zurück nach oben

Nachhaltigkeit: die soziale Dimension!

Wenn von Nachhaltigkeit die Rede ist, so geht es meist um die Umwelt, um ökologische Fragen oder aber um ökonomische Aspekte. Damit verbunden und mindestens auf gleicher Ebene ist die soziale Dimension der Nachhaltigkeit zu sehen. Nachhaltigkeit sollte jedoch auch den einzelnen Menschen, das soziale Miteinander und die Gesellschaft im Blick haben. Gerade die Kita kann neben und mit einer Bildung zur nachhaltigen Entwicklung hier einiges bewegen. Vor allem ist auch der Einfluss der Kindertageseinrichtung auf die nachhaltige Entwicklung der Kinder zu betrachten.

Die Kita hat nachhaltigen Einfluss auf die Kinder

Die Kita hat nachhaltigen Einfluss auf die Kinder

Soziale Nachhaltigkeit bedeutet, die Mitmenschen im Hier und Jetzt aber auch im Dort und Später im Blick zu behalten. Die Achtung und Nutzung von Vielfalt, die Auswirkungen des Handelns innerhalb der Kita und nach außen sind hier ebenso von Bedeutung wie die Beachtung der Kinder- und Menschenrechte bei Einkaufs-, Mobilitäts- und Bauentscheidungen. So ergibt es einen Unterschied, ob Waren, die die Kita bezieht, unter sklavenähnlichen oder menschlichen Bedingungen hergestellt werden. Eine Kita kann nur halbherzig über Armut in der Welt sprechen, wenn sie durch ihr Handeln und ihre Entscheidungen die Armut in anderen Teilen der Welt begünstigt. Zu einer ganzheitlichen Bildung für nachhaltige Entwicklung gehört dies genauso wie die Entscheidung über Finanzanlagen des Trägers einer Kindertageseinrichtung. Im Hier und Jetzt muss es darum gehen, die Kinder in der Kindertagesstätte optimal zu fördern, eine Balance zu finden zwischen einer zurückhaltenden und unterstützenden Hilfe bei der Entwicklung und dem aktiven Fördern und Eingreifen bei der Persönlichkeitsentwicklung.

Eine wesentliche Aufgabe der Kindertageseinrichtung besteht auch in der Wirkung auf die Familie, die Eltern und das soziale Umfeld der Kinder. Vernachlässigung kann grundsätzlich in allen Familien vorkommen. Die nicht ausreichende körperliche Versorgung kann ebenso eine Vernachlässigung bedeuten wie die übermäßige Sorge, die den Kindern wichtige Entwicklungen vorenthält, indem Eltern als »Helikoptereltern« oder durch »Überfürsorge« den Kindern auch die leichtesten Hindernisse und damit Herausforderungen und Entwicklungsaufgaben aus dem Weg räumen. Eine Pädagogik der Achtsamkeit, der Förderung des Individuums in seiner sozialen Eingebundenheit und die Förderung der Selbstständigkeit, der Selbstwirksamkeit und der Partizipation sind bedeutsame Bestandteile einer sozialen Nachhaltigkeit. Gerade die Kindertageseinrichtung legt hier wesentliche Grundsteine für das weitere Leben. Die Entwicklungspsychologie legt nahe, dass das explorative Erkunden und Lernen der ganz Kleinen bedeutsam für die Entwicklung wichtiger Werte und Haltungen ist und für das weitere Leben entscheidend prägt.

Woran erkennt man »soziale« Nachhaltigkeit?

Der Begriff der Nachhaltigkeit hat zumindest seit der entsprechenden Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages eine ökologische, eine ökonomische und eine soziale Dimension. Während es bei der ersten um den natürlichen Lebensraum und um begrenzte Ressourcen geht, hat die ökonomische Dimension die dauerhafte Grundlage des Wirtschaftens im Sinn. Bei der sozialen Dimension werden die Vielschichtigkeit des »Sozialen« und die an den jeweiligen Kontext gebundene Ausprägung des Begriffes deutlich. Emspacher und Wehling (2002, S. 65) grenzen die soziale Dimension auf verschiedene Ebenen ein. Zu jeder dieser Ebenen ermitteln sie Leitindikatoren (nachfolgend in Klammern).

  • »die Befriedigung der Grundbedürfnisse/Arbeit« (Human Poverty Index (Index, der sich aus Kennzahlen aus den Feldern Bildung, Arbeit, Gesundheit, Wohnung und individuelle Zufriedenheit zusammensetzt), Allgemeine Lebenszufriedenheit),

  • »die Sozialressourcen« (Zeitaufwand für soziale, politische und ehrenamtliche Tätigkeiten; Anteil der Bevölkerung, die Einsamkeitsgefühle hat und der Meinung ist, die Verhältnisse seien zu kompliziert geworden),

  • »die Chancengleichheit« (Einkommensverteilung, Gender Empowerment Measure (beschreibt das Ausmaß der gesellschaftlichen Machtteilhabe von Frauen)),

  • »die Partizipation« (Zufriedenheit mit politischer Partizipation; Anteil von Personen, die sich an Partizipationsformen beteiligen).

Wenn diese Indikatoren auf den einzelnen Ebenen ermittelt werden, so muss darüber hinaus beachtet und in Betrachtung gezogen werden, dass »soziale Nachhaltigkeit« auch die Bereiche umfasst, in denen es keine direkte Beziehungen zwischen Menschen gibt, z.B. bei mittelbaren Beziehungen durch Güter, Dienstleistungen oder Geldströme. Dies ist eine Herausforderung, die nicht einfach gemeistert werden kann. Dennoch sollte diese soziale Nachhaltigkeit stärker in den Fokus gerückt werden. Gerade soziale Organisationen sollten einen nachhaltigen Weitblick entwickeln, auch über den eigenen »Tellerrand« hinweg, um ihre Glaubwürdigkeit zu untermauern und ihrem (oft genannten) ethischen Anspruch gerecht zu werden.

Bildung für nachhaltige Entwicklung ist mehr als ein Lehrplan

Vielerorts wird eine Bildung für nachhaltige Entwicklung betrieben, leider oft nur als ein Impuls oder eine Methode im Alltag der Einrichtung. »Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE) in Kindertageseinrichtungen umzusetzen bedeutet, Kindern im Alter von 0 bis 6 Jahren die Möglichkeit zu bieten, sich spielerisch mit zukunftsrelevanten Themen und Fragestellungen zu beschäftigen, ihnen den Raum zu geben, selbst Verantwortung zu übernehmen und ihr unmittelbares Lebensumfeld im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung mitzugestalten« (www.bne-portal.de). Diese Bildung sollte jedoch eingebunden sein in ein nachhaltiges Engagement der Kindertageseinrichtung und die o.g. Besonderheiten der frühkindlichen Bildung berücksichtigen. Kinder sollten Nachhaltigkeit selbst erleben und Vorbilder erleben, die eine soziale Nachhaltigkeit erkennbar werden lassen. Wichtige Elemente sind dabei der Umgang mit Vielfalt und Verschiedenheit, Konfliktlösung, Einkaufsverhalten, Umgang im Sozialraum, Umgang mit Armut und Reichtum, demokratische Werte wie Toleranz, Minderheitenschutz, Mehrheitsentscheidungen, Bindung an Grundwerte, Freiheit etc. Wird diese Art von Bildung ernst genommen, sollte sie sich auch auf die Eltern und Familien, auf die Träger und das soziale Umfeld beziehen, ohne jedoch hier die Kindertageseinrichtung in ihren Möglichkeiten zu überfordern. Bildung für nachhaltige Entwicklung ist dann nicht mehr ein Anhängsel oder ein Bildungsbereich, sondern ein durchgehender Anspruch einer Kita, an der sich diese zu Recht messen lassen kann.

Einzelne Felder, in denen soziale Nachhaltigkeit direkt und indirekt von Bedeutung ist:

  • Einkauf der Kita bzw. des Trägers: Darauf achten, dass soziale und ökologische Belange beachtet werden.

  • Güter und Dienstleistungen (Handwerk, Beratungsleistungen): Werden hier tarifgebundene Löhne und Gehälter bezahlt? Wie stehen die Unternehmen zu ökologischen und sozialen Fragen?

  • Personal: Berücksichtigung sozialer Faktoren bei der Einstellung, bei der Arbeit und bei der Trennung von Personal.

  • Wie können soziale Ressourcen und Kompetenzen der Eltern und Familien in ihrer Vielfalt genutzt werden?

  • Ernährung: Auch in diesem Feld gilt es, die soziale Dimension des Essens deutlich zu machen: Essen als gemeinschaftsstiftendes Element des Kita-Alltags, Essen als Nutzung von hergestellten Lebensmitteln, ökologische und soziale Bedingungen, unter denen Lebensmittel entstehen.

Hier wirken vermutlich weder eine reine Wissensvermittlung noch ein Appell an die Moral, sondern – wie bei vielen Lern- und Bildungserfahrungen – das sinnlich erlebbare Vorbild und Beispiel.

Die Kita in ihren (sozialen) Zusammenhängen betrachten

Eine wesentliche soziale Perspektive stellt das Handeln der Kita in ihren Zusammenhängen als wirtschaftlicher Akteur, als Teil eines Trägers, als Akteur im Stadtteil oder Dorf dar. Soziale Nachhaltigkeit meint hier, die Entwicklungsbedingungen der Kinder und aller Menschen im Blick zu haben und als Akteur, vielleicht im Bündnis mit anderen, förderliche und hinderliche Bedingungen zu sehen, in den Fokus zu nehmen und auf die Tagesordnung zu bringen. Beispiele könnten dabei die folgenden sein:

  • Den sozialen Zusammenhalt fördern durch Veranstaltungen rund um die Kindertageseinrichtung, z.B. Stadtteil- oder Dorffest, Tag der offenen Tür – allerdings weniger als »Folklore«, sondern als (initiierte) Begegnung verschiedener Menschen, Kulturen und Perspektiven.

  • Unterstützungsangebote vermitteln, die Kita als »Marktplatz« zum Austausch verschiedener Bedarfe und Bedürfnisse nutzen und dazu Raum geben (Raum, Pinnwand, …), z.B. gebrauchte Kinderkleidung, Spiele, aber auch hilfreiche Adressen und Anlaufstellen.

  • Gelegenheiten nutzen, um auf Rahmenbedingungen einzuwirken: Kontakte zur Politik aufbauen, eine aktive und offensive Öffentlichkeitsarbeit aufbauen (»Gutes tun und darüber reden«).

  • Kooperationen zu anderen Diensten und Einrichtungen nutzen und auch dort das Thema der Nachhaltigkeit in seinen Dimensionen deutlich hervorheben.

  • Regelmäßig sollte die soziale Nachhaltigkeit des eigenen, unmittelbaren und mittelbaren Handelns in den Blick genommen werden. Manchmal ist es hilfreich, dazu eine Person zu bestimmen, die dafür Sorge trägt, dass das Thema auf die Tagesordnung kommt.

Wie nachhaltig sind Bildung, Erziehung und Betreuung der Kita?

Wie andere Bereiche auch, ist die Kita nicht allein für Bildung, Erziehung und Betreuung verantwortlich, wenn sie auch hierzu stärker als in der Vergangenheit beiträgt, allein was die Betrachtung der täglichen Zeit der Kinder in der Kindertageseinrichtung betrifft und den Zeitrahmen, den Kinder vor Schuleintritt in einer Kita verbringen. Leider liegen zu den »Langzeitwirkungen« von Kindertageseinrichtungen zu wenige eindeutige Studien vor, es ist allerdings anzunehmen, dass die Qualität der Bildungseinrichtung Kita maßgeblichen Einfluss auf das hat, was § 1 des SGB VIII mit der Erziehung zu eigenständigen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeiten fordert. Auch daher ist die Arbeit der Kita in den Blick zu nehmen. Hierzu nachfolgend einige Anregungen und Fragestellungen:

  • Welche Rückmeldungen erhalten wir von anderen Institutionen über die Qualität unserer Arbeit? (Schulen, Beratungsstellen, Eltern, …)

  • Wie können wir in unserer Einrichtung eine Kultur der Rückmeldungen etablieren? Bewusst geht es hier nicht (nur) um die Nutzung von Beschwerdemanagement, sondern um die Nutzung positiver und negativer Rückmeldungen.

  • Was wissen wir über die weitere Entwicklung der Kinder, die in unserer Einrichtung waren?

  • Welche Netzwerke nützen uns, um die nachhaltige Entwicklung der Kinder positiv zu beeinflussen?

  • Wo können wir Netzwerkpartner/innen für unsere Interessen in Bezug auf Qualitätsentwicklung nutzen?

  • Wie wird das Thema bei individuellen und Teamfortbildungen berücksichtigt?

  • Wie übertragen wir unser Wissen auf neue Mitarbeiter/innen? (Wissensmanagement)

Fazit

Nachhaltigkeit hat viele Facetten. Kindertageseinrichtungen sollten auch die soziale Nachhaltigkeit sowohl in ihrem unmittelbaren pädagogischen Handeln als auch in ihrem mittelbaren Handeln und Nichthandeln im Blick behalten. Kindertageseinrichtungen können nicht alle Probleme der Welt lösen, sie können aber als erste Institution Kinder, Eltern und Familien für diese Themen sensibilisieren – und das nicht als zusätzliche Aufgabe, sondern in der Überzeugung, dass Kindertageseinrichtungen eine nachhaltige Entwicklung für alle Kinder im Hier und Jetzt und im Dort und Dann als Auftrag haben.

Literatur

Bildung für nachhaltige Entwicklung (2019): Frühkindliche Bildung. URL: https://www.bne-portal.de/de/nationaler-aktionsplan/die-bildungsbereiche-des-nationalen-aktionsplans/fr%C3%BChkindliche-bildung (Zugriff am 11.06.2019).

Empacher, C./Wehling, P. (2002). Soziale Dimensionen der Nachhaltigkeit. Theoretische Grundlagen und Indikatoren. Frankfurt/Main: Institut für sozial-ökologisch Forschung (ISOE).