Wo geht die Sonne hin, wenn es dunkel wird? Welche Farbe hat Wasser? Warum tragen Menschen Kleidung? Im Grunde genommen sind diese Fragen einfach zu beantworten. Schnell können wir sagen, dass sich nicht die Sonne wegbewegt, sondern die Erde durch ihre Drehung einen Teil des Tages von der Sonne abgewandt ist. Dass Wasser durchsichtig ist, aber aufgrund von Lichtbrechungen und Reflektionen meist blau erscheint, können wir in einem Satz abhandeln. Selbst die Frage nach dem Tragen von Kleidung lässt sich mit Schutz vor Kälte, Wärme, Verletzungen leicht klären. Als Erwachsene haben wir dann unseren Bildungsauftrag erfüllt, den Wissensdurst von Kindern gestillt und können uns getrost anderen Aufgaben widmen. Doch was könnte passieren, gäben wir die Fragen an die Kinder zurück?
Eine Methode der alltagsintegrierten sprachlichen Bildung ist das Philosophieren mit Kindern. Sie basiert auf der Technik des Fragens und Nachfragens und kann dazu dienen, länger anhaltende und in die Tiefe gehende Gespräche mit Kindern zu führen. Sprachliche Interaktionen von pädagogischen Fachkräften mit Kindern sind zu ca. 11 % durch Fragen gefüllt. Allerdings sind nur 4 % der Fragen offen gestellt. Vielmehr überwiegen die Fragen nach Benennungen (Briedigkeit, 2011). Auch neuere Untersuchungen zeigen, dass (kognitiv) herausfordernde Gespräche eher selten sind (Wirts, Wertfein, & Wildgruber, 2017). Dabei ergeben sich genau hier viele Chancen, Kinder nicht nur in ihrer sprachlichen Entwicklung zu begleiten und zu unterstützen.
Kommunikative Grundhaltung
Damit das Philosophieren mit Kindern gelingen kann, bedarf es nicht viel. Grundlegend ist eine kommunikative Grundhaltung, die am Dialog orientiert und interessiert ist. Dazu gehört, dass Zeit für Gespräche gegeben ist und wir als Pädagog*innen den Fragen der Kinder mit Offenheit gegenüberstehen. Gleichzeitig ist es ein Anreiz, wenn wir unser eigenes „Forscher*innen-Interesse“ zeigen. Letzteres muss nicht nur auf die Beantwortung der Fragen gerichtet sein, aber herauszufinden, wie Kinder sich den Fragen nähern und welche gedanklichen Wege sie beschreiten, um zu einer oder mehreren Lösungen zu kommen, sind wunderbare Beobachtungsmomente.
Ein weiterer, wichtiger Aspekt der dialogischen Grundhaltung ist es, Gesprächsanlässe der Kinder wahrzunehmen bzw. sie zu schaffen. Hier stehen wir uns manchmal selbst im Weg. Einerseits soll die Neugier der Kinder schnell befriedigt und die richtige Lösung präsentiert werden, andererseits ist der pädagogische Alltag meist so durchstrukturiert, dass wenig Zeit zum Innehalten bleibt, um die Chance, die die soeben aufgebrachte Frage bietet, zu nutzen. Wird die Gelegenheit jedoch wahrgenommen, steht einem spannenden Gespräch fast nichts mehr entgegen. Das Philosophieren mit Kindern ist nicht auf den Dialog zwischen pädagogischer Fachkraft und Kind beschränkt. Vielmehr bietet es sich an, mehrere Kinder auf die gedankliche Reise einzuladen. Schließlich interessiert es sicherlich viele Kinder, was passiert, wenn sich niemand mehr streitet.
Staunen und Fragen als Motor sprachlicher und kognitiver Entwicklung
Die Geschichte der Philosophie beginnt mit den Naturphilosophen, die wissen und verstehen wollten, wie die Welt funktioniert. Den gleichen Erkundungsdrang bringen auch Kinder mit, die ihrer Umwelt einen Sinn geben wollen. Es werden eigene Erklärungsmuster kreiert, erprobt und bei Bedarf erweitert oder verändert. Die eigene Motivation, hinter die Wirkmechanismen von Welt und Umwelt zu blicken, ist dabei ein wichtiger Entwicklungsmotor. Wenig fördert die Bereitschaft, Neues zu lernen, so sehr, wie die Beantwortung der eigenen Fragen.
Wenn diese Suche nach Antworten im Gespräch mit anderen Kindern vollzogen werden kann, ergeben sich weitere positive Aspekte. Im Dialog mit anderen entsteht eine aktive Suche nach Wahrheit, die mit der Entwicklung eigener Standpunkte einhergeht. Gleichzeitig können die Aussagen der anderen Kinder dazu dienen, verschiedenen Standpunkten gegenüber offen zu werden bzw. zu sein. Kreatives und logisches Denken sind gefragt, wenn es um die Erklärung eigener Überzeugungen geht und Handlungen oder Aussagen überdacht sowie bewertet werden müssen.
Hier zeigt sich, dass das Philosophieren mit Kindern einen Beitrag zur Demokratie- und Werteerziehung leisten kann. Es geht nicht darum, wer am lautesten seinen Standpunkt äußert, sondern um ein potenzielles Nebeneinander verschiedener Ansichten, den Austausch von Hypothesen und Überlegungen, wie und ob sie sich überprüfen lassen. Damit bietet diese Methode eine gute Möglichkeit, die kognitive und sprachliche Entwicklung der Kinder wahrzunehmen. So verraten die Fragen der Kinder viel über die Themen, die sie gerade beschäftigen, und zeigen die kindlichen Deutungen für verschiedene Phänomene und Beobachtungen.
Philosophieren mit Kindern als partizipative und inklusive Methode der sprachlichen Bildung
Kinder haben das Recht auf Partizipation und mit der Methode des Philosophierens wird den Grundgedanken der Teilhabe Raum gegeben. Kinder können die philosophischen Fragen stellen bzw. bestimmen, die sich an ihren Themen und Interessen orientieren. Ebenso liegt es bei den Kindern, die Fragen so zu beantworten, dass für sie zufriedenstellende Antworten gefunden werden.
Darüber hinaus ist der Prozess des gemeinsamen Nachdenkens kein Angebot, an dem sich alle beteiligen müssen, sondern beruht auf den Wünschen und (sprachlichen) Fähigkeiten der Kinder, teilzuhaben. Das Inklusive an der Methode liegt darin begründet, dass sich alle nach ihren Kompetenzen beteiligen können und Antworten nicht nur verbal gegeben werden müssen. Vor allem im Krippenbereich finden sich nonverbale Wege, damit Kinder ihre Gedanken präsentieren müssen. Zugleich ist diese Variante der alltagsintegrierten sprachlichen Bildung auch für Kinder im Deutscherwerb und für Kinder, deren Spracherwerb sich gerade vollzieht geeignet. Viele Fragen und Themen, die die Kinder aufbringen, sind nämlich höchst spannend für die Peers, so dass ein hoher Wunsch nach Beteiligung entsteht. Gleichzeitig erfahren die Kinder Wertschätzung durch die Gruppe und somit ein hohes Maß an Selbstwirksamkeit.
Wie es funktioniert
Das Philosophieren beginnt mit einer Frage, die für Kinder Relevanz besitzt. Zwar ist nicht jede Frage eine philosophische, aber viele können so (um)formuliert werden, dass sie sich für diese Methode eignen. Die Fragen können durch Beobachtungen, Naturphänomene, Bilderbücher, Geschichten oder Gespräche aufkommen. Hier bedarf es einer hohen Sensibilität auf Seiten der pädagogischen Fachkräfte, diese Fragen für das Philosophieren und den gemeinsamen Denkprozess aufzugreifen und allen Kindern die Möglichkeit zu geben, darüber nachzudenken.
Ein Beispiel für eine philosophische Frage, die mit Kindern thematisiert werden kann, ist, ob man immer ehrlich sein muss. Hierzu haben Kinder schon frühzeitig eigene Gedanken. Die Denk- und Gesprächsprozesse, die sich an diese Fragestellung der Ethik anschließen, sind ein Gewinn für alle.
Nachdem Kindern ausreichend Zeit gegeben wurde, ihre Meinungen zu dieser Frage zu äußern, ist es Aufgabe der Pädagog*innen, dass Gespräch mit Nachfragen weiter in die Tiefe zu führen. Gelten die Vermutungen der Kinder immer? Kann es Ausnahmen geben? Was passiert, wenn niemand mehr schwindelt? …
Fragen können sich ebenso aus Geschichten entwickeln. Als Beispiel soll ein Dialog zwischen Christopher Robin und Pu dienen:
„Was tust Du am liebsten von der ganzen Welt, Pu?“ […] „Das mag ich auch“, sagte Christopher Robin, „aber was ich am liebsten tue, ist gar nichts.“ „Wie tut man gar nichts?“, fragte Pu, nachdem er lange gegrübelt hatte. (Milne, 2014)
Ausgehend von Pus Nachfrage können Kinder besprechen, wie denn „gar nichts tun“ aussehen kann.
Am Ende des philosophischen Gesprächs muss keine abschließende Antwort stehen. Verschiedene Fragen können (noch) nicht beantwortet werden. Für Kinder ist diese Erkenntnis ähnlich gewinnbringend wie die, dass die „Großen“ nicht alles wissen. Es bietet sich aber an, Kindern nach einer Sequenz des gemeinsamen Philosophierens und Nachdenkens Zeit zu geben. Viele nutzen diese Zeit, sich noch etwas allein mit der Frage zu beschäftigen, indem sie etwas malen oder gestalten. Kindern diese Zeit der Reflexion einzuräumen, ist wichtig, da die kognitiven Anforderungen und die aufzuwendende Aufmerksamkeit während des gemeinsamen Nachdenkens sehr hoch sind.
Was bedacht werden sollte
Die Beantwortung von Fragen dauert, je nach sprachlichen Kompetenzen der Kinder und Komplexität der Fragen, unterschiedlich lange. Erwachsene Moderator*innen sollten allen Kindern ebendiese Zeit einräumen und Fragen nicht allzu schnell umformulieren oder eigene Gedanken präsentieren. Gleichzeitig sollte deutlich gemacht werden, dass die erstgegebene Antwort eines Kindes nicht die abschließende Antwort sein muss. Kinder wissen viel und einige sind schon in der Lage, nach kürzester Zeit eine Lösung anzubieten. Hier heißt es, den Kindern, die etwas länger nachdenken wollen, die Chance zu geben, ihre Vermutungen mitzuteilen.
Gleichzeitig soll das Philosophieren mit Kindern kein Diskussionswettbewerb werden und das Kind, das am lautesten oder am meisten spricht, hat nicht unbedingt Recht. Die Einhaltung vorher abgesprochener Kommunikationsregeln ist entscheidend.
Den Moderator*innen kommt vor allem in größeren und längeren Runden die besondere Aufgabe zu, bestimmte Aussagen noch einmal zusammenzufassen. In (sprach-)entwicklungsheterogenen Gruppen können die Kinder gebeten werden, manche Aussagen mit anderen Worten umzuformulieren, so dass alle sie verstehen können.
Da am Ende des Philosophierens nicht eine einzige richtige Antwort herauskommen muss, ist es für Pädagog*innen wichtig, die Methode und ihr Ziel für die Familien transparent zu machen. Verschiedentlich kann es passieren, dass Väter und/oder Mütter irritiert auf verschiedene „Lösungen“, die die Kinder gefunden haben, reagieren.
Fazit
Das Philosophieren mit Kindern lädt dazu ein, mit Kindern ins Gespräch zu kommen, Gedanken auszutauschen und der Welt auf den Grund zu gehen. Als Variante der alltagsintegrierten sprachlichen Bildung bietet es nicht nur die Chance, Kindern beim „Denken“ zuzusehen und ihnen die Möglichkeit zu geben, ihre eigenen Vermutungen zu Äußern und im Gespräch weiterzuentwickeln, sondern bietet den pädagogischen Fachkräften zusätzlich die Möglichkeit, an den Interessen der Kinder orientiert zu arbeiten und die kognitiven und sprachlichen Entwicklungen der Kinder zu beobachten und zu unterstützen.
Literatur
Briedigkeit, E. (2011). Institutionelle Überformung sprachlicher Herkunftsmuster. Realisation von Fragetypen im Erzieherin-Kind(er)-Diskurs. Empirische Pädagogik, Bd. 4, 499 ff.
Milne, A. A. (2014). Pu der Bär - Gesamtausgabe. Hamburg: Dressler Verlag.
Wirts, C., Wertfein, M., & Wildgruber, A. (2017). Unterstützung kindlicher Kompetenzentwicklung und ihre Bedingungen in Kindertageseinrichtungen. In Interaktionen in Kindertageseinrichtungen (S. 59-72). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
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