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Multiprofessionelle Teams gerecht führen

Unterschiedliche Qualifizierungen können im Teamgefüge als ungerecht wahrgenommen werden. Wie kann es der Leitung gelingen das teaminterne Gerechtigkeitsgerangel zu moderieren und den Blick der Beschäftigten weg vom Pay-Gap hin auf vorhandene Ressourcen zu lenken? Auf welche Fallstricke unbedingt zu achten ist und warum es hierbei auf die Leitung ankommt, zeigt der folgende Beitrag.

Das Team als Motor. ©Adobe Stock/Rawpixel.com

Das Team als Motor. ©Adobe Stock/Rawpixel.com

In Kitas trifft man hierzulande viele verschiedene Professionen an, die teilweise ähnliche, gleiche oder völlig verschieden Aufgaben innerhalb des Systems Kita haben können. Die Fülle an divergierenden Qualifikationen innerhalb der Kohorte der Fach- und Ergänzungskräfte erzeugt ein formal-bürokratisches Lohngefälle. Dieses Gefälle ist bestehenden Tarifsystemen und den unterschiedlichen Berufsabschlüssen der Mitarbeitenden in Kitas geschuldet. Die Eingruppierung der Mitarbeitenden nach Qualifikation und Berufserfahrung erfolgt bewusst in differenzierte Gehaltsstufen. Mit dem Anspruch größtmögliche Gerechtigkeit zu schaffen.

Pay-Gap als Zündstoff des Gerechtigkeitsgefühls

Augenscheinlich besticht hier ein Fairnessgedanke, dem Gleichheit zu Grunde liegt. Im Feld der frühen Bildung, insbesondere in Kitas schafft dieses Vorgehen jedoch eine tiefempfundene Ungleichheit. Denn im Alltag verrichten Fach- und Ergänzungskräfte ähnliche, wenn nicht oft genug sogar die exakt selben Aufgaben. Dem zu wickelnden Kind ist es völlig gleichgültig welche berufliche Vita Mitarbeitende seiner Gruppe vorzuweisen haben. Ebenso ergeht es unter Garantie auch dem Boden der täglich gefegt oder dem Teewagen der durch die Flure geschoben wird. Anfallende Arbeiten im Tagesablauf sollten im Idealfall von allen Mitarbeitenden in komparabler Qualität ausgeführt werden. Stellenbeschreibungen ergeben theoretisch einen strukturgebenden Sinn. Soll hierdurch doch Handlungssicherheit und Orientierung geschaffen sowie auf das jeweilige Aufgabenfeld der einzelnen Mitarbeitenden hingewiesen werden. Allerdings völlig obsolet wird dieses Stückpapier dann, wenn es, wie gegenwärtig zu anhaltenden Personalausfällen kommt. Eine Situation, die das ausgetüftelte Regelwerk schlicht pulverisiert und das tabellarische Hierarchiekorsett ausradiert. Der Betreuungsauftrag den Kindern gegenüber ändert sich zu keinem Moment, ganz gleich wie sich Ross und Reiter schimpfen. In solchen Momenten, die sich perspektivisch zum Dauerzustand ausprägen, werden Unterschiede in der beruflichen Qualifizierung nivelliert. Was dennoch bleibt sind die Abstufungen im Gehalt der Mitarbeitenden. Schließlich wird die tägliche Arbeit nach Qualifikation und nicht nach Leistung vergütet. Wiederum konterkariert dieser Umstand den ursprünglich erdachten Gerechtigkeitsansatz. Im sozialen Gefüge des Kita-Kollegiums stellt sich trotz gelebter Augenhöhe nach einer Weile die Frage nach gerechter Bezahlung.

Der Blick hinter die Orange

Genau an diese sensible Sollbruchstelle muss die Kitaleitung treten. Ihr Job besteht darin, dieses Thema zu moderieren – auch wenn sie die Ausgangslage nicht zu verantworten hat. Denn reitet sie dieses Pulverfass unkommentiert weiter, droht das Team in einen Konflikt zu schliddern. Dabei bilden monetäre Gesichtspunkte nur die Spitze des Eisbergs. Zwar geht es vordergründig um Ziffern, Zahlen und Kommastellen. In Wirklichkeit sind dies jedoch nur die sichtbaren Symptome eines verletzten Gerechtigkeitsgefühls einzelner Mitarbeitender. Das Gefühl gering geschätzt zu sein, bricht sich bei Mitarbeitenden in erster Linie durch das monatliche Gehalt bahn. Im Austausch mit anderen Teammitgliedern fühlen sie sich in ihrer destruktiven Annahme bestätigt – ihre Arbeit ist weniger wert. Ergo sind auch sie als Mitarbeitende, so die subjektive Konklusion, weniger wert. Selbst bei gleicher Qualifikation der Mitarbeitenden ist es schier unmöglich ein Gefühl der Gleichberechtigung sicherzustellen. Da Empfindungen wie sich gleichberechtig zu fühlen absolut subjektiv sind und sich nur bedingt von außen beeinflussen lassen. Gleichsam ist die Leitung angehalten, ebendiese emotionale Dynamik stetig im Blick zu halten. Sie sollte sich als Führungskraft nicht empfänglich zeigen für Gehaltsdebatten, da sie ohnehin in den meisten Fällen keinen Einfluss nehmen kann. Diesen Systemkampf kann sich die Leitung getrost sparen. Sehr wohl reagieren sollte sie hingegen auf das darunter liegende Bedürfnis der Mitarbeitenden nach Gleichbehandlung im Team. Das beginnt bereits bei der Sprache. Denn Sprache schafft Wirklichkeit und hat die Kraft ein informelles Hierarchiegefälle zu manifestieren. Je nachdem wie sich die Leitung inhaltlich positioniert und welche Ansprache sie gegenüber ihren Mitarbeitenden wählt, prägt sie das Bild dieser Menschen sowohl im Team als auch bei den Eltern. Anderseits verzerrt es die Realität, wenn die Leitung vorgibt, alle Mitarbeitenden im Team seien völlig gleich. Hiermit negiert sie die verschiedenen Qualifikationen ihrer Mitarbeitenden, woraufhin sich diese wiederum in ihrer Fachlichkeit nicht wertgeschätzt fühlen. Vielleicht ist ihr Gehalt auf Grund eines Bachelor- oder Masterstudiums entsprechend hoch, dafür vermissen sie hingegen die Würdigung ihres akademischen Grades. Folgendes Beispiel verdeutlicht, wie Konflikte gelagert sein können und wie bedeutsam es ist die inhärente Motivation hinter dem jeweiligen Interesse herauszuschälen. Zwei Kinder streiten sich um eine Orange. Beide bleiben unerbittlich bei ihrer Forderung nach einer ganzen Orange. Bis die Mutter eine entscheidende Frage stellt: „Was möchtet ihr mit der Orange machen?“ Darauf der eine: „Ich will Saft machen.“ Und der andere: „Ich brauche den Orangenabrieb für einen Kuchen.“ Die Frage der Mutter spült die Anliegen der Kinder an die Oberfläche. Nun findet sich ein Kompromiss, mit dem beide Seiten zufrieden sind. Übertragen auf die Verschiedenheit im Team, zeigt dieses kurze Beispiel, wie wichtig es für die Leitung ist, teaminternen Zwist bis auf den kleinsten gemeinsamen Nenner zu dekonstruieren. Wohlmöglich wünscht sich eine langjährige Fachkraft Anerkennung für ihre Betriebszugehörigkeit und stört sich daran in Entscheidungen nicht einbezogen zu werden. Während eine der Ergänzungskräfte als Berufsanfängerin das Gefühl hat, von der entsprechenden Kollegin aufgrund ihrer fachlich niedrigeren Qualifikation nicht auf Augenhöhe behandelt zu werden. In der Folge meidet sie deshalb die vermeintlich kraftraubende Argumentation mit ihrer Kollegin und trifft Entscheidungen lieber allein. Solche und ähnliche Ausgangssituationen finden sich immer wieder in Kitas. Anstatt also zu versuchen, die offensichtlichen Unterschiede im Team zwanghaft auf eine Grasnarbe zu mähen, sollte die Ungleichheit bewusst ins Rampenlicht geholt und thematisiert werden. Leitendes Motiv hierbei ist, über das Trennende auf das Verbindende im Team hinzuarbeiten. Immer in dem Wissen, dass jede Seite eine andere Konstruktion der Wirklichkeit besitzt und den eigenen Selbstwert potenziell in Gefahr sieht.

Toll ein anderer macht’s – war gestern!

Zweifelsohne überwiegen in Teams die Gemeinsamkeiten, die sich schon allein über die Freude an der Arbeit mit Kindern bilden. Es liegt an der Leitung, das starre Organigramm aufzulösen und in einen Zirkel zu überführen, in dessen Mitte Diversität als Wert geschätzt und gelebt wird. Der Weg dorthin führt über eine hohe Kommunikationskompetenz und -bereitschaft der Leitung. Schenkt sie ihren Mitarbeitenden Vertrauen, schafft ihnen Freiräume zur Erprobung und lebt eine toleranten Fehlerkultur vor, wird sich das Arbeitsklima nachhaltig verbessern. Zunächst gilt es das häufig bemühte Akronym „TEAM“ für „toll ein anderer macht’s“ in „toll wir haben eine bereichernde Vielfalt im Team“ umzudeuten. Mögliches Werkzeug dazu ist das gemeinsame Erstellen einer Kompetenzlandkarte. Neben dem Berufsabschluss der Mitarbeitenden finden sich hier zudem ggf. frühere Berufsausbildungen, absolvierte Weiterbildungen, Zusatzqualifikationen, Interessensgebiete, Fremdsprachen und Freizeitbeschäftigungen. Die gesammelten Informationen helfen dem Team bei der Verortung vorhandener Ressourcen. Angesichts des Wissens um einzelne Kernkompetenzen im Team, kann die Leitung gezielt auf Mitarbeitende zu gehen und sie bitten ihr Wissen dem ganzen Team zugänglich zu machen. In der Kita hat beispielsweise eine Mitarbeiterin ein Montessori-Diplom. Im Team kommen häufig inhaltliche Fragen zu Montessori-Pädagogik auf. Die Leitung tritt ihr einen Teil der Dienstbesprechung ab, so dass sie aus ihrer fachlichen Expertise heraus zur Montessori-Pädagogik referiert. Durch diese Vorgehensweise werden Synergien geschaffen und Synergieeffekte innerhalb des Teams genutzt. Die Expertise jedes Einzelnen sorgt nach einer Phase der Erprobung dafür, dass sich ein kontinuierlicher Transfer von Wissen im Team etabliert. Alle Mitarbeitenden haben die Chance ihre Fühler in andere pädagogische Disziplinen auszustrecken und kollektiv zu wachsen. Dieses Wachstum motiviert das Team und bezieht jeden mit seiner individuellen Berufsbiografie mit ein. Desweitern kann zum Beispiel die erste Viertelstunde einer Dienstbesprechung dazu genutzt werden über die Frage „Ich arbeite gerne mit Kindern, weil…?“ in einen offenen Teamdialog zu treten. Mit großer Wahrscheinlichkeit herrscht über diese Frage großer Konsens ihm Team und weist auf viele Parallelen der Teammitglieder hin. Zu sehen, dass Kolleg*innen auf ihren Lebenswegen gleiche oder grundverschiedene Entscheidungen getroffen haben, die sie letztlich an dieselbe Stelle geführt haben, stärkt die gegenseitige Akzeptanz und das Gemeinschaftsgefühl.

Fazit

Verschiedenheit in der Vita wird plötzlich zum Gewinn für alle und schafft einen Verständigungsprozess über Fachgrenzen hinweg. Diese niedergetrampelten Zäune sorgen dafür, dass alle im selben (Kinder-)Garten ihre Samen aussähen und die Früchte der eigenen Arbeit geteilt werden. Wie beim Knüpfen eines Seiles, laufen die einzelnen Fasern bei der Leitung zusammen. Ihre Aufgabe besteht darin, die Enden zu einem Strang zu flechten. Völlig egal welche Farbe oder Beschaffenheit jede einzelne Faser hat. Entscheidend ist nur die Stabilität, die von dem Seil ausgeht. Die Botschaft lautet: In unserem Kollektiv kommt es auf jede und jeden von uns an. Über diese Brücke lässt sich das Team von multiprofessionellen Solisten hinzu interdisziplinären Teamspielern führen und formen.

Weitere Informationen unter:

https://recht.nrw.de/lmi/owa/br_bes_text?sg=0&menu=0&bes_id=43064&aufgehoben=N&anw_nr=2