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Praxisforschung in der Kindheitspädagogik-Ausbildung

In den Bachelorstudiengängen, die zu einem kindheitspädagogischen Abschluss führen, eignen sich die angehenden Kindheitspädagogen und -pädagoginnen nicht nur forschungsmethodisches Wissen an, sondern entwickeln auch eine forschende Haltung. Doch welche Fähigkeiten sind damit konkret verbunden? Und wie können diese in die gemeinsame Arbeit eines pädagogischen Teams eingebracht werden?

Forschungsmethodisches Wissen einbringen

Forschungsmethodisches Wissen einbringen

Die Entwicklung einer forschenden Haltung ist ein Bildungsziel, dem in der akademischen Ausbildung von Kindheitspädagogen und -pädagoginnen ein hoher Stellenwert zugemessen wird. Es geht dabei um die Fähigkeit, »mit Ungewissheit umzugehen, systematisch Fragestellungen zu entwickeln und diese reflexiv zu beantworten – und dabei auf wissenschaftliche Erkenntnisse und Theorien zurückzugreifen« (Fröhlich-Gildhoff u.a 2014, S. 187). Zur Entwicklung dieser Fähigkeit leisten Prozesse forschenden Lernens einen wichtigen Beitrag. Im Ludwigsburger Studiengang »Frühkindliche Bildung und Erziehung« z.B. absolvieren die Studierenden im vierten Fachsemester ein 13-wöchiges Blockpraktikum in einer Praxiseinrichtung (Kita, Krippe, Fachberatung, Frühe Hilfen u.a.). Während dieses Praktikums führen die meisten von ihnen parallel und in Ergänzung zu ihrer Arbeit als Praktikant/in ein Forschungsprojekt durch. Dabei werden sie in Begleitseminaren an der Hochschule unterstützt und beraten. Am Beginn des Projekts steht die Entwicklung einer Forschungsfrage. Beobachtungen von Alltags- und Spielsituationen in der Praxiseinrichtung, Gespräche mit den pädagogischen Fachkräften oder aktuelle Ereignisse (z.B. die Einführung eines neuen Konzepts für die Zusammenarbeit mit den Eltern) können Anknüpfungspunkte für die Entwicklung der Forschungsfrage bieten. Wichtig sind in jedem Fall ein thematischer Bezug und die Passung zur jeweiligen Praxiseinrichtung.

Forschendes Lernen im kindheitspädagogischen Studium

Der Forschungsprozess zielt darauf, pädagogische Praxis in ihrer Komplexität zu verstehen. Er ist angelegt als ein Erkenntnisprozess, der die Perspektiven unterschiedlicher Akteure systematisch zugänglich macht – in den frühpädagogischen Praxisfeldern sind das insbesondere die Perspektiven der Kinder, die der Eltern und die der pädagogischen Fachkräfte. Dies gelingt nur dann, wenn der Forschungsprozess als interaktiver Prozess in Kooperation mit den beteiligten Akteuren gestaltet wird.

Die Studierenden erwerben also nicht einfach »nur« theoretische und forschungsmethodische Kompetenzen, sondern arbeiten an ihrer Fähigkeit, sich in die Positionen, Rollen und Orientierungen verschiedener Akteure hineinzuversetzen, und reflektieren die Standortgebundenheit ihrer eigenen Perspektive. Sie lernen, »sich in ein kritisches und reflexives Verhältnis zu sich selbst und der pädagogischen Situation zu setzen und vollziehen damit Prozesse des Verstehens und Erklärens, die sich von denjenigen des Alltagshandelns und -denkens unterscheiden« (Nentwig-Gesemann & Nicolai 2008, 123). Die Durchführung des Forschungsprojekts dient daher nicht nur dem Gewinn einer Antwort auf die Forschungsfrage, sondern zugleich der Einübung eines »fragenden, offenen Blicks auf die (eigene) Praxis« (GEW Baden-Württemberg 2015, S. 9).

Einsatzmöglichkeiten und Erkenntnispotenziale

Die forschungsmethodischen, analytischen und reflexiven Fähigkeiten, die sich die Studierenden während und mit der Durchführung ihres Forschungsprojekts aneignen, tragen wesentlich bei zum akademischen Qualifikationsprofil von Kindheitspädagogen und -pädagoginnen und fließen in deren alltägliche Arbeit ein. Darüber hinaus können diese im Team einer Kindertageseinrichtung, aber auch als »forschende Praktiker/innen« (Nentwig-Gesemann & Nicolai 2008, S. 124) thematisch eingegrenzten Fragestellungen im Rahmen von Praxisforschung nachgehen.

In der Zusammenarbeit mit Eltern

Praxisforschung eignet sich, um einen systematischen Zugang zur Perspektive der Eltern zu eröffnen, z.B. mit der Forschungsfrage: Wie stellen sich die Eltern ihre Beteiligung im Kita-Alltag vor?

Mit Hilfe von Interviews oder Fragebögen kann die kindheitspädagogische Fachkraft differenzierte Erkenntnisse über die Vorstellungen, Erwartungen und Wünsche von Eltern gewinnen. Es geht dabei um mehr, als um eine bloße Abfrage der Zufriedenheit mit z.B. den Öffnungszeiten. Die Ergebnisse der Forschung können anschließend im Team diskutiert und in der Zusammenarbeit mit den Familien genutzt werden. Besonders interessant sind dabei gerade auch solche Erkenntnisse, die mit den Annahmen des Teams darüber, was Eltern sich wünschen, nicht übereinstimmen. Eine forschungsmethodisch gestützte Einbeziehung der Elternperspektive bietet sich vor allem dann an, wenn geplant ist, das Konzept für die Zusammenarbeit mit Eltern im Zuge von Qualitätsentwicklung zu überprüfen und zu modifizieren.

Praxisforschung kann dann wichtige Impulse setzen für die Neubewertung und Ausdifferenzierung der Kooperationsformen.

Als Form der Beteiligung von Kindern

Wie Kinder angemessen an der Gestaltung des Zusammenlebens in der Kindertageseinrichtung beteiligt werden können, ist in den letzten Jahren zu einer vieldiskutierten Frage geworden.

Meist wird dabei primär an die Möglichkeit(en) gedacht, Kinder nach ihren Wünschen und Meinungen zu einem bestimmten Thema zu befragen. Eine solche sprachlich-diskursive Thematisierung (etwa im Rahmen einer Kinderkonferenz) ist aber nur sehr bedingt geeignet, etwas über die tatsächlichen Anliegen und Bedürfnisse der Kinder in Erfahrung zu bringen. Denn oft sind diese den Kindern nicht in einer verbal-sprachlich artikulierbaren Form bewusst. Bspw. wäre es wenig zielführend, Krippenkinder zu fragen, welche Unterstützung sie sich wünschen, um sich in den Räumen der Einrichtung gut orientieren zu können. Forschungsmethoden, die an die Artikulationsmöglichkeiten der Kinder angepasst sind und Ausdrucksformen, wie Körperhaltung, Bewegung im Raum, Mimik, Gestik und Interaktion, einbeziehen, eröffnen hier wertvolle Alternativen. So kann unter anderem mit ethnographischer Beobachtung, in die auch Raumskizzen und Fotos einfließen, der Forschungsfrage nachgegangen werden: Wie orientieren sich Kinder unter 3 Jahren im Offenen Raumkonzept?

Über eine forschungsmethodisch kontrollierte Auswertung der Beobachtungsdaten kann der/die Kindheitspädagoge/-pädagogin in Erfahrung bringen, was die Kinder benötigen, um sich in der Einrichtung zu orientieren. Im pädagogischen Team kann dann gemeinsam überlegt werden, wie sich das Raumkonzept an die Bedürfnisse der unter 3-jährigen Kinder anpassen lässt. Die Perspektiven von Kindern unter 3 Jahren können so in die Ausgestaltung und Weiterentwicklung des Raumkonzepts einbezogen werden. Das Forschungsprojekt wird zum »Ausgangspunkt von pädagogischem Handeln, das sensibel an die Perspektiven und Orientierungen, die Lebenswelten von Kindern anzuschließen vermag« (Nentwig-Gesemann & Nicolai 2008, S. 121).

Instrument zur Reflexion pädagogischen Handelns

Eine wichtige Einsatzmöglichkeit von Praxisforschung liegt darin, professionelles pädagogisches Handeln reflexiv zugänglich zu machen (Staege 2014). Insbesondere kann Praxisforschung eingesetzt werden, um die pädagogische Bedeutung und Relevanz alltäglicher Handlungen der Fachkräfte zu erkennen und bewusst zu machen. Die Forschungsfrage richtet sich dann auf das Handeln der Fachkräfte in bestimmten »typischen« Situationen, z.B.: Wie handeln die pädagogischen Fachkräfte unseres Teams in Tröstesituationen?

Durch die systematische Auswertung von Beobachtungen oder videografischer Aufzeichnungen alltäglicher Situationen können »unspektakuläre« pädagogische Handlungsweisen, die normalerweise unterhalb des professionellen Radars ablaufen, von der kindheitspädagogischen Fachkraft herausgearbeitet und im Team diskutiert werden. Nicht selten wird dabei deutlich, dass die einzelnen Fachkräfte unterschiedlich handeln, jeder dieser individuellen Handlungsstile (z.B. beim Trösten von Kindern) aber in seiner Weise den Kindern adäquate Unterstützung (z.B. bei der emotionalen Bewältigung von Schmerz) zu bieten vermag. Praxisforschung kann so dazu beitragen, das Handeln der Fachkräfte in seiner Unterschiedlichkeit und seiner pädagogischen Relevanz (z.B. für die kindliche Emotionsentwicklung) bewusst zu machen und wertzuschätzen.

Auch Alltagssituationen, die von den pädagogischen Fachkräften selbst als unbefriedigend oder problematisch erlebt werden (etwa als laut und konfliktreich wahrgenommene Essenssituationen), können zum Gegenstand forschenden Fragens gemacht werden, z.B.: Wie interagieren pädagogische Fachkräfte und Kinder in Essenssituationen?

Interaktionsverläufe können so nachgezeichnet, Handlungsmuster erkannt und Rahmenbedingungen, die auf die Situation einwirken, identifiziert werden. Auf der Basis dieser Erkenntnisse können Routinen hinterfragt, alternative Handlungsmöglichkeiten im Team erwogen und neue Gestaltungsformen erprobt werden.

Fazit

Die forschungsmethodischen und analytischen Kompetenzen von Kindheitspädagogen und -pädagoginnen bieten wertvolle Potenziale für die Weiterentwicklung der pädagogischen Arbeit in der Kindertageseinrichtung. Praxisforschung kann als Beteiligungs- und als Reflexionsinstrument genutzt werden. Sie leistet einen wichtigen Beitrag zur Professionalisierung der Arbeit des Kita-Teams.

Literatur

Fröhlich-Gildhoff, K., Weltzien, D., Kirstein, N., Pietsch, S. & Rauh, K. (2014): Expertise – Kompetenzen früh-/kindheitspädagogischer Fachkräfte im Spannungsfeld von normativen Vorgaben und Praxis. Erstellt im Kontext der AG »Fachkräftegewinnung für die Kindertagesbetreuung« in Koordination des BMFSJ. Berlin: BMFSJ. https://www.fruehe-chancen.de/fileadmin/PDF/Archiv/Expertise_Kompetenzen_final.pdf. 02.10.2018.

Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Landesverband Baden-Württemberg (Hrsg.) (2015) in Zusammenarbeit mit dem Hochschulnetzwerk Bildung und Erziehung in der Kindheit Baden-Württemberg: Kindheitspädagogik: Qualifizierung und Praxisfelder. Stuttgart: Süddeutscher Pädagogischer Verlag.

Nentwig-Gesemann, I. & Nicolai, K. (2008): Praktische, theoretische und persönliche Annäherungen an das forschende Lernen. In: Daiber, B. & Weiland, I. (Hrsg.): Impulse der Elementardidaktik. Eine gemeinsame Ausbildung für Kindergarten und Grundschule. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren, S. 117–128.

Staege, R. (2014): Fallforschung als Praxisreflexion – Pädagogischer Fall und erziehungswissenschaftliche Kasuistik. In: Düwell, S. & Pethes, N. (Hrsg.): Fall – Fallgeschichte – Fallstudie. Theorie und Geschichte einer Wissensform. Frankfurt a. M.: Campus Verlag, S. 214–226.