Kindertageseinrichtungen zeichnen sich durch einen hohen Grad an Heterogenität im Hinblick auf die Entwicklungsstände und -bedingungen von Kindern aus. Dies bezieht sich nicht nur auf die Vielfalt der Kinder selbst, sondern auch auf deren Familien mit ihren unterschiedlichen Lebensweisen, Wünschen, Vorstellungen und Kompetenzen. Für die frühpädagogischen Fachkräfte ergeben sich damit hohe Anforderungen an ihr professionelles Handeln (Prengel 2010, 68):
„Frühpädagogen, deren Ziel es ist, jedes Kind willkommen zu heißen, gestalten eine Institution, in der sie im Sinne dieses Ziels kooperieren, zu den Kindern feinfühlige Beziehungen herstellen und entsprechend die Peer-Beziehungen zwischen den Kindern begleiten, um sie zu Selbstachtung und zu wechselseitiger Anerkennung zu befähigen, sind hellhörig für die eigensinnigen kognitiven Interessen der Kinder und bahnen verantwortlich die individuell optimale Annäherung an ausgewählte verbindliche Kulturtechniken an.“
Prengel (2014) sieht daher als Konsequenz für das professionelle pädagogische Handeln im Kontext von Inklusion, dass Wissensbestände zu kindlichen Entwicklungsverläufen und Lebenslagen mit auf den Einzelfall bezogenem Fallverstehen kombiniert werden. Inklusion wird dabei als ein Prozess verstanden, der das Streben nach größtmöglicher Partizipation und minimaler Exklusion von allen Kindern in den Vordergrund rückt (Albers & Lichtblau 2014). Unter der Zielperspektive von Inklusion ermöglichen Bildungsinstitutionen ein Zusammenleben von Kindern, die sich aufgrund ihres Geschlechts, ihrer Herkunft, ihrer körperlichen, kognitiven, sprachlichen, kulturellen und sozial-emotionalen Voraussetzungen voneinander unterscheiden. Wenn Inklusion als Qualitätsmerkmal, Bildungsziel und Leitbild von Kindertageseinrichtungen verstanden wird, rücken damit die Interaktionsprozesse von Kindern in den Vordergrund, für die verbale und nonverbale kommunikative Kompetenzen von Bedeutung sind. Alltagsintegrierte Sprachbildung und -förderung setzt damit am Kern von Inklusion an: Dem Ermöglichen sozialer Partizipation.
Vielfalt in Kindertageseinrichtungen
In der Auseinandersetzung mit Heterogenität in Kita und Frühförderung richtet sich der frühpädagogische Blick auf die unterschiedlichen Voraussetzungen der Kinder. Festzuhalten ist jedoch, dass die Kategorisierungen wie „Kind mit Migrationshintergrund“ oder „Kind mit Behinderung“ nicht zu festgeschriebenen Erwartungen bei den Fachkräften und damit zur Verfestigung von Vorurteilen führen dürfen. Im Kontext von Sprachförderung bedeutet dies, dass nicht jedes Kind mit einer anderen Herkunftssprache als Deutsch „automatisch“ einen Sprachförderbedarf hat. Ebenso gibt es Kinder, die mit Deutsch als Erstsprache aufwachsen aber aufgrund ihrer Entwicklungsbedingungen Unterstützung im Bereich der Sprache benötigen. Der kulturelle Hintergrund eines Kindes kann darüber hinaus nicht ohne Berücksichtigung von Geschlecht und Alter des Kindes sowie vom sozialen Status der Familie betrachtet werden. Die vielfältigen Einflussfaktoren können im Sinne einer Betrachtung von Risiko- und Schutzfaktoren für die kindliche Bildung und Entwicklung fokussiert werden. Dazu zählen einerseits kindbezogene Faktoren wie Begabungen, Interessen und Abneigungen, andererseits wird das Kind aber auch im Kontext seiner Familie, der Peers und der Einrichtung gesehen. In diesem Verständnis gilt es, innerhalb inklusiver Krippen und Kindergärten für die Verwobenheit der unterschiedlichen Dimensionen zu sensibilisieren, ohne dass dies zu einer Verengung der Perspektive führt (Seitz 2009, 7): „Nehmen wir das ernst, so können beim Betrachten einer Kindergruppe ähnlich dem Blick auf ein Stück buntes Textilgewebe unterschiedliche ‚Fäden´ mit den Augen verfolgt werden, die zusammen das Gewebe aus Verschiedenheit ausmachen. Wir können aber niemals alle Fäden gleichzeitig erkennen – wie wir auch Verschiedenheiten in Kindergruppen nie vollständig erfassen können.“
Beobachtung und Dokumentation
Die im Rahmen der Neuausrichtung der Sprachbildung vorgeschlagenen Verfahren zur Beobachtung und Dokumentation werden in diesem Zusammenhang zu einem zentralen Instrument pädagogischen Handelns. Der Fokus richtet sich weg von Kategorisierungen und damit einhergehenden Zuschreibungen (Kind mit Behinderung, Kind mit Deutsch als Zweitsprache) hin zu den sprachlichen Kompetenzen, dem Interesse an Sprache und möglichen fördernden und hemmenden Entwicklungsbedingungen von jedem Kind. Gleichzeitig können die Verfahren auch als Basis für eine kontinuierliche und tragfähige Zusammenarbeit mit Familien gesehen werden. Der Erfolg von individueller Unterstützung und Förderung ist dabei nicht nur von der Verbesserung funktioneller Fähigkeiten, sondern vor allem auch von den Verständigungsprozessen zwischen pädagogischer Fachkraft und der Familie abhängig. Übertragen auf die Arbeit in der Krippe und im Kindergarten weist das aus der Frühförderung bekannte Prinzip der Familienorientierung auf die Bedeutung der Erziehungs- und Bildungspartnerschaft zwischen frühpädagogischen Fachkräften und Erziehungsberechtigten hin. Die Kindertageseinrichtung kann demnach nur zu einem wertvollen Schutzfaktor für die Entwicklung werden, wenn die Eltern als Experten für ihr Kind in die pädagogische Arbeit miteinbezogen werden. Dabei stehen stets die individuellen Fähigkeiten der Kinder als aktive Bewältiger und Mitgestalter des eigenen Lebens im Mittelpunkt.
Mehrebenenmodell von Inklusion und Sprachförderung
Um die dargestellte Vielschichtigkeit von Heterogenität angemessen analysieren zu können, werden Mehrebenenmodelle von Inklusion herangezogen. Ulrich Heimlich (2013) fokussiert dabei die Ebene der Kinder mit individuellen Bedürfnissen, die Ebene der inklusiven Spielsituationen, die Ebene der interdisziplinären Teamkooperation, die Ebene der inklusiven Einrichtung und die Ebene der externen Unterstützungssysteme, die miteinander in Beziehung stehen und hier durch Aspekte von Sprachförderung ergänzt werden.
Im Zentrum der Analyse inklusiver, sprachförderlicher Praxis stehen die Kinder mit ihren jeweils unterschiedlichen Bedürfnissen. Dabei geht es um die Berücksichtigung der unterschiedlichen Voraussetzungen, die Kinder mitbringen (Kontakt mit Bilderbüchern, Familiensprache).
Die Ebene der inklusiven Spiel- und Lernsituationen stellt die Bedeutung der Peer-Interaktion heraus. In der Interaktion mit der Gruppe der Gleichaltrigen entstehen Strategien, um mit den Gleichaltrigen ins Spiel zu kommen. Einige Kinder werden jedoch wiederholt und andauernd von der Peerinteraktion ausgeschlossen, indem beispielsweise der Zugang zu Spielhandlungen verwehrt wird. Frühpädagogische Fachkräfte sollten für derartige Ausschlussprozesse sensibel sein.
Die Ebene der interdisziplinären Teamkooperation erfordert die Zusammenarbeit mit anderen Berufsgruppen und Institutionen, wie zum Beispiel mit Sprachförderkräften oder der Sprachtherapie. Auf der Grundlage gemeinsamer Fallbesprechungen und Förderplanung unter Federführung der Kindertageseinrichtung werden angemessene Unterstützungsangebote für das Kind und seine Familie diskutiert und umgesetzt.
Die Ebene der inklusiven Einrichtungskonzeption zielt darauf ab, dass Kindertageseinrichtungen sich an den Leitbegriffen von Anerkennung, Chancengleichheit, Teilhabe und Inklusion orientieren und sich dies im Konzept widerspiegelt. Die Veränderungen in diesem Prozess sind auf einen längeren Zeitraum angelegt und beziehen alle Beteiligten mit ein: die Perspektive des Trägers, der Fachkräfte, der Kinder und ihrer Familien.
Die Ebene der externen Unterstützungssysteme verweist ebenso wie die Ebene der interdisziplinären Kooperation darauf, dass gelingende inklusive Praxis von der Öffnung der Kindertageseinrichtung für externe Angebote im Sozialraum abhängt. Dies kann beispielsweise die Kooperation mit Angeboten der Frühen Hilfen, der Interdisziplinären Frühförderung oder der Elternbildung betreffen. Dabei können sieben Qualitätsdimensionen in den Vordergrund gestellt werden:
- Systematisch und umfassend Zugang zur Zielgruppe finden
- Systematisch und objektiviert Risiken erkennen
- Familien zur aktiven Teilnahme an Hilfen motivieren
- Hilfen an den Bedarf der Familie anpassen
- Monitoring des Verlaufs der Hilfeerbringung
- Verankerung der Hilfe im Regelsystem
- Vernetzung und verbindliche Kooperation der Akteure
Fazit
Inklusion und Sprachförderung sind nicht als voneinander getrennte Aufgaben von Kindertageseinrichtungen zu verstehen, sondern als sich gegenseitig bedingende Aspekte auf dem Weg zur Partizipation aller Kinder und Familien. Sowohl Eltern als auch Kinder sollten aktiv an den Entscheidungen beteiligt werden, die die individuellen Bedürfnisse des Kindes betreffen. Dabei wird das einzigartige Wissen, welches das Kind und seine Familie in den Prozess der Beobachtung und Dokumentation einbringen, bewusst in die Planung einbezogen. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die jeweils unterschiedlichen Ausgangslagen und Ressourcen in den Blick genommen werden und sich Kinder und Familien mit den gemeinsam formulierten Zielen identifizieren können.
Literatur
Albers, T. (2011): Mittendrin statt nur dabei. Inklusion in Krippe und Kindergarten. München: Ernst Reinhardt Verlag.
Heimlich, U. (2013): Kinder mit Behinderung – Anforderungen an eine inklusive Frühpädagogik. München. Verfügbarunter: www.weiterbildungsinitiative.de/uploads/media/Exp_33_Heimlich.pdf
Prengel, A. (2014): Inklusion in der Frühpädagogik. Bildungstheoretische, empirische und pädagogische Grundlagen. Eine Expertise der Weiterbildungsinitiative Frühpädagogische Fachkräfte (WiFF) München
Seitz, S. (2009): Mittendrin verschieden sein – Inklusive Pädagogik in Kindertageseinrichtungen. Studienbrief der Hochschule Fulda. Fulda (Zentralstelle für Fernstudien an Fachhochschulen)