Die Entwicklung der Sexualität beginnt bereits im Säuglingsalter. Die Kinder orientieren sich und experimentieren spielerisch, unbewusst aber durchaus lustvoll. Sie gehen mit ihrem Körper und seinen Funktionen noch ganz unbefangen um, wie auch das Beispiel von Mia zeigt, die sicher erschüttert wäre, wenn sie Papas Einwände kennen und verstehen würde. In der Kita sollten Kinder ihren Körper, einschließlich des Genitals, erkunden dürfen und auch Doktorspiele spielen können. Dafür braucht es geschützte Räume, Regeln (es geschehen nur Dinge mit denen alle einverstanden sind und durch die sich niemand brüskiert fühlt).
Im Alter von etwa 3-4 Jahren zeigen Kinder immer mehr Interesse am eigenen Körper, sie berühren gerne ihre Genitalien und zeigen sie auch den anderen Kindern. Das sind erste Schritte zur Entwicklung der geschlechtlichen Identität. Sie nehmen sich jetzt bewusst als Jungen und Mädchen wahr und untersuchen die sich unterscheidenden Geschlechtsorgane.
Beim Spielen und Toben erleben Kinder auch schon mal lustvolle Gefühle. Und sie interessieren sich sehr für ihre Ausscheidungen. Dabei entdecken sie nicht nur, dass sie ihren Schließmuskel kontrollieren können, sie stellen auch fest, dass das ein schönes Gefühl sein kann. Großen Spaß macht es ihnen auch, das Geschehen zu verbalisieren. »Pipi« und »Kaki« gehören jetzt zu ihren Lieblingsvokabeln, und das Springen auf dem Trampolin eine Reihe von Pupsen hervorruft können sie sich darüber köstlich amüsieren.
"Reagieren Erwachsene auf diese Äußerungen der psychosexuellen Entwicklung strafend oder herablassend, beschämen sie die Kinder oder messen dieser Entwicklungsäußerung zu große Bedeutung zu, das kann das Wut, Scham und Versagensgefühle auslösen. Kinder, die in ihrer psychosexuellen Entwicklung gestärkt werden, entwickeln ein positives Körperbild und sind so besser vor Übergriffen geschützt" (Stamer-Brandt 2016, S 15 f.).
Kinder sollten auch die Fähigkeit entwickeln, »Nein« zu sagen. Sie können auch erwarten, dass Erwachsene ihr Schamgefühl respektieren und Grenzen, die durch die kulturelle oder religiöse Zugehörigkeit gesetzt sind, akzeptiert werden. Hier wird wieder deutlich, dass eine enge Zusammenarbeit mit Eltern unumgänglich ist.
Das Aufstellen von einigen Regeln erleichtert den Umgang. Kinder müssen wissen, dass sie
- sich in der Kita zwar ausziehen dürfen, das aber mit der Erzieherin abgestimmt werden muss
- Doktorspiele spielen dürfen, aber nur Dinge tun dürfen, mit denen die Spielpartner einverstanden sind
- Nein sagen müssen, wenn Grenzen überschritten werden.
Und auch in der Kita gibt es Zonen höchster Intimität, die von Außenstehenden nicht eingesehen werden sollten. Dazu gehören der Wickeltisch und der Toilettenbereich.
Auch Kuschelräume und Schlafbereiche sind intime Zonen. Dort kann man die Vereinbarung treffen, dass Kinder Kleidung ablegen dürfen, wenn dies einvernehmlich und in Absprache mit der Erziehungskraft geschieht.
Beispiel 1
»Mia (5 Jahre) darf nackig über den beweglichen Rasensprenger springen, dem Strahl hinterher- oder von ihm weglaufen. Sie genießt das Spiel und niemand macht davon ein Aufheben, bis Papa entdeckt, dass Mia über dem Strahl stehenbleibt, der direkt auf ihre Scheide zielt, was sie offensichtlich genießt. Der Papa traut seinen Augen nicht und ist drauf und dran, das lustvolle Spiel zu beenden. Seine Frau stoppt ihn und sagt: Lass’ sie, sie darf ihren ganzen Körper spüren und Gefühle entdecken. Eine lange Diskussion folgt.«
Mia ordnet ihr Handeln noch nicht als sexuell ein. Sie spielt ganz schlicht mit ihren Sinnesempfindungen und Gefühlen. Dabei spürt sie auch, dass sie ihre Genitalien stimulieren kann. Mias Mutter weiß wahrscheinlich, dass Kinder Räume, Zeiten und Erwachsene mit einer positiven Einstellung zur Sexualität brauchen, um den eigenen Körper und seine Funktionen zu erforschen.
"Zwischen dem 5. und 7. Lebensjahr entwickeln die Kinder ein Gefühl, das wir auch Schamgefühl nennen. In der Kita gehen sie nicht mehr auf eine Toilette mit halbhohen Türen und sie mögen nicht mehr nackt in einem öffentlichen Bad baden gehen. Das sollten alle Erwachsenen akzeptieren" (Stamer-Brandt 2016, S. 15).
Im Bayrischen Bildungs- und Erziehungsplan werden folgende Ziele für die psychosexuelle Entwicklung benannt:
- "Eine positive Geschlechtsidentität entwickeln, um sich wohlzufühlen
- Einen unbefangenen Umgang mit dem eigenen Körper erwerben
- Grundwissen über Sexualität erwerben und darüber sprechen können
- Angenehme/unangenehme Gefühle unterscheiden und Nein sagen können" (www.ifp.bayern.de/imperia/md/content/stmas/ifp/bildungsplan.pdf, S. 362 f.)
Eine positive psychosexuelle Entwicklung und ein positives Körper- und Gesundheitsbewusstsein sind eine gute Grundlage für eine erfolgreiche Sauberkeitsentwicklung.
Die Bedeutung des Wickelns für die Sauberkeitsentwicklung
Das Wickeln in der Kita ist eine ganz besondere Angelegenheit, weil sie die Intimsphäre des Kindes betrifft und viele Gefühle beim Kind und beim Erwachsenen auslöst, die mit Macht und Ohnmacht zu tun haben, mit Ausgeliefertsein und dem Überschreiten von Grenzen. Deswegen ist es ganz wichtig, über dieses Thema ständig im Dialog mit Eltern und Kollegen zu stehen. Offenheit schützt vor Grenzüberschreitungen, nimmt Unsicherheit und hilft, richtig zu Handeln.
Die Entwicklung der Sexualität und die bewusst unterstützte Sauberkeitsentwicklung beginnen direkt nach der Geburt beim Wickeln. Eltern und Pädagogen, die mit Kindern unter 3 Jahren zu tun haben, wissen das und nutzen die Wickelzeit als Beziehungszeit.
Viele Erwachsene erledigen das Wickeln eher nebenbei widmen der Wickelzeit häufig nicht viel Aufmerksamkeit. Das Wickeln ist für sie ganz selbstverständlich und wird automatisch erledigt. Ihnen ist nicht bewusst, dass auch diese Zeit schon für die zukünftige Entwicklung prägend ist. Beim Wickeln erfährt das Kind, wie seine Ausscheidungen von Erwachsenen bewertet werden, welche Bezeichnungen man für die Ausscheidungen benutzen kann und welche nicht. »Es erhält verbale und nonverbale Botschaften, ob alles, was zu seinem Körper gehört, liebevoll benannt, mit Freude anerkannt oder eher mit Wortlosigkeit, Widerwillen, Ablehnung oder Ekel belegt ist. Laut Richter-Appelt werden diese Informationen im vorsprachlichen Körpergedächtnis abgelegt – mit potenziell weitreichenden Auswirkungen auf erwachsene Sexualität, was Selbstakzeptanz und Ausdrucksvermögen anbelangt (Richter-Appelt, Hertha, 1999)«. Stamer-Brandt 2016 S. 31
Beim Wickeln erfährt das Kind auch Zuwendung und Zärtlichkeit, es erlebt Erwachsene, die sich Zeit nehmen und das Ritual des Wickelns genießen. Oder sie erfahren genau das Gegenteil. Beides ist prägend.
Achten Sie deswegen immer darauf, dass das Wickeln nicht unter Zeitdruck geschieht. Im Alltagstrubel denken Eltern und Pädagogen häufig nicht daran, wie wertvoll diese Begegnung für die Weiterentwicklung des Kindes auf vielen Ebenen ist.
Eine sexualfreundliche Haltung zeigen
Gerade beim Wickeln hat die Erzieherin/der Erzieher Gelegenheit, eine sexualfreundliche Haltung zu zeigen. Das bedeutet, dass sie/er:
- liebevoll und zärtlich mit dem Kind umgeht, Geborgenheit vermittelt und Körperkontakt aufnimmt, so lange Kinder dies wünschen. Wichtig ist dabei auch, dass Kinder selbst entscheiden dürfen, von wem sie gewickelt werden wollen, schließlich handelt es sich dabei um eine sehr intime Angelegenheit. Geboten ist es auch, die Grenzen der Intimsphäre einzuhalten.
- Neugierverhalten der Kinder akzeptiert, ihre Fragen beantwortet und dabei eine Sprache wählt, die weder verniedlichend noch wissenschaftlich ist (Thema für Teambesprechung und Elternzusammenarbeit)
- dem Kind Gewissheit darüber vermittelt wird, dass es in der Pflegesituation nicht ausgeliefert ist, sondern geschützt und respektiert ist
- "Reflexion des eigenen Verhältnisses zum eigenen Körper und Geschlecht sowie zur Sexualität; Sprachfähigkeit: Modell sein. Folgende Ziele sollten dabei angestrebt werden:
- Positives Selbstbild (Annahme des eigenes Körpers, der sexuellen Bedürfnisse und Gefühle, des Geschlechts)
- Gesunde Persönlichkeitsentwicklung (weder Unterdrückung noch Überbetonung von Sexualität)
- Reflexion und ggf. Korrektur von unbewusst oder bewusst aufgenommenen gesellschaftlich vermittelten Informationen und Bildern über Sexualität (heutzutage ist aufgrund der sexualisierten Umwelt kein Kind mehr »unschuldig«) zum Abbau von Mythen, die die eigenen Verhaltensmöglichkeiten einschränken können
- Ergänzung, ggf. auch Korrektur der Informationen zu und moralischen Bewertungen von sexuellen Bedürfnissen, Äußerungsformen und Rollenvorstellungen seitens des Elternhauses, sowohl durch andere Erwachsene, v.a. aber durch das Lernen in der Gleichaltrigengruppe, die angesichts von Ein-Kind-Familien und fehlenden unbeaufsichtigten Erfahrungsräumen von geradezu unschätzbarem Wert sind«. (vgl. www.isp-dortmund.de/vortrag_Philipps_-_Kindliche_Sexualitat.pdf)
Sind Körperspiele Grenzüberschreitungen?
Wie wichtig der Dialog zwischen allen Beteiligten ist, zeigt folgende Szene:
Beispiel 2
»Herr A., ein neuer Kollege in der Krippe, hat Kim (15 Monate) zum Wickeln geholt. Kim kommt gerne mit zum Wickeltisch, weil sie gerade gelernt hat, die Treppen alleine hochzusteigen. Sie legt sich hin, streckt die Beine in die Luft, fasst ihren Socken an, um ihn auszuziehen. Sie hilft auch mit, Hose und Windeln abzustreifen. Als die neue Windel angelegt ist, initiiert Herr A. ein Kitzelspiel, in dessen Verlauf er Kim auf dem Bauch küsst. In der späteren Teambesprechung, in der die Entwicklung von Kim besprochen wird, erzählt Herr A. von dieser »schönen, vertrauensvollen Situation mit Kim«. Das löst eine Diskussion aus, ob Kitzelspiele und Küssen auf den nackten Bauch Grenzüberschreitungen seien.
Hier wird deutlich:
- Fachkräfte sind häufig durch Szenen wie oben verunsichert.
- Wenn männliche Fachkräfte in Krippen eingestellt werden, ist das oft der Anlass, entsprechende Fragen zu klären. Auch vonseiten der Eltern werden meistens erst dann Bedenken geäußert.
- Es braucht eine offene und kollegiale Atmosphäre, um Szenen wie die oben geschilderte zu diskutieren und Handlungsorientierungen zu entwickeln (vgl. www.erzieherin.de/files/paedagogischepraxis/tps_03_12_08-11.pd)
Wichtig ist vor allen Dingen, Themen die Sexualität betreffen nicht zu tabuisieren. Leitungsaufgabe ist es, für Transparenz zu sorgen, gemeinsam mit dem Team Regeln zu verabreden, mit Eltern in den Dialog zu treten (und dabei nicht zu vergessen, dass Eltern/Kinder gibt, die einen besonderen kulturellen, ethischen oder/und religiösen Hintergrund haben).
Pflegesituationen brauchen Regeln, denn Regeln ermöglichen einen präventiven Kinderschutz
Einen präventiven Kinderschutz brauchen wir auch in Kitas und Krippen, denn auch dort passiert es, dass Kinder missbraucht werden. Da in diesen Einrichtungen der Zugang zu kleinen Kindern sehr einfach ist, wählen sich auch gerne potenzielle Täter Kitas als Arbeitsplatz aus. Dieser Arbeitsplatz bietet ihnen u.U. viele Möglichkeiten, ihre Neigungen auszuleben. Sei es bei Wickelsituationen an einem nicht einsehbaren, fern gelegenen Wickelplatz, beim Toilettengang, beim Eincremen, Trösten, Körperkontakt aufbauen ...
Einen ersten schützenden Schritt machen Sie, indem Sie
- Handlungsabläufe im Alltag (insbesondere die, die mit Körperkontakt zu tun haben) beschreiben und eine gemeinsame Handlungsstrategie in einem schriftlich fixiertem Regelwerk festlegen,
- laufend Alltagssituationen in denen es um körperliche Nähe, emotionale Zuwendung, Baden, Wickeln, Streicheln, ... geht reflektieren,
- für absolute Transparenz sorgen, ohne dabei die Intimsphäre der Kinder zu verletzen,
- offen über (auch vermeintliche) Grenzsituationen sprechen und bei Bedarf neue Verhaltensregeln aufstellen,
- Verabredungen darüber treffen, dass Beobachtungen von Grenzverletzungen sofort anzusprechen sind (auch von Eltern und Kindern).
Wiebke Wüstenberg ergänzt um weitere Aspekte eines präventiven Kinderschutzes:
- "Verständigung und Reflexion über verbale Zurechtweisungen, bei Beschämungen, Entwertungen oder Strafen, die Kinder isolieren (Auszeit),
- Verständigung und Reflexion darüber, wenn Kinder wie Objekte behandelt werden, zum Beispiel, wenn über ihren Kopf hinweg über sie oder ihre Eltern geredet wird«. (Wüstenberg 2012.
Fazit
Das Wickeln kann nicht einfach nur so nebenbei laufen. Die Handlung bedarf einer exakten Planung und einer fortlaufenden Reflexion. Team- und Elterngespräche über Sexualität und Pflegesituationen in der Kita sind eine absolute Notwendigkeit, ebenso wie Maßnahmen für einen präventiven Kinderschutz.
Literatur
Wüstenberg, Wiebke (2012): Körperkontakt beim Wickeln. Wie kann die Intimsphäre der Krabbelkinder geschützt werden? TPS 3 | S. 10, Stuttgart.
Stamer-Brandt, Petra (2016): Sauberkeitsentwicklung bei Kita-Kindern, Cornelsen, Berlin.