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Musik im Kitaalltag: Spaß oder Förderung?

In den Bildungsplänen der Länder sind die musische Bildung allgemein und Musik im Speziellen als Bereiche ausgewiesen, die eine besondere Beachtung erfahren sollten. Zudem gibt es in den letzten Jahren vielfache Befunde aus Neuro- und Musikpsychologie sowie aus der Musikpädagogik, die Transfereffekte von Musik auf unterschiedliche Entwicklungs- und Verarbeitungsbereiche aufzeigen. Doch wo liegt das Potenzial von Musik und welche Befunde sind für den frühkindlichen Bildungsbereich überhaupt relevant? Der Beitrag soll auf die wichtigsten Fragen kurze Antworten geben.

Musik macht allen in der Kita Spaß

Musik macht allen in der Kita Spaß

Genau wie Sprache und Sprechen ist auch das Musizieren eine Fertigkeit, die den Menschen von anderen Spezies unterscheidet. In allen Kulturen gibt es neben Geschichten, Bedeutungen und Wörtern eine eigene Musik, egal ob instrumental oder vokal in der Verbindung von Sprache und Musik, als Lieder. Die Evolutionsforschung hat Hinweise über gemeinsame Wurzeln von Musik und Sprache. Beide Phänomene haben sich vermutlich als unterschiedliche Spezialisierungen aus der sogenannten „musilanguage“ entwickelt – die Musik als Möglichkeit zur Vermittlung von Emotionen und die Sprache für die inhaltliche Vermittlung. Wichtig sind für uns Menschen beide geblieben und einige Forscher sind sogar der Meinung, dass Sprache für den Säugling zunächst eher eine Art Musik ist, da er erst nach und nach sprachliche Einheiten (Wörter, Phrasen, Sätze) erkennt und versteht. So verwundert es wenig, dass die Musik auch eine entscheidende Rolle in der Kommunikation und Koordination von Gruppen sowie für den sozialen Zusammenhalt spielt. Jede soziale Gruppe (z.B. Kinder, Jugendliche, Rentner, Migranten eines bestimmten Herkunftslandes) hat ihre eigene Musik. Durch das gemeinsame Musikhören, Singen, Musizieren und Tanzen wird der Zusammenhalt in der Gruppe gestärkt und man fühlt sich miteinander verbunden. Nicht ohne Grund hat schon Johann Gottfried Seume in seinem Bericht einer Reise nach Syrakus im Jahr 1802 den Ausspruch geprägt: „Wo man singet, lass dich ruhig nieder, Ohne Furcht, was man im Lande glaubt; Wo man singet, wird kein Mensch beraubt; Bösewichter haben keine Lieder“.

Was macht Musik oder das Musizieren so besonders?

Neben den eben beschriebenen sozialen Aspekten ist das Besondere an der Beschäftigung mit Musik, dass beim Musikhören und Musizieren unterschiedliche Wahrnehmungs- und Verarbeitungsleistungen sowie Entwicklungs- und Förderbereiche eingebunden sind. Allein, um trommeln zu können, muss ein Kind die Motorik planen und die Bewegung der Arme und Hände koordinieren, um die Trommel zu treffen (Auge-Hand-Koordination). Ebenso muss das Kind die Kraft regulieren mit der auf das Fell der Trommel geschlagen wird. Somit sind zusätzlich akustische und sensomotorische Wahrnehmung und Kontrolle notwendig. Wird gemeinsam mit anderen oder passend zu einem Lied getrommelt, dann muss man ebenso Tempo und Rhythmus synchronisieren – die Auflistung ließe sich noch fortsetzen. Diese gleichzeitige und vernetzte Verarbeitung in unterschiedlichen Domänen (Sehen, Hören, Motorik, …) führt zu einer erhöhten Hirnaktivität und in der Folge zu besseren Verarbeitungsleistungen, was die musikpsychologische Forschung im Vergleich von musikalischen Laien und Profimusikern zeigen konnte. Für die Entwicklungsförderung von Kindern bieten sich dadurch vielfältige Einsatzmöglichkeiten. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Gefühls- und Emotionsebene. So löst Musik Gefühle und Emotionen aus, kann sie unterstützen oder verstärken und ist damit für Menschen eine nichtsprachliche Ausdrucks- und Kommunikationsmöglichkeit und es bieten sich Förder- und Einsatzmöglichkeiten zum Beispiel für die Arbeit mit Kindern mit Migrationshintergrund sowie mit schüchternen oder verhaltensauffälligen Kindern.

Was kann Musik bewirken? – Transfereffekte

Nun wurden bereits einige Wirkungen von Musik beschrieben. Was wissen wir aber zuverlässig über Transfereffekte von Musik auf andere Bereiche? Anfang der 90er Jahre sorgte der sogenannte Mozarteffekt für mediale Aufmerksamkeit. Die amerikanische Forscherin Frances Rauscher meinte, mit ihrem Team bewiesen zu haben, dass das Hören der Musik von W.A. Mozart (Klaviersonaten) die Menschen intelligenter macht. Tatsächlich macht das Hören von Musik nicht intelligent und die Musik von Mozart ist nicht besser als andere Musik. In Replikationsstudien wurde gezeigt, dass das Hören von Musik, die einem gefällt zu einer positiven Stimmung führt, die sich dann kurzfristig positiv auf bestimmte kognitive Leistungen auswirkt.

Wie oben beschrieben ist die Beschäftigung mit Musik (Wahrnehmen, Musizieren) mit der vernetzten Verarbeitung auditorischer, motorischer und somatosensorischer Informationen verbunden. Musiker sind aufgrund ihres, über viele Jahre hinweg, intensiven Trainings (z.T. seit dem Kleinkindalter) in der Lage, viele der Verarbeitungsprozesse, die der Wahrnehmung und der Produktion von Musik dienen, schneller und effizienter auszuführen als Nichtmusiker. Daher ist der Vergleich von musikalischen Laien und Profimusikern ein ideales Modell, um die Plastizität des Gehirns zu untersuchen. Bei Profimusikern sind bestimmte organische Hirnstrukturen vergrößert, ihr Gehirn ist selbst beim passiven Hören von Musik stärker aktiviert und sie zeigen bessere (sprachliche) Arbeitsgedächtnisleistungen. Für Kinder mit einem häufigeren Musikunterricht konnten zusätzlich Verbesserungen im Bereich der phonologischen Bewusstheit gezeigt werden, die ja eine Grundvoraussetzung für den Schriftspracherwerb ist.

Durch Musik besser sprechen? – Sprach- und Entwicklungsförderung mit Musik

Für Menschen mit Redeflussstörungen (Stotterer) ist bekannt, dass die Stottersymptomatik beim Singen zumeist nicht auftritt. Daher nutzen einige Stottertherapien eine an das Singen angelehnte Sprechweise. Auch in der Therapie bei Menschen mit sprachlichen Ausfällen/Störungen nach Hirnschädigungen (z.B: Schlaganfall) nutzt man gesungene Sprache in der Melodic Intonation Therapy, um Wörter und Sätze neu zu erlernen. Diese Verbindung von Musik und Sprache hilft auch typisch entwickelten Kindern im Spracherwerb beim Lernen und Merken von Wörtern. Neben der Information in Bezug auf die Bedeutung der Worte und die phonologische Repräsentation (z.B. Silbenstruktur) führt in Liedern und Kinderreimen die Verknüpfung mit melodischen, rhythmischen oder motorischen Informationen zu einer besseren Speicherung. Der Nutzen von Musik für das sprachliche Lernen ist jedoch nicht bei allen Kindern gleich. Gerade Kinder mit sprachlichem Förder- und Therapiebedarf scheinen nicht von der Verknüpfung von Musik und Sprache zu profitieren. Daher ist es an dieser Stelle wichtig, klar zu stellen: Allein durch Musik spricht man nicht besser. Der Nutzen liegt wahrscheinlich eher woanders: Beim Singen macht die Beschäftigung mit Wörtern und Sprache viel mehr Spaß als beim Sprechen. In Liedern wie „Auf der Mauer auf der Lauer“ oder „Drei Chinesen mit dem Kontrabass“, aber auch in Kinderreimen und (Finger-)Bewegungsliedern bekommen die Kinder ein Gefühl für die Laut- und Silbenstruktur. Die in der Sprache ohnehin enthaltenen musikalischen Aspekte wie Betonungen, Akzente, Tonhöhenvariation, Konturen, Rhythmen, Dehnungen, Pausen – sie werden als Prosodie bezeichnet – kommen in Reimen und Liedern viel deutlicher zur Geltung. So werden in Liedern die natürlichen Betonungsmuster und rhythmischen Strukturen von Wörtern und Sätzen verstärkt (z.B. Hänsel und Gretel …; Der Kuckuck und der Esel … – eben nicht: Hänsel und Gretel). Das hilft Kindern im normalen Spracherwerb oder mit nichtdeutscher Muttersprache, ein besseres Gefühl für die deutsche Sprache zu bekommen.

Mit noch etwas Anderem unterstützt uns die Musik in der Förderung von Kindern. Musik macht Spaß und ist anregend. Dadurch merken Kinder gar nicht, dass sie Wörter, Textstellen, Silben, Laute, Inhalte aber auch Bewegungen immer und immer wieder wiederholen. Diese Verknüpfung von lustbetonter Wiederholung ist aus der Lernpsychologie als ideal für den Wissens- und Kompetenzerwerb bekannt. Auch geht das Tanzen, Singen und Musizieren mit erhöhter Konzentration und Aufmerksamkeit einher, die auf diese Weise gefördert und ausgebaut werden. Ebenso wird in der Unterscheidung von Klängen und Instrumenten die Wahrnehmungsdifferenzierung gefördert.

Es gibt jedoch auch Studien die zeigen, dass die Verbesserung in sprachlichen Bereichen abhängig ist von der Art der musikalischen Förderung. In einer Studie von Thompson et al. (2004) wurde untersucht, ob 6-jährige Kinder nach einem wöchentlichen künstlerischen Training über 1 Jahr hinweg den emotionalen Gehalt von Sätzen (fröhlich, traurig etc.) besser einschätzen können. Dabei zeigte sich, dass nur die Kinder mit einem wöchentlichen Instrumental- oder Schauspielunterricht bessere Leistungen erzielten. Im Gegensatz dazu waren Kinder, die 1 Jahr lang Gesangsunterricht erhielten nicht besser.

Selber spielen oder vom Band?

Diese Frage wird oft gestellt, da Erzieherinnen häufig wenig Vertrauen in ihre eigene Musikalität haben. Hierzu gibt es jedoch nicht so viele Befunde. Allerdings weiß man aus der Spracherwerbs- und Gedächtnisforschung, dass Kinder besser lernen, wenn Ihnen eine Person direkt gegenüber sitzt, als wenn sie über Video auf einem Fernseher erscheint. Hinzu kommt die Tatsache, dass Musik-CDs häufig viel zu komplex arrangiert sind. Eine komplette Band mit Klavier, Gitarre, Bass, Schlagzeug etc. und vielleicht noch mehrere Sänger oder ein vielstimmiger Kinderchor führen dazu, dass die Melodie und der Text eines Liedes nur schwer verständlich sind, was gerade für Kinder mit (sprachlichem) Förderbedarf eine zusätzliche Schwierigkeit darstellt. Dazu wird beim Abspielen von CDs häufig die Lautstärke zu stark eingestellt. Hier wäre es besser, nur mit der eigenen Stimme zu arbeiten, oder sich selbst nur mit einer Gitarre zu begleiten. Den Kindern gefällt es ohnehin meist genauso gut, oft sogar besser und sie erleben durch die Erzieherin, dass zu Musik das eigene aktive Musizieren gehört. Auch können sie so ihre Aufmerksamkeit und Konzentration besser fokussieren.

Spaß? Bildung? Förderung? – Alles eine Frage der Ausrichtung!

Im Beitrag ist deutlich geworden, dass Musik sehr vielseitig ist und mit ihrer Hilfe ganz unterschiedliche Förder- und Entwicklungsbereiche angesprochen werden können. Musik ist dabei jedoch kein Heilmittel, das wie eine Medizin von allein wirkt. Um eine bestimmte Fähigkeit oder Fertigkeit bei Kindern zu fördern, muss man sich genau überlegen, welche Art von Musik man wie einsetzt. Instrumente klingen unterschiedlich: lang/kurz, laut/leise, hell/dunkel. Ich kann allein, nacheinander, miteinander musizieren. Ich kann in der Musik Gefühle und Emotionen auslösen oder verstärken. Musik kann beruhigen oder aktivieren. Mit Musik und Instrumenten kann man Kommunizieren oder Dialoge führen – dies machen zum Beispiel Musiktherapeuten in der Improvisation (wiederholen, ergänzen/weiterführen, begleiten, kontrastieren, Impulse geben). Ich muss beim Musizieren, zuhören, abwarten etc. Richtig ausgewählt und zielgerichtet eingesetzt kann Musik damit vielfältig genutzt werden, um Kinder in bestimmten Bereichen zu fördern oder ihre Entwicklung zu begleiten.

Zwei einfache Fragen zum Schluss

Muss Musik unbedingt eine fördernde oder heilende Wirkung haben? Rechtfertigt sich Musik nur als Teil der frühkindlichen oder schulischen Bildung? Ich meine nein. Musik hören und Musizieren braucht nicht eine solche Rechtfertigung und Begründung. Musik ist Teil unseres Menschseins, sollte natürlich dazugehören, muss nicht perfekt sein und sollte einfach nur Spaß machen. Geben Sie diese Freude den Kindern weiter!

Literatur:

Jäncke, L. (2008): Macht Musik schlau? Neue Erkenntnisse aus den Neurowissenschaften und der kognitiven Psychologie. Bern: Huber.

Jentschke, S./Koelsch, S. (2006): Gehirn, Musik, Plastizität und Entwicklung. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 5(Beiheft), 51 – 70.

Maier-Karius, J. (2010): Beziehungen zwischen musikalischer und kognitiver Entwicklung im Vor- und Grundschulalter. Münster: Lit.

Sallat, S. (2014): Musikalische Transfereffekte: Glauben und Wissen ist nicht das Gleiche – Von den Schwierigkeiten, den Einfluss von Musik auf außermusikalische Bereiche nachzuweisen. Fachzeitschrift Rhythmik Schweiz 24, 7 – 10.

Sallat, S. (2014): Struktur, Entwicklung und Verarbeitung von Sprache und Musik. Aphasie und verwandte Gebiete | Aphasie et domaines associés 1/2014, 15 – 25.

Thompson, W.F./Schellenberg, E.G./Husain, G. (2004): Decoding Speech Prosody: Do Music Lessons Help? Emotion, 4 (1), 46 – 64.

Ideen für die musikalische Förderung

Hirler, S. (2015): Sprachförderung durch Rhythmik und Musik. Freiburg: Herder.

Hirler, S. (2012): Wahrnehmungsförderung durch Rhythmik und Musik. Freiburg: Herder.