzung einzelner Räume innerhalb der Einrichtung

  • Die Anordnung der Räume innerhalb der Einrichtung

  • Die Nutzung bestimmter Bereiche innerhalb eines Raumes

Diskussion und Weiterarbeit im Team

Die Methode des Bewegungsprofils stellt die Beobachtungen durch die Dokumentation der Laufwege einzelner Kinder bildlich dar. Darüber hinaus ist es jedoch unabdingbar, das Beobachtete und durch das Bewegungsprofil Dokumentierte im Team zu diskutieren (Cloos und Schulz 2011, 7). Durch die Diskussion der Bewegungsprofile kann ein Veränderungsbedarf ermittelt werden. Wichtig ist es dabei, die durch einzelne Bewegungsprofile erstellten Vermutungen im pädagogischen Alltag durch weitere Beobachtungen nachzuprüfen. Im genannten Beispiel der Leseecke, die von drei beobachteten Kindern nicht genutzt wurde, wäre durch weitere Beobachtungen zu prüfen, ob diese tatsächlich selten von Kindern aufgesucht wird. Bestätigt sich die Vermutung, ist die Diskussion möglicher Gründe sowie des Veränderungsbedarfs im Team notwendig.

Gleichzeitig bietet das Bewegungsprofil aber auch die Chance, Diskussionen mit den Kindern anzuregen.

Chancen der Methode für die Partizipation von Kindern

Wie in Art. 12 der UN-Kinderrechtskonvention verankert, haben Kinder das Recht, ihre Meinung zu äußern und mit ihrer Meinung berücksichtigt zu werden (UNICEF 1992, 17). Die Bewegungsprofile zeigen Muster in Raumbewegungen und -nutzungen, die damit zu neuen Fragen bzgl. des Verhaltens der Kinder führen können. Dies ist einerseits Grundlage für Diskussionen im Team sowie für weitere Beobachtungen. Gleichzeitig bieten die Bewegungsprofile vor allem einen guten Gesprächsanlass, um direkt mit Kindern über den Raum und dessen Gestaltung ins Gespräch zu kommen und sie dadurch aktiv an der Raumgestaltung zu beteiligen. Bspw. wäre es hier denkbar, mit den Kindern darüber zu diskutieren, welche Umgestaltungen notwendig sind, damit der jeweilige Raum oder ein bestimmter Raumbereich für sie ansprechender ist. Konkrete Fragen wären dabei z.B.: »Ich sehe in meinen letzten Beobachtungen, dass ihr diesen Raum nicht aufsucht. Ist meine Beobachtung richtig? Was wünscht ihr euch in diesem Raum bzw. Bereich? Was stört euch in diesem Raum bzw. Bereich? Was fehlt in diesem Raum bzw. Bereich?«

»Je selbstverständlicher es für Kinder ist, dass sie partizipieren und mitbestimmen können, dass ihre Meinung ›gefragt‹ ist […], umso mehr vertrauen sie auch den Erwachsenen und umso mehr identifizieren sie sich mit ihrer Kita« (Nentwig-Gesemann, Walther und Thedinga 2017, 89). Durch die Reflexion der Raumnutzung anhand mehrerer Bewegungsprofile können somit wenig bespielte Bereiche offenbart und es können gemeinsam mit den Kindern Ideen zur Umgestaltung erarbeitet werden.

Fazit

Die Diskussion des Dokumentierten, aber vor allem auch der Einbezug der Kinder, ist folglich wichtig, um notwendige und an den Kindern orientierte Veränderungen herauszuarbeiten. Durch die vergleichende Betrachtung unterschiedlicher Profile werden die Grundlage zur Reflexion von Raumgestaltung und Raumnutzung sowie Anlässe für Gespräche mit Kindern geschaffen. Diese Reflexionen können für die Umgestaltung sowie für die Neugestaltung von Räumen oder einzelner Raumbereiche genutzt werden.

Abschließend sind drei Schritte ersichtlich, die von Bedeutung sind, um die Methode gewinnbringend zu nutzen:

  • Beobachtung und Dokumentation: Aufzeichnung der Laufwege einzelner Kinder in Bewegungsprofilen

  • Diskussion: Gemeinsame Betrachtung und Reflexion der erstellten Bewegungsprofile im Team sowie Gespräche mit Kindern über die Gestaltung der Räume

  • Veränderungen: Herausarbeiten von möglichen Veränderungen in Bezug auf die Raumgestaltung oder -anordnung

Durch eine reflektierte und an den Kindern orientierte Raumgestaltung erfolgt die »Bereitstellung einer Betreuungsumwelt, die das kindliche Lernen indirekt unterstützt« (Faas 2014, 177) und damit gute Voraussetzungen für deren Entwicklung schafft.

Literaturhinweis

Die verwendete Literatur kann bei der Redaktion der KiTa aktuell erfragt werden: redaktion@kita-aktuell.de.