Pädagogische Fachkräfte in Kitas kommen mit betroffenen Familien und Kindern in Kontakt und sind oft zu wenig auf deren besondere Bedürfnisse eingestellt, um ihnen adäquate Unterstützungsangebote anbieten zu können. Es gilt, diese Kenntnislücke zu schließen, um auch diesen Kindern eine erfolgreiche Bildungs- und Entwicklungsförderung zu garantieren. Transitionen sind individuelle Ereignisse mit Chancen und Risiken, sie stellen Diskontinuitäten im Leben eines Kindes dar und bieten als solche verdichtete stark emotional besetzte Erfahrungen. Wie Kinder die anstehenden Übergänge meistern, wird von ihren eigenen Personalressourcen (internal) und den Umweltressourcen (external) beeinflusst (Klemenz 2007:58f). Als internale Ressourcen werden genetische und angeborene Faktoren, u.a. die körperliche Gesundheit, kognitive Fähigkeiten und Temperament bezeichnet.
Zu ihnen gehören aber auch die im Lebenslauf erworbenen Kompetenzen (z.B. Sprache). Zu den externalen Umweltressourcen eines Übergangs gehören wesentlich die als Moderatoren bezeichneten Personen aus dem abgebenden, dem begleitenden und dem aufnehmenden sozialen Umfeld. Die Bezugswissenschaften sind sich einig, dass Transitionen in der frühen Kindheit von besonderer Bedeutung sind und ihre Erfahrungen als Verhaltens- und Deutungsmuster im weiteren Lebenslauf den Umgang mit späteren Übergängen beeinflussen (vgl. Jasmund/Krus 2012).
Positive Selbstwirksamkeitserfahrungen mit helfenden Angeboten und der positiven Bewertung des neuen Status unterstützen die spätere Eigenaktivität und die Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit dem neuen sozialen Umfeld (vgl. Griebel/Niesel 2004). Als besonders notwendig wird es gewertet, dass die jeweiligen Instanzen Kenntnisse voneinander haben, weil sie dann den jeweils anderen Bildungsort "ihrer Kinder" besser kennen und verstehen. Sie können ihr Handeln und die Zusammenarbeit mit den Eltern abstimmen und auch diese im Übergang begleiten und unterstützen. Zentraler Aspekt ist es, die Kompetenzen des Kindes durch die Kenntnis seiner individuellen Lebenserfahrungen besser zu berücksichtigen und das zukünftige pädagogische Handeln optimaler darauf abzustimmen, um Brüche in den Bildungskarrieren zu vermeiden.
Viel kritischer muss mit dieser Analyse der Übergang Migration gewertet werden, kommen hier doch weitere Einflussfaktoren hinzu. "Von Migration spricht man, wenn eine Person ihren Lebensmittelpunkt räumlich verlegt. Von internationaler Migration spricht man dann, wenn dies über Staatsgrenzen hinweg geschieht" (Razum/Spallek 2009). Also auch ein Umzug innerhalb Deutschlands erfüllt die Kriterien von Migration und stellt ja auch eine umziehende Familie vor erhebliche Aufgaben. Um Migration als Transition zu analysieren, werden im Folgenden die Einflussfaktoren von Migration auf die oben genannten Kategorien eines Übergangs bezogen. Der Prozess internationaler Migration ist durch vielfältige externale Einflussfaktoren gekennzeichnet, hier eine unvollständige Auflistung davon, die sich beliebig erweitern lässt:
Abgebendes Umfeld (u.a.):
- Auswanderungsland, Kultur, Religion, Sprache, Klima, Nahrung, soziokultureller Status, Wohnumfeld, zurückbleibende Verwandte, Freunde und Bekannte
- Übergang erfolgt als geplanter Prozess mit Abschiedserfahrungen oder als Flucht, Abschiebung etc.
Begleitende Personen:
- enge Bezugspersonen (Eltern und Geschwister als Kernfamilie), soziale Gruppe, Fremde
- Moderation erfolgt als Austausch und Deutung der Erfahrungen aufgrund vorhandener Vorkenntnisse und Haltungen der Erwachsenen
- ggf. als Erlebnis kontinuierlicher Geborgenheit und Vertrauen trotz äußerer Ungewissheit oder als Erlebnis von Fremdbestimmung, Verlassenheit, Einsamkeit, Angst und Trauer
- Kontakte zu den Zurückbleibenden blieben erhalten, werden gepflegt oder brechen ab
Aufnehmendes Umfeld (u.a.):
- Einwanderungsland, Kultur, Religion, Sprache, Klima, Nahrung,
- Empfang, Aufnahme, Unterstützung, Annahme und Akzeptanz oder Assimiliationserwartung und entsprechende Forderung mit Sanktionen
- Zukunftssicherheit oder Zukunftsunsicherheit, Abschiebeängste etc..
Kindertageseinrichtungen sind Moderatoren des Übergangs
In die Kindertageseinrichtungen kommen immer wieder Kinder die zugezogen sind. Was bedeutet es für ein Kind, sein zu Hause mit seinen Eltern auf deren Initiative hin zu verlassen und auf eine neue Umgebung zu treffen? Seine internalen Ressourcen werden das Erleben beeinflussen. Ebenso wesentlich ist die interaktionale Kompetenz der begleitenden Eltern. Mithilfe ihres emotionalen Rückhalts und ihrer Deutungen kann das Kind die vielfältigen neuen Eindrücke verarbeiten und durch Konstanten wie familiäre Rituale, Sprache, Essen etc. relativieren. Die Haltung der Eltern zu diesem Übergang wird ganz entscheidend die kindliche Verarbeitung seiner Erlebnisse beeinflussen und damit seine Einstellung und Bereitschaft sich auf diese neue Situation einzulassen. Die begleitenden Eltern sind aber selbst auch transistierende Personen. Sie haben eine Doppelrolle, die sie, aufgrund der Herausforderungen, welchen sie sich selbst gegenübersehen, auch überfordern kann. Sie haben dann keine Ressourcen frei, ihrer Aufgabe als Moderatoren gerecht zu werden und den Übergang ihres Kindes zu unterstützen. Mit dem Besuch einer Kindertagesstätte erhält ein migriertes Kind die Chance an zwei Orten Unterstützung zu erhalten. Als aufnehmende Instanz fungiert die Einrichtung als Moderator des Übergangs in die neue Lebenswelt der Familie. Sie hat den Auftrag das Kind zu unterstützen, seine Erfahrungen zu verarbeiten und die neue Lebenswelt kennen zu lernen. Dafür brauchen die pädagogischen Fachkräfte Kenntnisse über das abgebende Umfeld der Familie. Wie viel wissen die Erzieher/innen in den Gruppen über die Herkunftssituation ihrer Kinder und deren Familien mit Migrationshintergrund? Oft sind es nur die Kenntnisse über das Herkunftsland und die Muttersprache. Manche Kitas machen interkulturelle Projekte, bei denen es um Informationen über die Herkunftsländer geht, wie Feste, Gerichte, Kleidung etc. Das ist mit Kenntnis der individuellen Herkunftssituation nicht gemeint.
Jedes Kind mit Migrationshintergrund hat ein Recht darauf, dass seine Erzieher wissen, wo und wie es bisher gelebt hat, wie es herkam, warum es hier ist und wie es diesen Übergang erlebt hat, damit sie dies in ihrer Bildungs- und Entwicklungsförderung für das Kind berücksichtigen können. Die Portfolios der Kinder bieten sich an, dort dieses Wissen zu sammeln, zu dokumentieren und für das Kind und seine Eltern aufzubewahren. Die pädagogischen Fachkräfte erhalten dadurch einen differenzierten Blick auf das Kind und seine Situation und durch die Kenntnisse seiner Lebenserfahrungen die Möglichkeit, sich die internalen Ressourcen dieses Kindes zu erschließen. Sie können diese weiter fördern um dem Kind das Ankommen in seiner neuen Lebenswelt zu erleichtern, seine Identitätsentwicklung unterstützen und den Übergang als positives Erleben zu verarbeiten. Das Team, die anderen Kinder und Eltern können positive Impulse zum Umgang mit Diversität erhalten. Das geht nicht, wenn die Herkunft der Familie und des Kindes in der Kita tabu sind. Das geht auch nicht, wenn andere Sprachen, kulturelle und religiöse Regeln in der Kita nicht erlaubt sind oder nicht beachtet werden. Dann kommt es zu einem Bruch im Prozess des Übergangs. Dieser Bruch wird sich nicht nur auf die Institution Kita beschränken, sondern die moderierenden Eltern mit betreffen und damit deren Haltung und Wertung und ihre Bereitschaft zur Zusammenarbeit wesentlich beeinflussen.
Die Identitätsentwicklung von Kindern wird durch die Migrationserfahrung erheblich beeinflusst
Zugespitzt wird die Bedeutung positiver Transitionserfahrungen von Kindern in den ersten Lebensjahren, wenn in diese Überlegungen die entwicklungspsychologischen Kenntnisse der Identitätsentwicklung hinzugezogen werden. Kinder widmen sich früh der Frage: wer bin ich? Vom 2. bis 4. Lebensjahr sind sie auf der Suche nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden zu anderen Kindern, sie nehmen diese selbst wahr und erleben sie durch das differenzierte Verhalten ihrer Bezugspersonen. Sie wollen sich selbst verorten und nutzen dazu angebotene Kategorien ihrer sozialen Umwelt und imitieren deren Verhalten. "Die Forschungsergebnisse über die kindliche Entwicklung von Identität und Haltungen gegenüber anderen lassen sich erklären als ein Zusammenspiel zwischen den individuellen körperlichen Merkmalen eines Kindes und seiner Persönlichkeit, seiner Familienkultur und den gesellschaftlichen Machtverhältnissen. Diese Interaktion beginnt im zweiten Lebensjahr" (Derman-Sparks 2001:9f). Kinder in Kitas befinden sich also mitten im Prozess ihrer Identitätsentwicklung. Eine Migration kann mit dem Verlust wesentlicher Identifikationskriterien verbunden sein. Einige kann eine migrierende Familie mitnehmen, z.B. Sprache, kulturelle Rituale, Religion. Sie sind Sicherheit bietende Ankersteine der Identität des migrierenden Kindes und absolut notwendiger Ausgleich für die enormen Anpassungsleistungen aufgrund vielfältiger neuer Erfahrungen und deren Einordnung.
Wenn ein Kind in einer Kita seine Muttersprache nicht benutzen darf, wird ihm ein wesentliches Identitätskriterium genommen und eine erworbene Kompetenz abgelehnt. Dies wird als "Fremdheitserfahrung" charakterisiert und es lässt sich nur erahnen, welche Auswirkungen diese Erfahrung auf seine Identitätsentwicklung hat (Dragidella 2009:20).
Fazit
Als aufnehmende Instanz haben Kitas die Aufgabe, die Familien in ihrer Erziehungsarbeit zu unterstützen. Für Familien, die als Migrierende in die Kita kommen, braucht die Einrichtung differenzierte Strategien der Aufnahme und Förderung. Diese sollten als fester Bestandteil der Konzeption mit Team und Träger erarbeitet und umgesetzt werden aber auch individuell auf jede Familie adaptierfähig sein. Diese Kinder und ihre Eltern willkommen zu heißen, ihre Aktivitäten positiv verstärken und sie als Bereicherung und Chance für alle zu verstehen ist aber eine Frage der Haltung der pädagogischen Fachkräfte, die es immer wieder zu hinterfragen gilt.
BZpB (Hrsg.), Razum, O. /Spallek, J. (2009), URL: http://www.bpb.de/gesellschaft/migration/dossier-migration/57302/definition (Stand 17.03.2013)
Derman-Sparks, L. (2001): Anti- BIAS- Arbeit mit kleinen Kindern in den USA. www.kinderwelten.net/pdf/1_Anti_Bias_Arbeit.pdf (Stand: 26.03.2013)
Dragidella, L. (2009): Integration ausländischer Kinder und Jugendlicher in Deutschland. In: Sozialmagazin, Heft 6, S. 18-24
Griebel, W./Niesel, R. (2004): Transitionen. Die Fähigkeit von Kindern in Tageseinrichtungen fördern, Veränderungen erfolgreich bewältigen. Beltz: Weinheim u.a.
Jasmund, C./Krus, A. (2012): Ressourcenorientierte Erziehung und Bildung zur Bewältigung von Transitionen im Elementarbereich. In: Knecht, A./ Schubert, F.-C. (Hrsg.): Ressourcen im Sozialstaat und in der Sozialen Arbeit. Kohlhammer: Stuttgart, S. 252-263
Klemenz (2007): Ressourcenorientierte Erziehung. Tübingen: dgvt
MfKJKS in NRW / MSW in NRW (Hrsg.) (2011): Mehr Chancen durch Bildung von Anfang an. Grundsätze zur Bildungsförderung Kinder von 0 bis 10 Jahren in Kindertageseinrichtungen und Schulen im Primarbereich in NRW. www.mfkjks.nrw.de/web/media_get.php (Stand 25.03.2013)