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Förderung von Widerstandsfähigkeit im System Kita

Die Ansprüche an die Arbeit der Erzieher/innen sind immer stärker gestiegen. Neben einer hohen Fachkompetenz ist ein großes Maß an guter Psychohygiene, Engagement und Empathie gefordert. Ganzheitliche, systemische und flexible Handlungskompetenzen erfordern Offenheit und Präsenz.

 

Resilienz und Gesundheit im Erzieherberuf

Resilienz und Gesundheit im Erzieherberuf

Oftmals kommt gerade in sozialen Berufen das Thema der Psychohygiene »noch« zu kurz. Fortbildungen, die der Vermittlung von Fachwissen dienen und praxisorientiert angeboten werden, erfüllen nicht immer die Bedürfnisse der Teilnehmer/innen. Was können also Erzieher/innen tun um sich selbst in ihrer Aufgabe wohl zu fühlen?

Psychohygiene

Es bedarf immer wieder der eigenen Rollenklärung im systemischen Kontext von Kita. Um selbst körperlich und seelisch gesund zu bleiben, eine Offenheit für Kinder und Eltern mitzubringen, sollte die eigene ›Psychohygiene‹ ernst genommen werden. Dazu gehören alle Maßnahmen, die der Erhaltung und Förderung der seelischen Gesundheit sowie der Bewältigung von äußerem und innerem Stress dienen. Eine Vernachlässigung der Psychohygiene kann auf Dauer zu Störungen führen, aus denen sich ernst zu nehmende psychische und psychosomatische Erkrankungen entwickeln können. Das chronische Erschöpfungssyndrom, Burnout und depressive Verstimmungen sollen hier stellvertretend genannt werden. Viele leicht zu erlernende und auch im Kita-Alltag abrufbare Entspannungsverfahren, z.B. regelmäßiger körperlicher Ausgleich durch sportliche Aktivitäten, Künstlerisches Tun und Entspannungstechniken, können eine Abhilfe schaffen.

Salutogenese

Salutogenese ist die Wissenschaft von der Entstehung und Erhaltung von Gesundheit. ›Salus‹ kommt aus dem Lateinischen und bedeutet Gesundheit, Heil, Glück. Der Wortteil »-genese« kommt aus dem Griechischen und meint wörtlich übersetzt Entstehung. Die Salutogenese ist als Gegenstück zur Pathogenese, welche die Entstehung von Krankheit beschreibt, zu sehen. Ein Zitat der Weltgesundheitsorganisation (WHO) besagt, dass Gesundheit kein Zustand ist und mehr bedeutet als nur die Abwesenheit von Krankheit! In den 70er Jahren ging der israelisch-amerikanische Medizinsoziologe und Stressforscher Aaron Antonovsky der Frage nach, welche Faktoren die Salutogenese beeinflussen. Er entwickelte ein Modell über die Eigenschaften, die man braucht, um gesund zu werden und es auch zu bleiben.

Hiernach benötigen Menschen genügend persönliche (Widerstands-)Ressourcen, Schutzfaktoren und eine förderliche Grundeinstellung. Aron Antonovsky nennt diese persönliche Ausstattung »Kohärenzgefühl«.

Laut Antonovsky müssen alle drei Aspekte vorhanden sein, wobei dem Aspekt der Sinnhaftigkeit die größte Bedeutung zukommt. In den letzten Jahren fließen neue Erkenntnisse aus der Neurobiologie und Hirnforschung in das Thema der Salutogenese mit ein. Prof. Dr. Dr. Gerald Hüther hat im Bereich der Gesundheitsforschung die salutogenetischen Grundprinzipien aus Sicht der Neurobiologie betrachtet. In seinen Vorträgen spricht er davon, dass günstigere Rahmenbedingungen geschaffen werden müssen um eine auf ›Potenzialentfaltung‹ ausgerichtete Beziehungskultur in Familien, Kindergärten, Schulen, etc. zu entwickeln.

Einzelne Komponenten des Kohärenzgefühls sind …

  • Verstehbarkeit: die Fähigkeit, die Umwelt zu verstehen und sinnvoll zu interpretieren
  • Bewältigbarkeit: die Fähigkeit, mit Geschehnissen umzugehen
  • Sinnhaftigkeit: die Überzeugung, dass alle Geschehnisse einen Sinn haben

Salutogenese – praktisch umgesetzt in der Kita-Arbeit

Die Kindertagesstätte ist der Raum für eine frühe Gesundheitsförderung, eines sozialen und emostionalen Miteinanders und Wohlbefindens. Die Basis hierfür liegt auf dem salutogenetischen Ansatz von Aaron Antonovsky, der bereits ganzheitlich auf Lebenskompetenz und Wohlbefinden setzte. Eine gesundheitsfördernde Kindertagesstätte wird es sich immer wieder neu zur Aufgabe machen und Reflexionstage, Konzeptions-, Entwicklungs- und Findungsprozesse mit Hilfe von Experten einzuleiten. Eine förderliche und dynamische Balance sowie ein guter Rhythmus zwischen körperlichen, emotionalen, kognitiven, motorischen und sozialen Aktivitäten wird geschaffen – und damit Schutzfaktoren für ein gesundes Miteinander gelegt.

Achtsamkeit als ein protektiver Schutzfaktor

Schutzfaktoren werden als Merkmale beschrieben, die das Auftreten einer psychischen Störung oder einer unangepassten Entwicklung verhindern oder abmildern sowie die Wahrscheinlichkeit einer positiven Entwicklung erhöhen. (Rutter 1990 nach Fröhlich-Gildhoff/Rönnau-Böse 2009, Resilienz, Reinhardt UTB, S. 27)

Der Fokus liegt dabei auf dem Hier und Jetzt – Innehalten ist der allererste Schritt auf dem Weg der Achtsamkeit. Achtsamkeit entsteht, wenn ohne zu bewerten die ganze Aufmerksamkeit darauf gerichtet wird, was in diesem Moment ist.

Im gegenwärtigen Augenblick verweilen, in der Offenheit für neue Informationen und Dinge aus mehr als einer Perspektive betrachten zu können, kann ein achtsames und respektvolles Miteinander geschehen. Mehr Ruhe, Gelassenheit und Kraft werden erfahrbar.

Geben Sie diesem noch so kleinen Raum eine erste Chance und betrachten Sie ihn als gedeihlichen Gegenpol im Kindergartenalltag zu motorischen Aktivitäten, Bewegungseinheiten und eingenommen Mahlzeiten.

Fokussierung und Förderung von Selbstwahrnehmung

Fantasiereisen, kindgerechte Körperentspannungs- oder Meditationsangebote ermöglichen gemeinsame Ruheerfahrungen und das bewusste Wahrnehmen des Körpers und bieten gute Möglichkeiten der Fokussierung und Förderung von Konzentration, Entspannung sowie Raum für Selbstwahrnehmung.

Außenreize können bewusster ausgeschaltet werden, eine größere Achtsamkeit im Umgang mit den eigenen Bedürfnissen und denen der Kinder findet auf der Körperebene statt. Erfahrungsgemäß schätzen (auch) Kinder solche Ruhephasen insbesondere dann, wenn es vorher laut und hektisch zugegangen ist.

Förderung von Selbstkompetenz

In dem aktuellen Projekt »Im Alltag Hürden nehmen – Einschätzungen pädagogischer Fachkräfte zur Selbstkompetenz(-förderung)« unter der Leitung von Prof. Dr. Claudia Solzbacher, Projektbeginn 2013,* wurde herausgearbeitet, wie Selbstkompetenzen, Belastungen und Bewältigungsmöglichkeiten zusammenwirken. Neben einzelnen Situationen, die als belastend empfunden werden, sind dies insbesondere andauernde Belastungen.

Selbstkompetenz kann hier entgegenwirken, indem sie vor den Auswirkungen von Stress und Belastungen schützt. Der Zugriff auf die eigene Selbstkompetenz der Erzieher/innen ist damit grundlegend für die professionelle Gestaltung von Beziehungs- und Bildungsprozessen. Eine gute und sichere Basis von Selbstkompetenz und Empathie hilft die Bedürfnisse und Potenziale von Kindern zu erkennen und sinnvoll handelnd pädagogisch umzusetzen.

In diesem Sinne ist es sicherlich ein gegenseitiges voneinander Lernen – Erzieher/innen lernen ihr eigenes Handeln zu reflektieren – Kinder lernen, mit eigenen Empfindungen wie Wut, Trauer oder Ärger umzugehen und Probleme im Gespräch und ohne Gewalt zu lösen.

Ein ressourcenorientierter Blick hilft, Signale wahrzunehmen, zu verstehen und angemessen zu beantworten.

Diese Erfahrungen sind ganz besonders wirksam für Kinder, die unter Risikobedingungen aufwachsen. Selbstwirksamkeit, Selbstregulation, Autonomie und eine wertschätzende Atmosphäre können gezielt gefördert werden und Schutzfaktoren für ein stabiles und starkes Kind sein. Besonders profitieren die Kinder davon, die in ihrer Familie und ihrem Umfeld unter erschwerten Bedingungen und mit Risikofaktoren aufwachsen müssen – eine wichtige Grundlage für die Entwicklung von Resilienz kann gerade in der Kita gelegt werden.

Coaching leistet Hilfe zur Selbsthilfe

Zur Weiterentwicklung der beruflichen Persönlichkeit, zur Steigerung von persönlicher Leistungsfähigkeit und Arbeitszufriedenheit sowie im Umgang mit beruflichen Krisen, Konflikten und eigenen Veränderungsprozessen sind viele Erzieher/innen im pädagogischen Alltag stark herausgefordert. Eine kontinuierliche Unterstützung in Form eines Coachings kann eine gute Unterstützung sein. Diese Form der individuellen Beratung ist passgenau auf die Bedürfnisse des Klienten ausgerichtet und verbindet persönliches Feedback mit praxisorientiertem Training. Konkrete Herausforderungen und Probleme können leichter bewältigt werden.

Auswirkungen der Widerstandskraft und Krisenfestigkeit (Resilienz) im System Kita

  • Selbstkompetenzförderung
  • Persönlichkeitsentwicklung
  • Förderung von personalen und sozialen Kompetenzen
  • Kommunikation von Gefühlen und Bedürfnissen
  • Sinnhaftes und verantwortungsvolles Handeln
  • Ressourcen-und zielorientiertes Handeln
  • Gegenseitige Wertschätzung und Respekt
  • Reflexion eigener Haltungen
  • Vertrauensvolle gegenseitige Haltungen aller Beteiligten
  • Transparente und stabile Strukturen

Supervision für Leitung und Team in der Kita

Um sich als Leitungskraft, Fachkraft und als Team den komplexen, vielfältigen und dynamischen Herausforderungen gut gewachsen zu fühlen, ist eine professionelle Haltung verbunden mit Empathie sowie eine situativ angemessene Handlungskompetenz bereits ein gute Ressource. Darüber hinaus bietet Supervision eine qualifizierte Unterstützung bei der Bewältigung der gestellten Aufgaben und der Reflexion des eigenen Handelns. Supervision kann Veränderungs- und Entwicklungsprozesse situations- und kontextspezifisch begleiten und optimieren. Sie hilft Konflikte und Krisen zu bewältigen und trägt auch zu einer Verbesserung von Teamfähigkeit, Leistungsfähigkeit und Arbeitsqualität bei.

Prävention im Kita-Alltag

Um den immer wieder neuen Anforderungen von Aufgaben in der Kita gerecht werden zu können, bedarf es weitgefächerter Kompetenzen. Landesweite Fortbildungsprogramme, die die pädagogische Arbeit in Kindertagesstätten konkret begleiten und die unterschiedlichsten Bereiche umfassen, sind gute präventive Maßnahmen, die eigene Rolle zu klären, aber auch sich immer wieder auf den gesellschaftlichen Bedarf neu einzustellen. Ein achtsamer Umgang hilft dabei, Konflikte, Probleme und emotionale Belastungen nicht zu verdrängen und unbearbeitet zu lassen, sondern wertschätzend miteinander zu lösen. Denn Kinder haben sensible Antennen für den emotionalen Bereich und das, was verdrängt wird.

Spezifische Fachberatungen des Jugendamtes, des Amtes für Migration, des Kinderschutzbundes sowie sozialpädagogische Familienhilfe oder Beratungen anderer Träger können ebenfalls unterstützend und entlastend für den Kita-Alltag sein.

Präventive Angebote für Eltern in Form von Elterntreffen, pädagogische Abende zu spezifischen Themen, elterliche Kompetenzen stärkende Workshops und präventiv ausgerichtete Workshops stellen eine Win-win-Situation für jede Kita dar und können den erzieherischen Alltag bereichern.

Fazit

Wenn zutreffend vom Immunsystem der Seele gesprochen wird, so meint es, dass es ähnlich dem körperlichen Immunsystem ständigen Veränderungen ausgesetzt ist und der nachhaltigen Pflege bedarf. Aus der Sicht des Kindes betrachtet braucht dieses auf seinem Weg zugewandte und empathische Erwachsene. Erzieher/innen, die Interesse an seiner Entwicklung haben, seine Eigenaktivitäten unterstützen und auch wertschätzen. Unter dem einfühlsamen Schutz und der am Kind orientierten Anleitung ohne Über- oder Unterforderung können sozial-emotionale Fähigkeiten kreativ ausprobiert werden. Fähigkeiten und Möglichkeiten können so zu Ressourcen ausgebaut werden. Die Entwicklung eines guten und integrierten Selbstbildes ist möglich. Die Verlässlichkeit der Person der Erzieher/in, deren Stabilität und emotionale Wärme sind das soziale und emotionale Band zwischen diesen und Kindern – die Grundlage für tragfähige Beziehungen. Sie stärken die Widerstandskraft und stellen einen essentiellen und zuverlässigen Schutzfaktor in der Kita-Arbeit dar.