Die Responsivität der pädagogischen Fachkraft, ihr auf das Kind abgestimmtes Antwortverhalten, gilt heute als Hauptwirkfaktor in der Frühpädagogik. Sich auf Kinder in einer Kinderkrippe oder Kita abzustimmen, ist anspruchsvoll, weil sich die Fachkräfte auf Kinder mit ganz unterschiedlichen Entwicklungsbedürfnissen, mit Behinderungen, unterschiedlichem Geschlecht, und aus diversen Kulturen und Subkulturen in ihrem Interaktionsverhalten einstellen können müssen. Auch haben sie nicht nur ein Kind, sondern eine Kindergruppe vor sich. Ein Rückgriff auf ein Laienwissen aus familiärer Betreuung ist nicht ausreichend, sondern führt sehr schnell in die Überforderung.
Für die Pflege besonders wichtig ist das Wahrnehmungsvermögen der Fachperson, d.h. die Fähigkeit, die kindlichen Verhaltens- und Körpersignale in Bezug auf Entspannung und Anspannung, Zugewandtheit und Abgewandtheit, Offenheit und Belastung lesen zu können. Wichtig ist auch, wie viel Eigenaktivität die Bezugspädagogin dem Kind bei den Pflegeaktivitäten zugestehen kann: Erwartet sie, dass das Kind die Unterstützung folgsam erduldet, weil sie zum Beispiel in Eile ist? Oder ist die Beziehung auf Kooperation angelegt? Bedeutsam für eine beziehungsvolle und an Partizipation orientierte Pflege ist eine hohe Kompetenz im Bereich einer reflektierten Nutzung der intuitiven Verhaltensstrategien: der Berührungs- und Bewegungsdialog, die spiegelnde Kommunikation, die Orientierung am Aufmerksamkeitsfokus des Kindes in der sprachlichen Begleitung und die sorgfältige Planung und Gestaltung der Drehbücher des Alltags, der Scripts.
Responsiv in Bewegungen und Berührungen
Fachkräfte unterscheiden sich in der Art und Weise, wie sie den emotionalen Berührungskontakt gestalten, wie sie das Kind halten oder den Kontakt herstellen, wie und wo die wechselseitige Berührung erfolgt, ob ihr Körpertonus und der des Kindes aufeinander abgestimmt sind. Hier muss ein professionelles Wissen über das sogenannte Handling aufgebaut werden, was von besonderer Bedeutung in der inklusiven Pädagogik ist, wenn beispielsweise Kinder mit einer Spastik an- oder ausgezogen werden müssen. Die Qualität der Bewegungs- und Berührungsinteraktion beim Tragen, beim Füttern und Wickeln, beim An- und Auskleiden, beim Waschen und Baden ist hier wichtig auch in Bezug auf Wohlbefinden und Lebensqualität der Kinder.
Spiegeln kindlicher Äußerungen
Spiegelnde Verhaltensweisen der Fachkräfte während der Pflege beziehen sich auf die vom Kind gezeigten Emotionen, Bewegungen, auf die Mimik und Gestik sowie auf stimmliche und sprachliche Äußerungen. Beim Spiegeln der Emotionen lernt ein Kind, welcher emotionale Ausdruck in einer Kultur als angemessen gilt. Ein ganzes Repertoire an emotionalen Ausdrucksformen wird durch Verhaltensweisen des Spiegelns aufgebaut.
Sprechen zum Aufmerksamkeitsfokus des Kindes
Responsivität zeigt sich in besonderer Weise darin, dass die Sprache der Fachkräfte im frühen Dialog immer auf den kindlichen Aufmerksamkeitsfokus abgestimmt ist. Die Sprache der Fachkräfte beim Füttern, Essen und Trinken, beim Wickeln oder An- und Ausziehen ist da, wo das Kind hinschaut, wo es hinzeigt, wo es Dinge manipuliert. Die Pädagoginnen sprechen bei geteilter Aufmerksamkeit über das, was sie gerade selbst tun (Self-Talking) oder über das, was das Kind tut (Parallel-Talking).
Alltags-Scripts sorgfältig planen und gestalten
Kleine Kinder profitieren von Wiederholungen und von vorhersehbaren Situationen im Tagesablauf. Zum Mittagessen in der Gruppe, zur Situation im Wasch- oder Schlafraum werden dadurch kleine Scripts aufgebaut, wie ein Drehbuch im Film. Scripts, die vom Kind begriffen worden sind, werden oft in humorvoller Weise von ihm verändert. Wird z.B. immer die gleiche Reihenfolge bei der Assistenz beim An- und Ausziehen verwendet, durchbrechen die Kinder sie oft schelmisch und strecken beispielsweise den linken statt des rechten Arms hin und warten gespannt auf die Reaktion der Pädagogin. Humorvolle Interaktion zeichnet sich durch das Spiel mit Erwartung und Erwartungsenttäuschung aus, dies wird von den Kindern dann umgesetzt, wenn sie zunächst Erwartungen zu bestimmten Abläufen aufbauen konnten.
Responsivität in den Aktivitäten des Lebens
In den Pflegewissenschaften sind in den vergangenen Jahrzehnten verschiedene Modelle entwickelt worden, die die sogenannten Aktivitäten des täglichen Lebens beschreiben, mit denen sich das "Was" der Pflege genauer fassen lässt (Gutknecht, 2012, Roper et al., 2009).
- Kommunizieren
- Sich bewegen
- Atmen
- Den eigenen Körper pflegen
- Essen und Trinken
- Ausscheiden
- Sich kleiden
- Ruhen und schlafen
- Sich beschäftigen, spielen
- Sich als Junge oder Mädchen fühlen und verhalten
- Für eine sichere Umgebung sorgen
- Soziale Bereiche des Lebens sichern
- Sinn finden im Werden-Sein-Vergehen
Bei der Betrachtung der "Aktivitäten des Lebens" geraten diejenigen Tätigkeiten in den Blick, in denen kleine Kinder nach und nach Selbstpflegekompetenzen aufbauen müssen: Sie lernen in einem mehrere Jahre andauernden Prozess, selber zu essen, ihren Körper zu pflegen, ihre Kleidung gemäß der Außentemperatur zu wählen oder selber auf die Toilette zu gehen. Die Aktivitäten des Lebens lassen sich über die gesamte Lebensspanne eines Menschen hinweg betrachten. Sie zeigen den Menschen als grundsätzlich abhängig von anderen Menschen. Schon eine schwere Erkältung oder ein Unfall können dazu führen, dass die Selbstpflegekompetenzen für eine gewisse Zeit eingeschränkt sind und Unterstützung durch andere erforderlich wird.
Fürsorgliches Handeln ist abhängig vom sozialen Kontext und drückt sich in unterschiedlichen Kulturen auch in unterschiedlichen Praktiken aus. Wenn pädagogische Fachkräfte Kleinstkinder bei der Entwicklung von Selbstpflegekompetenzen begleiten, arbeiten sie in zentralen Bildungsbereichen, die nicht nur sehr viel Zeit erfordern und binden, sondern auch ein umfängliches Fachwissen voraussetzen. Responsives Pflegehandeln erfordert hier neben dem Repertoire der intuitiven Didaktik im Bereich des somatischen Ausdrucks und der sprachlichen und stimmlichen Begleitung ein dezidiertes Wissen im Kontext jeder Lebensaktivität. Im Folgenden soll konkretisiert werden, was Responsivität am Bildungs- und Entwicklungsort Esstisch bedeutet.
Dialog beim Füttern (vgl. Gutknecht, 2012)
Responsiver Dialog beim Füttern | Problematischer Dialog beim Füttern |
Die Pädagogin zeigt eine hohe Achtsamkeit in Bezug auf die soziale Distanz: Wenn sie sich beim Füttern vorbeugt und sich so in den Raum des Kindes begeben hat, zieht sie sich auch wieder in den eigenen Bereich zurück. | Die Pädagogin wartet mit dem gefüllten Löffel direkt vor dem Mund des Kindes darauf, dass der Mund erneut geöffnet wird. Drängend berührt sie den Mund des Kindes. |
Die Pädagogin nutzt Lautmalereien oder schmatzende Geräusche, um darzustellen, wie lecker das Essen ist. | Die Pädagogin folgt mit dem gefüllten Löffel den abwehrenden/vermeidenden Kopfbewegungen des Kindes. |
Die Pädagogin fördert die selbstständige Nahrungsaufnahme. | Die Pädagogin trägt dem Kind, das nicht am Essen interessiert ist und durch den Raum läuft, die Speisen hinterher. |
Die Pädagogin verwendet Hilfen in der Füttersituation, um die Eigenständigkeit des Kindes im Gebrauch der Esswerkzeuge zu unterstützen: durch die Einführung eines zweiten Löffels, durch die Mitbeteiligung beim Führen des Löffels, durch Übergabe des Löffels. | Die Pädagogin hebelt mit dem Löffel gewaltsam den zusammengekniffenen Mund des Kindes auseinander, um die Nahrungsaufnahme zu erzwingen. |
Dem Kind wird durch sprachliche und körpersprachliche Signale des "Raumgebens" durch die Fachperson deutlich gemacht, dass es genügend Zeit hat, in Ruhe zu schmecken und zu schlucken. | Die Pädagogin fixiert das Kind, indem sie es auf dem Schoß einklemmt. Die Pädagogin arbeitet mit "Lätzchenfixierung", indem sie den Teller des Kindes auf dem auf dem Tisch aufliegenden Lätzchen platziert. |
Das Essen wird deutlich sichtbar, in einer einladenden Weise angeboten, ohne dabei Druck auf das Kind auszuüben oder es zum Essen direkt aufzufordern. | Es wird ein viel zu hohes Füttertempo gewählt, das dem Kind kaum Zeit lässt, zu schlucken oder den Mund zu öffnen, wenn es den nahenden Löffel sieht. |
Die Pädagogin achtet auf eine bequeme Sitzhaltung des Kindes: Die Füße haben Bodenkontakt/Widerstand, Gleichgewicht ist gegeben. | Das Kind wird mit Spielsachen abgelenkt, um es in einem Moment der Unaufmerksamkeit mit dem Einführen von Nahrung zu überlisten. |
Responsivität am Bildungs- und Entwicklungsort Esstisch
Für eine freudvolle Interaktion und Partizipation am Esstisch zeigt sich die Responsivität der Fachkraft am "Wie" ihrer Assistenz. Entscheidend ist daher die Art und Weise, wie sie dem Kind sein Essen reicht, wie das Kind das Essen annimmt, wiedie Zusammenarbeit zwischen ihr und dem Kind während des Fütterns, Essens oder Trinkens gestaltet ist (Pikler & Tardos 2008). Um häufiges Aufspringen der Fachkräfte und das dadurch entstehende Aus-dem-Kontakt-gehen zu vermeiden, ist es günstig, Mahlzeiten im Sinne einer vorbereiteten Umgebung genau zu planen und auf sogenannten Assistenztischen alles zu richten, was benötigt wird (Höhn, 2009). Um eine responsive Assistenz sicherzustellen, sitzt die Fachkraft, die eine Kindergruppe beim Essen begleitet, möglichst auf einem höhenverstellbaren Hocker auf Rollen, um beweglich reagieren zu können, aber den Blickkontaktsbereich der Kinder nicht zu verlassen. Die Bewegungen der Fachkraft müssen achtsam, ruhig und dosiert sein. Beziehungs- und Interaktionsprobleme beim Essen und Trinken stehen meist im Kontext des zunehmenden Autonomiebedürfnisses des Kindes, das dem Kontrollbedürfnis des Erwachsenen entgegensteht. In der Tabelle sind responsive und problematische Formen des Dialogs beim Füttern einander gegenübergestellt.
Kulturelle Responsivität in der Zusammenarbeit mit Eltern
Gerade in den an Individualität und Autonomie orientierten westlichen Industrieländern gilt Selbstständigkeit als eines der Hauptziele in der Erziehung. In der öffentlichen Kindertagesbetreuung wird darum positiv bewertet, wenn das Kleinstkind allein die Leiter zum Wickelplatz hochklettert, sich allein die Suppe auf den Teller schöpft, und nur die allernotwendigste Hilfe beim An- oder Ausziehen bekommt. Eher kritisch wird das Verhalten von Eltern gesehen, die ihrem Kind "unnötigerweise helfen". In vielen anderen Kulturen ist die Erziehung auf Verbundenheit ausgerichtet.
Das "Verweigern von Assistenz" erscheint Eltern mit diesem Hintergrund zuweilen als pure Gleichgültigkeit, der Umgang mit den Kindern kühl. Es ist hier sehr wichtig wahrzunehmen, dass über fürsorgliches Handeln, über Dinge, die ein Mensch für den anderen tut, auch wenn dieser es selbst tun könnte, Wärme, Liebe und Zuneigung kommuniziert werden. Wenn Fachkräfte Kindern eine responsive Assistenz beim Selbstständig-Werden geben wollen, müssen sie also eine gute Balance zwischen den beschriebenen Verhaltensweisen herstellen und die Eltern einbeziehen.
Fazit
Responsives Handeln in der Pflege ist weit mehr als das Wahrnehmen und angemessene Interpretieren von Verhaltenssignalen des Kindes sowie die prompten und sensiblen Reaktionen darauf, wie es die Bindungsforschung definiert. Responsivität als das professionelle Antwortverhalten der Fachkräfte in einer Kita muss weiter gefasst werden. Neben dem geschulten Ausdrucksvermögen in Bewegung, Berührung, Emotion und Sprache im Sinne einer reflektierten Verwendung der intuitiven Verhaltensstrategien sowie der ausgebildeten Selbst- und Fremdwahrnehmung, muss zu jeder Pflegeaktivität ein spezielles Fachwissen aufgebaut werden. Responsivität beim Füttern stellt sich anders dar als beim Wickeln, An- und Ausziehen oder der Begleitung des Kindes in den Schlaf. Reflektiert werden muss in besonderer Weise, wie viel Eigenaktivität und Partizipation der Person zugestanden wird, die einer Form der Assistenz bedarf.
Literatur
Gutknecht, D. (2012a): Bildung in der Kinderkrippe. Wege zur Professionellen Responsivität. Stuttgart: Kohlhammer.
Höhn, Kariane (2009): Gemeinsam Räume bilden: Planungshilfe zur Raumgestaltung und -ausstattung für Tageseinrichtungen mit Kindern unter 3 Jahren. Kronach: Link.
Papoušek, H. & Papoušek, M. (1987): Intuitive Parenting: A Dialectic Counterpart to the Infant’s Integrative Competence. In: J.D. Osofsky (Hrsg.), Handbook of Infant Development (S. 669-720). New York: Wiley.
Pikler, E. & Tardos, A. (Hrsg.). (2008): Miteinander vertraut werden. Erfahrungen und Gedanken zur Pflege von Säuglingen und Kleinkindern (5. Aufl.). Freiamt: Arbor.
Roper, N., Logan, W.W. & Tierney, A.J. (2009): The Roper-Logan-Tierney Model of Nursing: Based on Activities of Living. New York: Churchill Livingstone.