Die Bildungspläne und -empfehlungen der Bundesländer schreiben nicht verpflichtend vor, wie beobachtete Entwicklungen, Lernwege und Bildungsfortschritte zu dokumentieren sind. So ist es den Einrichtungen, bzw. häufig den Trägern überlassen, welche Form der Dokumentation sie wählen. Da sich aber gezeigt hat, dass Portfolios die größtmögliche Bandbreite an Variationen bieten und dabei die den Kindern gerechteste Form sind, tendieren immer mehr Einrichtungen zu dieser Dokumentationsform.
Die Bildungsvereinbarung NRW schreibt (S. 9): „Zur Grundlage für die interne Evaluation gehören mindestens: ... Bildungsdokumentationen über jedes einzelne Kind (sofern eine Zustimmung der Eltern oder Erziehungsberechtigten vorliegt).“ Und (S. 7): „Die Grundlage für eine zielgerichtete Bildungsarbeit ist die beobachtende Wahrnehmung des Kindes, gerichtet auf seine Möglichkeiten und auf die individuelle Vielfalt seiner Handlungen, Vorstellungen, Ideen, Werke, Problemlösungen u. ä.. Dazu wird angestrebt, dass Beobachtung und Auswertung von der pädagogischen Fachkraft notiert und als Niederschrift des Bildungsprozesses des einzelnen Kindes dokumentiert werden, wenn die Eltern oder anderen Erziehungsberechtigten sich damit in dem Vertrag über die Aufnahme des Kindes in die Tageseinrichtung schriftlich einverstanden erklärt haben.“ Damit schließt NRW gleich eine Datenschutzverletzung aus. Die Individualität des Kindes zu erkennen und zu beobachten, steht hier im Vordergrund und soll von den Erzieherinnen schriftlich dokumentiert werden.
Der Hessische Bildungs- und Erziehungsplan, „Bildung von Anfang an“, legt fest (S. 116):
„Es wird für jedes Kind eine Dokumentation angelegt. Beobachtung und Dokumentation erfolgen gezielt und regelmäßig, d.h. nicht nur anlassbezogen (etwa, wenn die Einschulung eines Kindes bevorsteht). Die Dokumentation ist inhaltlich breit angelegt und gibt Einblick in zentrale, im Bildungs- und Erziehungsplan beschriebene Entwicklungs- und Lernfelder. Innerhalb einer Einrichtung gibt es ein einheitliches Dokumentationsschema. Die Dokumentation bezieht die Sichtweisen von Kindern und Eltern ein.“
Das Portfolio als Dokumentationsform entdecken
Für das Team heißt es, herauszufinden, welche Form der Dokumentation für sie die geeignetste ist. Dabei wird vorausgesetzt, dass die Form der Beobachtung bereits feststeht.
Wurden bisher ...
- ... die Beobachtungen nach ihrer Auswertung auf formlose weiße Blätter geschrieben und in einen Ordner geheftet?
- ... Bilder der Kinder kommentarlos in Mappen gesammelt?
- ... Kunstwerke, wie Collagen, kleine Bauten und große Türme, sowie besondere Momente, bemerkt, mit einem Kommentar gewürdigt und anschließend meist schnell wieder vergessen?
- ... Beobachtungen zwar reflektiert und ausgewertet, die Ergebnisse aber meist nur handschriftlich unter die Beobachtungsbögen notiert und bald wieder vergessen?
Das Portfolio bietet einen Raum, alles zu dokumentieren, was mit der (Lern-) Entwicklung jedes einzelnen Kindes zu tun hat. Dabei entscheiden stets die Kinder, was sie ins Portfolio aufnehmen möchten – Erzieher sind Begleiter und Berater.
Der Fokus liegt also nicht allein auf den Bildungszielen der Kita, sondern auf den Stärken des Kindes, auf seinen persönlichen Interessen, seinen Ausdrucksmitteln, seinem Lern- und Entwicklungstempo und seinen Fähigkeiten. Im Team heißt es lediglich, diesen Raum einzugrenzen und damit eine Orientierung zu schaffen. Es ist möglich, das Portfolio besonders auf die Lernwege und -entwicklungen auszurichten, den Fokus auf die Bildungsbereiche zu legen oder aber die komplette Entwicklung des Kindes aufzunehmen, von der Lernentwicklung, über die körperliche Entwicklung bis zur seelischen und charakterlichen Entwicklung.
Was sollen wir noch alles machen?
Als Leitung sorgen Sie dafür, das Team zu motivieren. Bedenken Sie, dass häufig das tägliche Pensum der zu erfüllenden Pflichten bereits sehr hoch ist. Um mit Portfolioarbeit beginnen zu können und Ihr Team dafür zu begeistern, sollten Sie überlegen, welche Bereiche des Kita-Alltags Sie entrümpeln können, so dass mehr Platz für Beobachtung und Dokumentation bleibt. Können Sie dem Team Ihren Plan zeigen, wird es sicher offener für eine Veränderung sein und das erste Argument: „Was sollen wir denn noch alles schaffen, dafür ist doch gar keine Zeit!“, fällt weg.
Um die „Entrümpelung“ vorzubereiten, gehen Sie die Tagesabläufe und Verpflichtungen durch und notieren sich, was davon gestrichen werden kann, wo es sinnvoll wäre, Aufgaben zusammenzulegen oder aber Mitarbeiter effektiver einzusetzen. Richten Sie diese „Entrümpelung“ daran aus, was Sie im Rahmen der Portfolioarbeit als Priorität in der pädagogischen Arbeit anstreben.
Dafür müssen Sie selbstverständlich im Vorfeld gemeinsam mit dem Team ein pädagogisches Konzept erstellt haben. Orientieren Sie sich an den Werten, die Sie dort als Ziele angesetzt haben. Sie merken bald, dass vieles, was den Alltag erdrückt, gar nicht nötig ist. Der Morgenkreis kann verkürzt werden, das Frühstück müssen nicht alle gemeinsam richten, das können die Kinder auch mit einer Begleitung alleine, der zweite Stuhlkreis ist gar nicht nötig. Lockern Sie das Einerlei der pädagogischen Arbeit auf und geben Sie Zeiträume frei für kreatives, erlebnisorientiertes Spiel der Kinder. So schaffen Sie Platz für Beobachtungen.
Auch die organisatorischen und pflegerischen Arbeiten sollten überprüft werden:
- Kann man bei der täglichen Essensbestellung Zeit einsparen, wenn man sie anders organisiert?
- Können wir als Team effektiver zusammen arbeiten, wenn wir uns manche Aufgaben gruppenübergreifend aufteilen, wie z. B. die Schlafwachen?
- Wie wäre es, wenn wir vor dem Morgenkreis alle „Früh-Kinder“ in einer Gruppe sammeln, so nur zwei Betreuer benötigen und die anderen dafür mehr Zeit haben, um ihre Beobachtungen des Vortages auszuwerten?
- Statt immer gemeinsam in den Garten zu gehen, könnten wir Zeiten einrichten, in denen die Kinder selbstständig raus gehen. Ab drei oder vier Kindern gesellt sich eine Betreuung dazu. Da wir den Garten von allen Räumen einsehen können, besteht hier keine Aufsichtspflichtverletzung und die Kinder erhalten die Möglichkeit, selbstständiger zu entscheiden und zu handeln.
Das Team motivieren
Bitten Sie Ihr Team zu einem Treffen und besprechen Sie Ihre ersten Ideen zur zukünftigen Dokumentation der kindlichen Entwicklung. Schlagen Sie vor, über die Ressourcen einer jeden Mitarbeiterin nachzudenken und Zeitfenster während des Tagesablaufes zu erkennen.
Setzen Sie dann erste Impulse, um den Gedanken eines Portfolios verstehen zu können. Bieten Sie z.B. an, etwas über sich aufzuschreiben: Regen Sie an, nachzudenken, was die Mitarbeiterinnen in der letzten Woche alles erlebt haben (in der Kita) und ob sie etwas gelernt haben. Vielleicht haben sie eine neue Erkenntnis gewonnen, eine Technik beim Basteln gelernt oder sich zum ersten Mal getraut, vor den Eltern ein Lied anzustimmen. Fordern Sie das Team nun auf, dieses Erlebnis aufzuschreiben.
Dabei sollen sie folgende Fragen beachten:
- Was habe ich erlebt/erkannt/gelernt?
- Wie ist es dazu gekommen? Was habe ich dafür getan, um das zu erreichen/erleben?
- Wie hat es sich angefühlt?
- Was nehme ich für die Zukunft mit?
Knüpfen Sie an Stärken und Interessen der Erzieherinnen an, um, Freude an der Arbeit zu vermitteln. Dazu müssen Sie zunächst die Fähigkeiten und Stärken des Teams evaluieren. Stellen Sie einen Fragekatalog zusammen und bitten Sie Ihre Mitarbeiterinnen, sich bis zum nächsten Treffen damit zu befassen. Fragen können sein:
- Was sehe ich als meine Stärken an?
- Woran würde ich gerne noch arbeiten?
- Welches sind meine besonderen Fähigkeiten?
- Was mache ich besonders gerne?
- Was mache ich nicht so gerne?
- Beobachtungen von Kindern fallen mir leicht/schwer – weil ...
- Welche Form der Dokumentation kann ich mir für mich gut vorstellen?
Werten Sie die Fragebögen und die Übung gemeinsam im Team aus. Stellen Sie dabei zu jeder Zeit sicher, dass Sie selbst und auch die anderen Teammitglieder stets respektvoll miteinander umgehen. Jeder im Team hat seine persönlichen Stärken und Schwächen, jeder hat seine persönlichen Fähigkeiten. Es ist kein Problem wenn sich jemand schwer tut, gute Sätze zu formulieren. Genauso wenig sollte es ein Problem sein, dass ein Teammitglied geradezu ein Profi in der Verschriftlichung von Beobachtungen ist. Im Gespräch miteinander werden die Teammitglieder im besten Falle immer lockerer. Jeder sollte sich trauen, offen zu sagen, was er gerne ändern möchte und welche Bereiche er abgeben will. Genauso müssen persönliche Vorlieben angesprochen werden dürfen. Wichtig ist, dass das Ziel – die Portfolioarbeit – nicht aus den Augen verloren wird. Schließlich sollen die Entrümpelung des Alltags und die Suche nach persönlichen Ressourcen dazu da sein, Platz für die Bearbeitung der Portfolios zu schaffen.
Portfolios kennenlernen
Nun ist es Zeit, dem Team Portfolios vorzustellen. Fragen Sie dafür in anderen Kitas nach und bitten Sie Kinder und deren Eltern um die Erlaubnis, das Portfolio als Beispiel zu benutzen. Nötigenfalls können Sie die persönlichen Daten (Namen) schwärzen, indem Sie leicht lösbare Klebezettel darüber heften oder eine Klarsichtfolie um die Seite stülpen und den Namen mit einem wasserfesten Marker schwärzen. Klären Sie gleich zu Beginn mit dem Team die grundlegenden Datenschutzregeln, denn auch Kinder haben ein Recht darauf, ihre persönlichen Daten zu schützen. Eruieren Sie gemeinsam, aus welchen Bereichen ein Kinder-Portfolio bestehen kann und wie die Mitarbeit der Kinder dabei aussehen könnte. Nehmen Sie auch Fachliteratur zu Hilfe. So gewinnen sie einen ersten Einblick und haben die Theorie verstanden. Meist sind in den Büchern auch Kopiervorlagen enthalten, die einen Einstieg in die Materie sehr vereinfachen.
Bauen Sie bei der Besprechung stets auf die zuvor gewonnen Erkenntnisse über das Team auf! Beginnen Sie z.B. so, dass jeder es versteht: Passen Sie das Niveau demjenigen an, der bisher die wenigste Erfahrung hat und steigern Sie das Arbeitstempo und inhaltliche Niveau, sobald Sie merken, dass auch derjenige gut mithalten kann.
Zeit planen und Inhalte festlegen
Jetzt heißt es, die konkreten Ziele zu definieren:
- Was wollen wir dokumentieren?
- Wie wollen wir dokumentieren und mit welchen Hilfsmitteln?
- Welche ist unsere Haltung zum Kind und seiner Entwicklung?
- Wie wollen wir es ermöglichen, das Kind weit möglichst in die Dokumentation einzubeziehen?
Erstellen Sie gemeinsam einen Zeitplan. Zunächst gilt es, die Ziele gemeinsam abzustecken. Das heißt, alle im Team müssen sich einzeln und schließlich gemeinsam Gedanken über die oben genannten Fragen machen und die Antworten in der Gruppe auswerten.
Die bereits angesprochene „Entrümpelung“ kann nun konkret in Angriff genommen werden. Auch dafür sollten Sie feste Zeiten abstecken. Jede Erzieherin beobachtet sich und die Kollegen innerhalb einer Woche auf die Arbeitsabläufe und Inhalte hin und notiert sich, wo es möglich wäre, effektiver zu arbeiten (sowohl im Hinblick auf die Abläufe als auch auf die pädagogischen Inhalte, also den Nutzen für die Kinder). Schließlich legen Sie gemeinsam fest, wann ein erster Versuch in Richtung Portfolio stattfinden soll!
Jede Mitarbeiterin sollte im Anschluss an Beobachtungen ausprobieren, erste Briefe an das Kind, eine Lerngeschichte oder auch eine Portfolioseite mithilfe einer Kopiervorlage zu erstellen. Dabei kann das Kind selbst zunächst außen vor bleiben. Hier geht es nur darum, selbst zu verstehen, wie man formuliert, was man aufschreibt und warum.
Im Anschluss tauschen alle ihre ersten Erfahrungen aus und überlegen gemeinsam, wie man es besser machen kann. So profitieren die Mitarbeiterinnen voneinander und lernen, sich gegenseitig in ihrer Auseinandersetzung mit der Aufgabe „Dokumentieren“ ernst zu nehmen und zu unterstützen.
Das ist unser Modell
Ein letzter möglicher Schritt hin zur Portfolioarbeit mit dem Kind ist ein teameigenes Modellportfolio. Aufgrund der ersten Gehversuche und Auswertungen von Konzeption, Zeitfenstern und Mitarbeiterressourcen definieren alle gemeinsam Inhalte für die Portfolios. Das heißt, sie legen nun den Rahmen fest, entwickeln ein Raster, das die Portfolios der Kinder grob strukturiert und erleichtert, einzelne Inhalte einzuordnen. Dabei wissen alle, dass Portfolios individuell sind und sich stets weiterentwickeln und verändern. Trotz Vorlagen und Raster wird jedes Portfolio vollkommen anders sein, denn jedes Kind ist anders. Und jede Erzieherin, die das Kind unterstützt, sein Portfolio zu füllen, geht damit anders um.
Fazit
Die Beschäftigung mit Kinder-Portfolios bereichert die pädagogische Arbeit enorm. Schon durch die vorbereitende Auseinandersetzung mit dem täglichen Handeln ändert sich der Blick auf die eigene Arbeit und somit auch auf den Blick zum Kind und seinem Handeln, seinem Erleben und Lernen. Ziel ist es dabei immer, dem einzelnen Kind gerecht zu werden und es in seiner persönlichen Entwicklung zu unterstützen.
Literatur
Hessischer Bildungs- und Erziehungsplan, „Bildung von Anfang an“ (Stand 2007), ISBN 978-3-88327-568-0, im Internet unter: www.kultusministerium.hessen.de
Bildungsvereinbarung NRW, Ministerium für Schule, Jugend und Kinder des Landes NRW, im Internet unter www.bildungsportal.nrw.de
Yvonne Wagner, „Der Weg zum Kita Portfolio“, „Portfolios in der Krippe“ und „Erziehen, bilden und begleiten – Das Portfoliobuch für Erzieherinnen und Erzieher“ im Bildungsverlag EINS, 2009, 2010, 2011.