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Interkulturelle Kompetenz – Seien Sie offen für andere Ansichten

Interkulturelle Kompetenz ist in der heutigen Arbeitswelt eine Schlüsselqualifikation. Dies gilt vor allem für soziale Berufe, in denen der zwischenmenschliche Kontakt im Vordergrund steht. Auch Sie als Erzieher/in in einer Kita beweisen täglich, wie erfolgreich Sie im Umgang mit anderen Kulturen bereits sind – ohne sich dessen bewusst zu sein.

Heute schon mal aus einer anderen Perspektive geschaut?

Heute schon mal aus einer anderen Perspektive geschaut?

Seit die Wirtschaft global und unsere Gesellschaft »multikulturell« geworden ist, gehört es für viele Berufsgruppen zum absoluten Muss, interkulturell beschlagen zu sein. Auch in der Kindertagesbetreuung werden die Erzieher/innen zunehmend mit anderen Werte- und Orientierungssystemen konfrontiert. Zusätzlich müssen Sie die Eltern ins Bildungs- und Beratungsangebot ihrer Einrichtung einbeziehen, da immer mehr Bundesländer Ihre Kindertagesstätten zu Familienzentren ausbauen. Für die pädagogischen Fachkräfte bedeutet dies, dass ihre Tätigkeiten immer umfangreicher und komplexer werden und der Wunsch nach Weiterbildung in interkulturellen Fragen wächst.

Mehr als nur Wissen über andere Wertesysteme

Doch welche Methode zur interkulturellen Kompetenzvermittlung ist die richtige? Nach Jürgen Bolten, Professor für interkulturelle Wirtschaftskommunikation in Jena, sind die entsprechenden Angebote dort unüberschaubar geworden. Gleichzeitig gingen die Ansichten, was überhaupt darunter zu verstehen ist, weit auseinander.1 So viel steht fest: In der sozialen Arbeit ist interkulturelle Kompetenz mehr als das Wissen über andere Werte- und Orientierungssysteme. Ansonsten laufen Erzieher/innen Gefahr, klischeehafte Vorstellungen auf Kinder und Eltern zu übertragen und Irritationen hervorzurufen, die viel unnötige Zeit, Kraft und Energie kosten.

Dies zeigt sich in bestimmten Konfliktsituationen, etwa wenn einem Jungen aus einem südlichen Land dominante Verhaltensweisen pauschal als kulturbedingt ausgelegt werden. Werden die Eltern in einem Gespräch mit diesem Vorurteil konfrontiert, entstehen schnell Barrieren. Stattdessen sollten Konflikte, die durch das auffällige Verhalten dieses Jungen entstehen, mit denselben Methoden geschlichtet werden, wie sie sich bei deutschen Kindern bewährt haben. Denn alle Kinder haben das Recht, unabhängig von ihrer Herkunft behandelt und in ihrer Persönlichkeit gefördert zu werden.

Thema ruft viele Unsicherheiten hervor

Wie dem auch sei: Wahrscheinlich verspüren auch Sie – wie viele andere pädagogische Fachkräfte – beim Thema interkulturelle Kompetenz eine große Unsicherheit. Dies rührt sicher auch daher, dass Begriffe wie multikulturelle Gesellschaft, Migration und Integration in Deutschland aktuell sehr emotional diskutiert werden. Bei den meisten Skeptikern verbirgt sich dahinter die – völlig unberechtigte – Sorge, dass Migranten das eigene Wertesystem bedrohen und untergraben könnten.

Doch das Gegenteil ist der Fall: Tatsächlich stellen kulturelle Unterschiede eine wertvolle Ressource dar, die gefördert werden sollte. Dies gilt gerade für Sie als Erzieher/in, der/die in der Kita ständig mit kulturellen Themen konfrontiert wird. Doch setzt die erfolgreiche Auseinandersetzung mit anderen Kulturen eine Transparenz über die eigene Kultur und eigenen Werte – über die Persönlichkeit also – voraus. Denn nur wer sich selbst kennt, verfügt auch über die nötige Souveränität, um andere Einstellungen akzeptieren und wertschätzen zu können.

Allerdings sind die eigenen Werte den meisten Menschen nicht leicht zugänglich, wie der niederländische Soziologe Geert Hofstede in seinem vielbeachteten Werk »Interkulturelle Zusammenarbeit« von 1991 erläutert.2 Zwar seien die Werte von wesentlicher Bedeutung für eine Gesellschaft, da sie den stabilsten Bestandteil jedes kulturellen Systems bilden. Da aber die Werte bereits früh in der kindlichen Entwicklung erworben würden, wirken sie im Unterbewusstsein und lassen sich nur schwer in Worte fassen. Dies zeigt sich auch bei unseren interkulturellen Trainings, wenn sich die Teilnehmer/innen zunächst schwertun, einige ihrer wichtigsten Werte zu notieren und zu priorisieren. Ähnlich ergeht es ihnen, wenn sie ihre Mitmenschen beurteilen sollen. Hier greifen sie ständig auf vorgefertigte Muster und Schablonen zurück und orientieren ihre Einschätzungen an der eigenen Person oder an Äußerlichkeiten.

Eigener Standpunkt muss transparent sein

Daher sollte das interkulturelle Lernen im Bereich der sozialen Arbeit in erster Linie das Ziel verfolgen, sich den eigenen Standpunkt und dem Standpunkt der Einrichtung bewusst zu machen. Denn nur damit können Sie als Erzieher/in in einer Kita genügend Selbstsicherheit erlangen, um sich in andere Menschen einfühlen und deren Bedürfnisse richtig erkennen zu können. Die Kunst liegt also vor allem darin, Ihren Mitmenschen nach der ersten Begegnung die Möglichkeit offen zu halten, die »Schublade« wieder zu verlassen, die Sie ihnen zugeordnet haben.

Dies ist gerade beim Umgang mit anderen Kulturen wichtig, in denen bestimmte Verhaltensweisen eine völlig andere Bedeutung haben können als bei uns. So besitzen Mittel- und Nordeuropäer, Asiaten und Araber unterschiedliche Auffassungen darüber, was den angemessenen körperlichen Abstand zwischen Personen in einem Gespräch betrifft. Was wir als »distanzlos« oder zu sehr »auf Abstand bedacht« bewerten mögen, gilt für andere als Zeichen der Höflichkeit. Ähnlich verhält es sich bei Begrüßungszeremonien, Tischsitten oder Phänomenen wie dem direkten Augenkontakt: Vieles ist nicht so, wie es auf den ersten Blick durch unsere Brille erscheint. Statt vorschnell Missverständnisse zu produzieren, sollten wir erst einmal die Ruhe bewahren und bei Unklarheiten nachfragen und sich bewusst machen das es auch was anderes bedeuten kann als die eine/eigene Interpretation.

Wie positiv sich eine ausgereifte interkulturelle Kompetenz in der Kita-Arbeit auswirken kann, mag folgendes Beispiel verdeutlichen. Angenommen, Ihre Einrichtung befindet sich in kirchlicher Trägerschaft und möchte mit den Kindern in der Vorweihnachtszeit ein Adventsfest veranstalten. Nun gibt es in Ihrer Gruppe einige Kinder nicht-christlichen Glaubens, deren Eltern dem geplanten Fest eher skeptisch gegenüberstehen. Diese Eltern hätten es lieber, dass ihre Kinder nicht daran teilnehmen. Sie stehen also vor der Aufgabe, ein Gespräch mit ihnen zu führen. Im schlechtesten Fall wird dieses Gespräch nach folgenden Mechanismen ablaufen:

  • Sie sehen die Adventsfeier als Ausdruck Ihrer christlichen Kultur in Frage gestellt und verteidigen sie gegenüber den Eltern.

  • Sie schüren damit bei Ihrem Gegenüber Ängste, die auch auf dessen Seite eine Verteidigungshaltung hervorrufen.

  • Durch die gegenseitigen Vorurteile und damit verbundenen Unsicherheiten entstehen Fronten, die ein offenes Miteinander behindern.

Besser ist es, Sie sind sich Ihres Standpunkts so klar und bewusst, dass Sie der Haltung der Eltern mit deutlicher Wertschätzung begegnen können.

Das heißt konkret, dass Sie die Adventsfeier als wichtigen und richtigen Wert innerhalb der christlichen Konzeption Ihrer Einrichtung begreifen. Daher brauchen Sie diese Feier nicht zu rechtfertigen. Stattdessen helfen Ihnen Ihre Sicherheit und Klarheit, Verständnis für die Sorgen der Eltern aufzubringen, die vorhandenen Fragen und Unsicherheiten offensiv anzusprechen und im besten Fall zu zerstreuen.

Die wichtigste Frage muss vor dem Gespräch beantwortet werden: »Was ist das Ziel?« Beinhaltet die Konzeption Ihrer Kita eine offene Haltung »Andersgläubigen« gegenüber, dann dürfen Sie dies im Alltag umsetzen. Im Fall des Adventsfestes bedeutet dies, dass Sie die Feiern und Feiertage anderer in der Einrichtung vertretenen Religionen in Absprache mit den Eltern in Ihre Arbeit einbeziehen. Ist Ihre Einrichtung konfessionslos, dann gilt auch hier eine klare und transparente Definition Ihres Standpunkts und des Umgangs mit verschiedenen Kulturen und Lebensmodellen – auch unabhängig von Religionen.

Gesellschaft muss mehr Wertschätzung zeigen

Jedoch wird in unseren Trainings auch immer wieder deutlich, dass es nicht nur das Thema interkulturelle Kompetenzen ist, das die pädagogischen Fachkräfte bewegt: Viele Unsicherheiten resultieren aus der fehlenden Wertschätzung von Seiten der Gesellschaft. Obwohl die Berufsgruppe der Erzieher/innen mit der Förderung der Entwicklung und Persönlichkeit von Kindern eine der wichtigsten gesellschaftlichen Aufgaben erfüllt, lässt ihre allgemeine Anerkennung zu wünschen übrig. Dies betrifft sowohl die finanzielle als auch die menschliche Seite und schließt viele Kita-Träger ebenso wie die Eltern und die gesamte Öffentlichkeit ein.

Diese Minderschätzung führt dazu, dass viele Erzieher/innen in unseren Trainings zwar angeben, über die notwendige Stresstoleranz, Geduld, Offenheit und Empathie für den Umgang mit anderen Kulturen zu verfügen. Allerdings fehlt es ihnen nach eigener Wahrnehmung an der nötigen Selbstsicherheit, um diese Qualitäten herauszustellen und zu erkennen, wie hochprofessionell sie in ihren Kitas bereits arbeiten.

Um den Erzieher/innen bewusst zu machen, welche großartigen Leistungen sie tagtäglich erbringen, erinnern wir sie in unseren Trainings gerne an ihre ersten Kita-Arbeitstage als Praktikantin. Obwohl sie damals noch keinerlei Verantwortung zu tragen hatten, kamen die meisten erschöpft nach Hause und mussten erst einmal ausruhen, um neue Kräfte zu tanken. Dass sie diese immensen Aufgaben heute Tag für Tag erledigen und dabei eine große Verantwortung tragen, sollte sie mit großem Stolz erfüllen. Und genau dieses Selbstbewusstsein versuchen wir ihnen zu vermitteln und transparent zu machen.

Gleichzeitig bitten wir die Teilnehmer/innen aufzuschreiben, mit welchen Erwartungen sie jeden Tag konfrontiert sind – ob beruflich von Seiten der Arbeitgeber, Kinder und Eltern in der Kita oder privat von Seiten ihrer Partner, eigener Kinder, Eltern oder Freunde. Vielen wird erst dabei bewusst, welch enormem Druck sie laufend standhalten. Sie lernen, Prioritäten zu setzen und sich gegen ein Übermaß an Anforderungen abzugrenzen, das den Blick für den eigenen Wert oft verstellt, weil man sich für unzulänglich hält.

Fazit

Unseren Erfahrungen nach ist den pädagogischen Fachkräften meist nicht bewusst, dass sie im Umgang mit anderen Kulturen bereits hervorragende Arbeit leisten. Daher sollte ein interkulturelles Training in erster Linie dazu dienen, den Erzieher/innen diese Fähigkeiten transparent zu machen. Doch damit nicht genug: Ihnen zu mehr Selbstbewusstsein und Selbstsicherheit zu verhelfen, ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die deutlich mehr ideelle Wertschätzung und eine bessere Bezahlung erfordert.

Fußnoten


Jürgen Bolten, Jena: »Was heißt,Interkulturelle Kompetenz‹? Perspektiven für die internationale Personalentwicklung.« In: V. Künzer/J. Berninghausen (Hg.): »Wirtschaft als interkulturelle Herausforderung«. Fft./M. 2007, S. 21–42.

Hofstede, Geert: »Interkulturelle Zusammenarbeit – Kulturen – Organisationen – Management«. Betriebswirtschaftlicher Verlag Gabler, 1991.