Jeden dritten Freitag im Monat verwandelt sich das rubicon Beratungszentrum in Köln zu einem Treff für Babys, Kleinkinder und ihre Eltern. Auf dem Boden des Gruppenraums sind dann Bälle, Holzbausteine, Rasseln und anderes Spielzeug ausgebreitet. Alle reden, singen und spielen miteinander, so wie es in Krabbelgruppen eben üblich ist. Und noch etwas haben die "krakelas", wie sich die Gruppe nennt, gemeinsam: Alle Kinder wachsen in Regenbogenfamilien auf.Der Duden definiert Regenbogenfamilien als "Familie mit gleichgeschlechtlichem Elternpaar". Die Praxis zeigt, dass Regenbogenfamilien aktuell ganz unterschiedliche Formen annehmen: Neben Zwei-Eltern-Modellen gibt es auch alleinerziehende Eltern oder Mehrelternfamilien, die das Kind zu dritt oder zu viert groß ziehen. Die Beziehungsformen der Eltern sind somit vielfältig: Einige leben in einer Paarbeziehung zusammen, andere gründen auf freundschaftlicher Basis ihre Familie. Ebenso divers sind die sexuellen und geschlechtlichen Identitäten von Regenbogeneltern: Sie identifizieren sich als lesbisch, schwul, bisexuell, trans*, inter* oder queer (LSBTIQ)
Info: Trans* bezeichnet Personen, deren Geschlechtsidentität von dem ihnen bei Geburt zugewiesenen Geschlecht abweicht. Der Asterisk steht hierbei für eine Vielfalt an transgeschlechtlichen Selbstbeschreibungen und Lebensformen.2Inter* bezeichnet Personen, deren Körper sich anatomisch, chromosomal oder hormonell nicht eindeutig den medizinischen Kategorien "männlich" oder "weiblich" zuordnen lassen. Der Asterisk steht auch hier für eine Vielfalt an intergeschlechtlichen Selbstbeschreibungen und Lebensformen.3Queer fungiert oftmals als Sammelbegriff für Lesben, Schwule, Trans* und Inter*. In diesem Artikel bezeichnet der Begriff "queer" Personen, die sich in ihrer geschlechtlichen und/oder sexuellen Selbstbeschreibung jenseits der binär gedachten Kategorien von Mann/Frau bzw. heterosexuell/homosexuell verorten.
Wege zum Kind für LSBTIQ
Kinder kommen auf ganz unterschiedlichen Wegen in Regenbogenfamilienkonstellationen: Einige Eltern haben die Kinder aus früheren heterosexuellen Beziehungen in eine neue schwule oder lesbische Partnerschaft mitgebracht, andere planen ihren Kinderwunsch nach dem Outing und gründen über private Samenspenden bzw. Spenden von einer Samenbank ihre Familie oder nutzen die Option einer Leihmutterschaft (die nach aktueller Rechtslage in Deutschland verboten ist). Alternativen zur leiblichen Elternschaft bilden Pflegschaft und Adoption im Inland oder Ausland. Auf dem Weg zum Kind müssen LSBTIQ allerdings viele Hürden überwinden, insbesondere wenn es sich um "geplante Regenbogenfamilien" handelt, bei denen die Kinder nicht aus vorherigen heterosexuellen Konstellationen stammen. Der Zugang zu reproduktionsmedizinischer Unterstützung ist für nicht-heterosexuelle Personen und Trans*/Inter* in Deutschland nach wie vor unzureichend rechtlich geregelt und lässt immer wieder ihren Ausschluss von einer Kinderwunschbehandlung zu. Auch bei nicht-leiblichen Formen der Elternschaft wie Pflegschaft und Adoption sind die potenziellen Regenbogeneltern von der Einschätzung der Sachbearbeitenden (und ggf. der Herkunftsfamilie des Kindes) abhängig, ob sie geeignete Eltern sind. Ein Grund für Ausschluss sind Skepsis und Vorurteile gegenüber LSBTIQ: Da ihre Lebensweise vom Modell der Kernfamilie bestehend aus Mutter, Vater und Kind(ern) abweicht, wird ihre Eignung als Eltern angezweifelt.
Leben als Regenbogenfamilie in einer heterozentrierten Gesellschaft
Aktuell lässt sich einerseits von einer gesellschaftlichen Offenheit und zunehmenden Akzeptanz "alternativer" Familienformen sprechen. Dies zeigt sich unter anderem in einer Schritt für Schritt erfolgenden rechtlichen Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Paare, die in diesem Jahr mit der "Ehe für alle" ihren bisherigen Höhepunkt fand. Andererseits verschaffen sich Gegenstimmen verstärkt Gehör und finden Anklang: Ein Beispiel sind die von rechts-klerikalen Gruppen organisierten "Demos für alle", die sich bundesweit gegen die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare und gegen Regenbogenfamilien positionieren. Manchmal drücken sich das Unbehagen und die Ablehnung auch weitaus subtiler aus, etwa in der weit verbreiteten Vorstellung, dass die Kernfamilie das Idealmodell für das Wohl des Kindes darstelle.
Diese ambivalenten gesellschaftlichen Haltungen spiegeln sich auch in den Erfahrungen von Regenbogenfamilien wider. Die meisten Regenbogenfamilien berichten viel Positives über ihr Leben und ihren Familienalltag in NRW: Sie erzählen von der insbesondere in Städten gut funktionierenden Vernetzung der Regenbogenfamilien untereinander und von der großen Akzeptanz und Wertschätzung, die ihnen entgegengebracht werden. Ihren Alltag als Regenbogenfamilie erleben sie als mit ähnlichen Schwierigkeiten und Problemen verbunden wie heterosexuelle und cis-geschlechtliche Eltern.
Info: Cis" ist der Gegenbegriff zu "trans" und bezeichnet Personen, die sich mit dem Geschlecht identifizieren, das ihnen bei Geburt zugewiesen wurde.
Es gibt aber auch Situationen, in denen ihnen Akzeptanz und Anerkennung als Familie verwehrt werden, beispielsweise durch Mitarbeitende von Behörden und Ämtern, auf dem Spielplatz, bei Kinderärztinnen und -ärzten oder in Institutionen wie Kita und Schule. Was es bedeutet, außerhalb der Familiennorm verortet zu werden, zeigt sich im Alltag zum Teil in Form von offener Diskriminierung, wenn etwa lesbische, schwule, bisexuelle, trans*, inter* oder queere Eltern auf der Straße beschimpft werden. Zum Teil zeigt sich die mangelnde Anerkennung und Akzeptanz aber auch in Haltungen und Bewertungen, die Institutionen und ihre Mitarbeitenden transportieren. So kommt es vor, dass familienbezogene Fachkräfte von einer Familie mit Mutter und Vater als "normal" sprechen oder abweisend reagieren, wenn sich eine Regenbogenfamilie um einen Kita-Platz bewirbt. Wiederholt stellen Außenstehende die Erziehungskompetenz von Regenbogeneltern infrage und thematisieren mögliche Defizite in der Entwicklung der Kinder. Dabei sind diese Vorurteile längst von der sozialwissenschaftlichen und entwicklungspsychologischen Forschung widerlegt worden.
Was die Forschung zu Kindern in Regenbogenfamilien sagt
Im Jahr 2009 haben die Soziologin Marina Rupp und ihr Forschungsteam im Auftrag des Bundesjustizministeriums die erste repräsentative Studie zur Lebenssituation von Kindern in gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften in Deutschland veröffentlicht. Die Studie zeigt, dass Kinder aus Regenbogenfamilien altersspezifische Entwicklungsaufgaben genauso gut wie Kinder aus anderen Familienformen bewältigen. Die Entwicklung der geschlechtlichen und sexuellen Identität verläuft ebenfalls vergleichbar. Positiv fällt auf, dass sie ein hohes Selbstwertgefühl haben, sehr offen, tolerant und selbstständig sind. Nur wenige der interviewten Eltern berichten von physischen Gewalterfahrungen der Kinder, es sind eher Hänseleien und Beschimpfungen, die ihnen im Alltag entgegengebracht werden. Insgesamt beschreiben sowohl die interviewten Eltern als auch die Kinder vor allem soziale Diskriminierungen als belastend und berichten von der Angst vor ablehnenden Reaktionen.
Eine Herausforderung für Regenbogenfamilien stellen somit Ausgrenzung und Stigmatisierung dar - das sind genau die Punkte, an denen eine Gesellschaft und familienbezogene Institutionen in ihrem Handeln kritisch anknüpfen sollten und zu fragen ist: Welche Bedingungen sind zu schaffen, damit Regenbogenfamilien, Eltern wie Kinder und die weiteren Bezugspersonen, sich willkommen und akzeptiert fühlen? Wie kann eine Institution Stellung gegen die Ausgrenzung von LSBTIQ beziehen und die Vielfalt von Familie in den Kita-Alltag integriert werden?
Regenbogenfamilien mitdenken und in die Praxis integrieren
Bei Fragen wie diesen setzt die Fachstelle Regenbogenfamilien des rubicon Beratungszentrums in Köln an. Neben der Kinderwunsch- und Elternberatung für Regenbogenfamilien und der Unterstützung der Vernetzung von Kölner Selbsthilfegruppen bietet das rubicon Fortbildungen zum Thema LSBTIQ mit Kindern für familienbezogene Fachkräfte an. Ziel der Fortbildungen ist es, Informationen zur Lebenswelt der Familien zu vermitteln, eine Reflexion der Haltung gegenüber geschlechtlicher und sexueller Vielfalt anzuregen und konkrete Ideen für die Implementierung von Regenbogenkompetenz in den Arbeitsalltag der Kindertagesstätte zu entwickeln. So ist beispielsweise eine klare Positionierung von Leitung und Mitarbeitenden gegen Stereotype, Vorurteile und homo- und transfeindliche Äußerungen wichtig.
Auch der alltäglichen Sprechpraxis der Institution kommt eine große Bedeutung zu: Akzeptanz zu leben heißt, offene Formulierungen zu wählen und Vielfalt mitzudenken. Etwa indem Kinder gefragt werden "Wer sind deine Eltern?" oder "Wer gehört zu deiner Familie?", anstatt nur von Mutter und Vater zu sprechen. Das gilt ebenso im Umgang mit Eltern. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist, Medien zur Verfügung zu stellen, die verschiedene familiale Lebensweisen abbilden. Zur Stärkung der Resilienz von Kindern aus Regenbogenfamilien trägt entscheidend bei, das eigene Familienmodell ganz selbstverständlich als eines von verschiedenen möglichen zu erleben. Das kann durch Medien wie Kinderbücher, die Vielfalt abbilden, unterstützt werden.
Signale für die Offenheit gegenüber Regenbogenfamilien kann eine Institution auch nach außen setzen: Etwa darüber, dass verschiedene Familienformen in Leitbild und Publikationen genannt und sichtbar gemacht werden, es Regenbogensticker an der Eingangstür von Einrichtungen gibt oder Plakate in den Räumen hängen, die Vielfalt zeigen, sowohl in Bezug auf die Familienform als auch Geschlecht, Herkunft oder Behinderung.
Fazit
Kitas sind oft der erste soziale Außenraum, in dem Kinder aus Regenbogenfamilien in Gruppensituationen Fremdheitserfahrungen machen. Aus diesem Grund kommt den Institutionen und ihren Mitarbeitenden eine Schlüsselrolle für die Stärkung der Kinder zu. Mit Wertschätzung und Informiertheit können sie dazu beitragen, die Weichen zu stellen für ein gelingendes Leben der Kinder in einem heterozentrierten gesellschaftlichen Umfeld.
Literatur
Rupp, M. (Hrsg.) (2009): Die Lebenssituation von Kindern in gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften. Köln: Bundesanzeiger-V.-G.
LSVD (Hrsg.) (2014): Regenbogenfamilien - alltäglich und doch anders. Beratungsführer für lesbische Mütter, schwule Väter und familienbezogene Fachkräfte. Köln: DFS Druck Brecher.
LAG Lesben in NRW e.V. (Hrsg.) (2017): Fibel der vielen kleinen Unterschiede. Begriffe zur sexuellen und geschlechtlichen Identität, Düsseldorf: TIAMATDruck GmbH.
kitas.regenbogenfamilien-nrw.de