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Interkulturelles Lernen erfolgreich in den Kita-Alltag integrieren

Vielfalt als Normalität begreifen: »Interkulturelles Lernen« und »interkulturelle Kompetenz« sind in unserer multikulturellen und globalisierten Welt wichtige Erziehungsziele. Doch was ist mit diesen Begriffen überhaupt gemeint? Und was kann in der Praxis konkret getan werden, um interkulturelles Lernen zu fördern?

 

Räumen Sie Vorurteile von Beginn an aus dem Weg!

Eine häufig verwendete Definition bezeichnet interkulturelle Kompetenz als »die Fähigkeit, effektiv und angemessen in interkulturellen Situationen zu kommunizieren« (Deardorff 2006, S. 15). Bezogen auf die frühe Kindheit ist eine solche (auf Erwachsene ausgerichtete) Definition allerdings von wenig Nutzen. Bezogen auf kleine Kinder ist das Ziel interkulturellen Lernens vielmehr, dass sie lernen, Vielfalt als Normalität zu empfinden (vgl. Prengel 2006).

Gerade in jungen Jahren bietet interkulturelles Lernen dabei große Chancen. Denn in diesem Alter besteht die Möglichkeit, den Kindern Offenheit für Vielfalt zu nahezubringen und damit der Ausbildung von Vorurteilen, die in diesem Alter beginnt (Pejic 2017), entgegenzuwirken. Interkulturelles Lernen richtet sich dabei an alle Kinder, egal ob mit oder ohne Migrationshintergrund, unabhängig von Muttersprache oder Aussehen. Sinnvoll ist es außerdem, bei der Vermittlung von Vielfalt als Normalität nicht nur an »kulturelle Vielfalt« zu denken, wie sie etwa durch Migration entsteht, sondern auch andere Ursachen von Vielfalt, wie etwa Aussehen, Geschlecht, Sprache oder »Utility« mitzudenken (Prengel 2006; Derman-Sparks 2013, S. 280 f.).

Ebenen von Kultur

Kultur wird oft mit einem Eisberg verglichen. Sie besteht aus zahlreichen verschiedenen Aspekten, die das alltägliche Leben und Erleben einer Gruppe von Menschen ausmachen. Ein Teil dieser Aspekte ist (wie die Spitze eines Eisbergs) sichtbar. Zu sichtbaren Aspekten von Kultur zählen beispielsweise Kleidung, Sprache, Begrüßungsrituale, Sitten und Bräuche, Feste oder typische Speisen. Der weitaus größere Teil von Kultur ist jedoch (wie der im Wasser liegende Teil eines Eisberges) unsichtbar. Unsichtbare Aspekte umfassen Werte und Normen, Zeitempfinden, Kommunikationsstile, Konzepte von Respekt, Freundschaft, Familie oder Ehre, Vorstellungen über das Verhältnis von Erwachsenen und Kindern, Frauen und Männern, Schönheitsideale, die Bedeutung von Bildung und vieles mehr. Wichtig für das interkulturelle Lernen in der Kita ist es, beide Ebenen von Kultur im Blick zu haben und der Versuchung zu widerstehen, sich mit der Thematisierung der oberflächlichen, sichtbaren Aspekte von Kultur zufrieden zu geben.

Ziele interkulturellen Lernens1

Wenn wir davon ausgehen, dass das Hauptziel interkulturellen Lernens in der Frühen Kindheit die Wahrnehmung von Vielfalt als Normalität darstellt, lassen sich (ohne einen Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben), einige weitere Ziele definieren:

  1. Offenheit für »Fremdes«, Wertschätzung von Vielfalt und Nicht-Bewertung von »Andersheit«.

  2. Bewusstsein für die Vielfalt des menschlichen Lebens, bezogen auf sichtbare und unsichtbare Aspekte von Kultur.

  3. Ambiguitätstoleranz, z.B. damit umgehen zu können, dass es in einer Familie »richtig« ist, mit den Händen zu essen, während dies in einer anderen Familie nicht »richtig« ist.

  4. Wissen über Mehrfach-Identitäten, d.h. ein Bewusstsein darüber, dass ein Kind (Mensch) nicht entweder deutsch oder z.B. ägyptisch sein kann, sondern durchaus beides gleichzeitig. Dies ist genauso möglich, wie sich ein Kind auch der Kita XY, seiner Familie und einem bestimmten Sportverein zugehörig fühlen kann.

  5. Eine Kommunikations- und Fragefähigkeit, die auf einem Bewusstsein für Vielfalt gründet, d.h. dass die Kinder lernen, offen zu fragen, wie Dinge bei anderen gehandhabt werden, ohne davon auszugehen, dass das, was sie selbst als normal und richtig empfinden auch das ist, was für das andere Kind oder deren Familie normal und richtig ist.

Interkulturelle Kompetenz der Fachkräfte als Voraussetzung

Grundvoraussetzung für die Vermittlung interkulturellen Lernens ist die eigene interkulturelle Kompetenz der pädagogischen Fachkräfte. Denn nur wer selbst kulturell sensibel denkt und handelt, kann den Kindern ein Vorbild sein.

Und nur wer interkulturelle Einflüsse im Kita-Alltag erkennt, kann sie für das Lernen der Kinder nutzbar machen. Es wäre denkbar, dass sich interkulturelle Kompetenz durch das Leben und Arbeiten in einem multikulturellen Umfeld auch von allein entwickelt, Forschungen zeigen jedoch, dass dies nicht der Fall ist. Notwendig sind vielmehr praxisnah gestaltete und theoretisch fundierte Angebote in der Aus- und Fortbildung pädagogischer Fachkräfte.

Vielfalt auf der Welt und Vielfalt in der eigenen Lebenswelt

Interkulturelles Lernen in der Kita kann zwei verschiedene Richtungen einschlagen. Zum einen kann die Vielfalt in den Blick genommen werden, die sich auf der Erde (etwa in verschiedenen Ländern) vorfindet. So kann den Kindern z.B. Wissen über verschiedene Länder nahegebracht werden (wie und was man dort isst, wie es aussieht, welche Transportmittel man verwendet, oder wie Kinder typischerweise ihren Alltag gestalten). Dies vermittelt den Kindern einen wichtigen Blick über ihren Tellerrand, kann ihnen helfen, Vielfalt und Fremdheit mit Neugier und Wertschätzung zu begegnen. Ganz wichtig ist dabei allerdings, dass die Lebenssituation von Kindern in anderen Ländern nicht gleichgesetzt werden darf mit dem Leben und Erleben einzelner Kinder in der Einrichtung, die selbst oder deren Eltern aus diesem Land stammen!

Ebenso wichtig ist allerdings, zu beachten, dass die Thematisierung von Vielfalt auf der Welt nur eine Perspektive interkulturellen Lernens darstellt. Die eigentlich wichtigere Perspektive interkulturellen Lernens richtet sich nicht auf die Ferne, sondern auf die eigene Lebenswelt der der Kinder. Denn auch diese ist aufgrund von Faktoren wie Sprache, Kultur, Familienkultur, Aussehen, Religion, Fähigkeiten und vielem mehr von Vielfalt geprägt.

Implizite und explizite Vermittlung interkulturellen Lernens

Neben den zwei genannten Perspektiven interkulturellen Lernens gibt es auch zwei unterschiedliche Möglichkeiten, interkulturelles Lernen umzusetzen. Interkulturelles Lernen kann explizit stattfinden, indem ganz direkt und bewusst über kulturelle Unterschiede gesprochen wird oder implizit, indem den Kindern quasi »nebenbei« mithilfe von Materialien, Geschichten, Liedern oder in Gesprächen Vielfalt als Normalität vermittelt wird.

Insbesondere dann, wenn der Blickwinkel interkulturellen Lernens auf die Vielfalt in der eigenen Lebenswelt der Kinder gerichtet ist, ist es vorzuziehen, dass interkulturelles Lernen implizit vermittelt wird. Eine explizite Thematisierung interkulturellen Lernens würde bedeuten, dass beispielsweise im Morgenkreis darüber gesprochen wird, dass es in »türkischen« Familien angemessen ist, dass Kinder Erwachsenen nicht in die Augen sehen, wenn diese mit ihnen schimpfen, während in »deutschen« Familien das Gegenteil der Fall ist. Mit diesem expliziten Ansatz interkulturellen Lernens bezogen auf die eigene Lebenswelt der Kinder sind zwei Nachteile verbunden: Zum einen werden die Kinder in zwei Gruppen eingeteilt (die »türkischen« und die »deutschen« Kinder), obwohl das Ziel eigentlich wäre, dass sie sich als Einheit fühlen (vgl. Prengel 2006, S. 181). Ein zweiter Nachteil besteht darin, dass über »die« türkischen bzw. deutschen Familien in einer Weise gesprochen wird, die suggeriert, dass sie alle gleich wären. Es wird vernachlässigt, dass gerade Migrationsfamilien die »kulturellen Regeln« in ihrer Familie in vielerlei Hinsicht verändern können. Für den Kita-Alltag bedeutet das ganz konkret: Manchmal ist es gut und richtig, kulturelle Unterschiede explizit zu besprechen, beispielsweise um den Kindern einen Überblick über verschiedene Länder zu geben. Am wichtigsten ist jedoch, dass interkulturelles Lernen im Kita-Alltag implizit d.h. quasi nebenbei stattfindet. Einige konkrete Vorschläge, wie das geschehen kann finden Sie im Folgenden.

Tipps für die Umsetzung

  • Achten Sie auf Ihre Sprache! Bezeichnen Sie den Farbstift, der klassischerweise als »Hautfarbe« benannt wird, z.B. lieber als hell rosa. Auch wenn eine solche Umgewöhnung schwer fällt, ist dies sehr wichtig. Sie vermitteln den Kindern damit, dass es mehr als eine Hautfarbe gibt und dass diejenigen Kinder, die eine dunklere Hautfarbe haben, ebenso der Normalität entsprechen, wie diejenigen mit einer helleren.

  • Achten Sie auf Ihre Materialien! Welches Aussehen haben Ihre Puppen und Lego-Figuren? Spiegeln die Geschichten, die Sie den Kindern vorlesen, die Vielfalt einer multikulturellen Gesellschaft wider oder handelt es sich ganz überwiegend um blonde Kinder aus klassischen Zwei-Eltern-Kernfamilien ohne Migrationshintergrund und mit deutscher Muttersprache? Finden sich in Ihren Liedern, die Sie singen, oder den Bilderbüchern, die sie zeigen, Klischees und Vorurteile? Wenn Kinder etwa mit Migrationshintergrund oder Behinderung in Bilderbüchern vorkommen – welche Rolle spielen sie? Spielen sie nur eine Nebenrolle oder sind sie auch manchmal die Heldinnen und Helden?2

  • Stärken Sie die Mehrfach-Identitäten von Kindern! Ermutigen Sie Kinder mit Migrationshintergrund ruhig, stolz auf ihre Herkunft zu sein. Vermitteln Sie den Kindern jedoch auch, dass sie sich vollständig z.B. kanadisch, aber gleichzeitig ebenso sehr deutsch fühlen dürfen. Auch den Kindern ohne Migrationshintergrund sollte dies bewusst sein.

  • Wertschätzen Sie Mehrsprachigkeit!

  • Seien Sie sich Ihrer Vorurteile bewusst und schreiten Sie ein bei ungerechtem Verhalten unter den Kindern! (vgl. Wagner 2013)

  • Seien Sie den Kindern ein Vorbild! Leben sie den Kindern die oben genannte Fragekompetenz vor, indem sie ganz selbstverständlich fragen, wie etwas bei Ihnen gehandhabt wird. Gehen Sie nicht automatisch davon aus, dass »Ihre« Normalität auch derjenigen in anderen Familien entspricht. Wenn Sie einmal darauf achten, wird Ihnen z.B. auffallen, wie selbstverständlich Sie von »Papas Werkzeugkiste« (Benutzt die nicht auch die Mama?) sprechen oder davon dass »Mama die Wohnung saugt« (Wollen wir den Kindern nicht lieber vermitteln, dass sich auch Männer am Haushalt beteiligen sollten?).

  • Beziehen Sie bewusst auch Beispiele ein, die bislang in unserer Gesellschaft im Durchschnitt weniger häufig vorkommen wie z.B. eine weibliche Ingenieurin, eine erfolgreiche Unternehmerin mit afghanischen Wurzeln oder ein Vater, der sich um Kinder und Haushalt kümmert, während die Mutter arbeiten geht.

  • Lassen Sie sich in Ihrer eigenen interkulturellen Sensibilität unterstützen indem sie an interkulturellen Fortbildungen und Coachings teilnehmen! So werden Sie sensibel für kulturelle Einflüsse im Kita-Alltag mit Kindern und Eltern und können kompetent auf sie eingehen.

Fazit

Interkulturelles Lernen bietet gerade im frühen Kindesalter, wenn Vorurteile erst beginnen, sich auszubilden, große Chancen. Nutzen Sie diese Chancen, indem Sie Ihre eigene interkulturelle Sensibilität stärken und interkulturelles Lernen in den Kita-Alltag integrieren.

Literatur

Deardorff, D. K. (2006.): Policy Paper zur Interkulturellen Kompetenz. Gütersloh: Bertelsmann Stiftung.

Derman-Sparks, L. (2013): Anti-Bias Education for Everyone: Vorurteilsbewusste Bildung und Erziehung für alle. In: Wagner, P. (Hrsg.): Handbuch Inklusion: Grundlagen vorurteilsbewusster Bildung und Erziehung. Freiburg im Breisgau: Herder. S. 279–294.

Morgan, M./Antrup, A/Hambrecht, N./ Köksal, S./Mittermüller, J./Schmid, V./von Abel, S. (2018): Interkulturelles Lernen mit Kinderbüchern: Eine Literatur-Analyse zur Unterstützung interkulturellen Lernens in der Kita. URL: http://www.ikk.uni-muenchen.de/download/service/kinderbuchprojekt.pdf (Zugriff am 30.01.2018).

Pejic, L. (2017): »Will nicht mit ihr spielen!« Haben Kinder etwa Vorurteile? In: Lamm, B. (Hrsg.): Handbuch interkulturelle Kompetenz: Kultursensitive Arbeit in der Kita. Freiburg, Basel, Wien: Herder. S. 134–140.

Prengel, A. (2006): Pädagogik der Vielfalt: Verschiedenheit und Gleichberechtigung in Interkultureller, Feministischer und Integrativer Pädagogik. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Wagner, P. (2013): Der Ansatz Vorurteilsbewusster Bildung und Erziehung als inklusives Praxiskonzept. In: Wagner, P. (Hrsg.): Handbuch Inklusion: Grundlagen vorurteilsbewusster Bildung und Erziehung. Freiburg im Breisgau: Herder.

Fußnoten