zurück nach oben

Stress und Angst im Arbeitsalltag

Wer kennt das nicht – die Eltern des letzten Kindes am Tag kommen wiedermal viel zu spät zur Abholung. Die Dokumentationsanforderungen verlangen ein neues Formular, das unübersichtlicher ist als das alte. Eine aufgeregte Mutter ruft 5 Minuten vor Kita-Schließzeit an und beschwert sich über eine vermeintlich falsche Einschätzung des Sozialverhaltens ihres Kindes. Was ein Stress! – Aber werden Kita-Mitarbeiter/innen davon krank?

Stress im Kita-Alltag - was kann man als Erzieherin und Leitung dagegen tun?

In der Regel gelingt es den meisten Menschen, mit solchen und anderen alltäglichen Stressereignissen gesund umzugehen. Manche Menschen sehen sie gar als eine Herausforderung. Günstige Verhaltensweisen sind, im Stressmoment ruhig zu bleiben, die Lage nach Möglichkeit mit etwas Abstand vom Stressereignis einzuschätzen, und dann problemlösungsorientiert zu handeln. Viele Stressereignisse im Alltag sind wiederkehrend, und sobald man eine Situation mehrmals erlebt und geübt hat, kann man sicherer damit umgehen. Besonders die Überzeugung, durch das eigene Handeln eine Situation beeinflussen zu können und aktiv an Problemlösungen heranzugehen, ist eine hilfreiche Einstellung. Sie gibt einem das Gefühl, Kontrolle zu haben und verhindert, dass man sich »dem System« oder anderen Umgebungsbedingungen hilflos ausgeliefert fühlt.

Normales Stresserleben ist also das eine – überdauernde Befindensstörungen mit Leistungsfähigkeitsbeeinträchtigungen sind ein anderes Thema. Zu letzteren kann es kommen, wenn die psychische Grundverfassung eines Menschen nicht die allerbeste ist. Wenn dieser Zustand länger als ein paar Tage oder Wochen besteht, kann es sein, dass eine psychische Erkrankung vorliegt. Dies kann medizinisch abgeklärt werden. Psychische Erkrankungen sind Volkskrankheiten: In der Allgemeinbevölkerung leiden etwa 25 bis 30% der Menschen daran. Diese Zahl ist seit Jahrzehnten stabil. Am häufigsten sind dabei Stimmungserkrankungen und Angsterkrankungen. Sie sind in der Regel gut behandelbar.

Warum entstand in den letzten Jahren der Eindruck, dass psychische Probleme zunehmen? Psychische Erkrankungen werden heutzutage eher als solche benannt, und es gibt häufiger Arbeitsunfähigkeiten wegen psychischer Beschwerden. Menschen mit psychischen Erkrankungen geraten unter den heutigen hohen psychischen Arbeitsanforderungen zuweilen noch leichter als Gesunde unter Druck. So zeigte sich in Studien (z.B. Muschalla et al. 2012; Stansfeld et al. 2008), dass Menschen mit psychischen Problemen zwar auch Beeinträchtigungen im Freizeitbereich, im sozialen Umfeld oder bei der Haushaltsführung haben, jedoch am stärksten im Bereich der Arbeit.

In einer Untersuchung von 201 Berufstätigen verschiedener Branchen waren 6% aktuell in einer Behandlung wegen psychischer Probleme. Von den restlichen 188 berichteten etwa 5% von arbeitsbezogenen Ängsten, und dass sie sich auch schon einmal wegen unerträglicher Probleme am Arbeitsplatz hatten krankschreiben lassen (Muschalla et al. 2013).

Kann Arbeit in der Kita "krank" oder Angst machen?

Arbeit ist einerseits eine wichtige Ressource im Leben, die für viele Menschen nicht nur Lohnerwerb, sondern auch soziale Einbindung, Anerkennung und Identitätsstiftung bedeutet. Arbeit an sich macht nicht krank.

Es gibt jedoch andererseits an Arbeitsplätzen naturgemäß eine Reihe von Faktoren, die Stresserleben oder auch Ängste forcieren können. Diese finden sich auch bei der Arbeit in Kindertagesstätten. Diese »Bedrohungsfaktoren« können zum Beispiel sein: Rivalitäten unter Kollegen, unberechenbare Eltern oder aggressive oder verhaltensauffällige Kinder, Video-Monitoring von Mitarbeitern, Unfallgefahren, sowie Ungewissheiten, was an steigenden Anforderungen auf das Team zukommen mag (Muschalla/Linden, 2013).

Gelegentlich Anspannung in manchen Arbeitssituationen zu verspüren, ist normal. Problematisch werden Stresserleben und Ängste, wenn sie dazu führen, dass der Betroffene Arbeitssituationen oder -aufgaben vermeidet, oder bei der Arbeit durch Fehler und Daueranspannung auffällt. Insbesondere wenn es zu einer Krankschreibung kommt, ist Vorsicht geboten. »Weg zu sein« vom Arbeitsplatz wirkt zunächst entlastend, jedoch kann im längerfristigen Verlauf die Angst schlimmer werden. Und wenn der Arzt nach einer Weile vorschlägt, an den Arbeitsplatz zurückzukehren, oder wenn die Chefin anruft, kann Panik auftreten.

Untersuchungsbefunde

In einer aktuellen Untersuchung (Muschalla et al. 2017) wurden Menschen verschiedener Berufsgruppen hinsichtlich ihrer Einstellung zur Arbeitsbewältigung und dem Erleben ihrer Arbeitsanforderungen verglichen. Erzieher/innen (Altersdurchschnitt 32 Jahre, 97% Frauen) berichteten stärkere Anforderungen durch sachliche Belastungen (z.B. Lärm, Unfallgefahren) und Dritte am Arbeitsplatz (z.B. Kinder, Eltern), und stärkeren Kontakt mit Kollegen als andere Berufsgruppen. Erzieher/innen erlebten aber vergleichbare Anforderungen wie andere Berufsgruppen hinsichtlich des Ausmaßes der Leistungsanforderungen sowie der Auseinandersetzung mit Vorgesetzten und Ungewissheiten.

In dieser Stichprobe waren 88% der Erzieher/innen zum Zeitpunkt der Befragung arbeitsfähig, in den anderen Berufsgruppen waren es 81% (Arbeiter, Handwerk, Technik) bis 95% (Angestellte, Bildung, Gesundheit; Auszubildende oder Studierende).

Die erhöhten Anforderungen an die sozioemotionalen Fähigkeiten von Erzieherinnen und Erziehern wurden auch in der biologisch orientierten Stressforschung aufgegriffen: Eine Untersuchung bei 43 weiblichen Kindergärtnerinnen zeigte Zusammenhänge zwischen der Art des emotionalen Umgangs mit Arbeitsanforderungen und biologischen Stressmarkern: Bei Kindergärtnerinnen, bei denen gezeigter Emotionsausdruck und innerlich erlebter Gefühlszustand nicht übereinstimmen (surface acting), war die Konzentration des Stresshormons Cortisol im Haar höher. Bei Kindergärtnerinnen, die der Anforderung der Emotionsarbeit so nachkamen, dass gezeigter Emotionsausdruck und innerlich erlebtes Gefühl übereinstimmten (deep acting), bestand kein engerer Zusammenhang zwischen Emotionsarbeit und Cortisolkonzentration (Qi et al. 2017).

Hinsichtlich ihrer Arbeitseinstellung hatten Erzieher/innen im Vergleich zu Verwaltungsangestellten, sowie Beschäftigten in Verkauf/Service und Handwerk/Technik eine höhere Promotionsorientierung (Muschalla et al. 2017). Das bedeutet, dass sie Arbeitsziele mit einer offensiven Perspektive angehen (Leitgedanke: »Was kann ich Gutes erreichen?«). Hinsichtlich der Vorsichtigkeit (Präventionsorientierung, Leitgedanke: »Gefahren verhindern!«) lagen Erzieher/innen gleichauf mit den anderen Berufsgruppen.

Umgang mit psychischen Beschwerden und Ängsten im Arbeitsalltag

In der betrieblichen Praxis haben sich branchenübergreifend einige Grundhaltungen bewährt, um ungünstigen Entwicklungen geringen Raum zu bieten:

  1. Gelegentlich Angst und Leistungsprobleme am Arbeitsplatz zu haben ist normal, da alle Arbeitsplätze verschiedene Bedrohungspotentiale besitzen (Konflikte mit Kollegen oder Eltern, Veränderungen, Kontrolle und Bewertung durch andere, Unfallgefahren, Ungewissheit über Arbeitsplatzsicherheit und kommende Veränderungen). Gelegentliche Angst und Unbehagen kann jeder gesunde Mensch tolerieren.
  2. Wenn Angst bei der Arbeit jedoch zu stark wird, an jedem Arbeitstag aufkommt, bei der Arbeit behindert und dauerhafte Leistungsminderung verursacht, sollte der Betroffene offen mit der Leitung sowie einem Arzt seines Vertrauens, oder auch mit dem Betriebsarzt, darüber sprechen.
  3. Eine Krankschreibung bei Ängsten kann, wenn sie über Wochen andauert, und wenn sonst keine aktive Auseinandersetzung mit der Arbeit und dem beruflichen Wiedereinstieg unternommen wird, eher noch zu einer Angstverstärkung beitragen. Wichtig ist es daher für Betroffene und die Leitung, sich frühzeitig gemeinsam mit den Bewältigungsmöglichkeiten und der Arbeitssituation zu befassen.
  4. Der behandelnde ambulante Arzt oder auch der Betriebsarzt können die gesundheitsbedingten Arbeitsplatzprobleme der/des Betroffenen am besten einschätzen. Sie sollten daher im Wiedereingliederungsprozess (§ 84 SGB IX) als Vermittler zwischen Leitung und Mitarbeiter/in einbezogen werden. Sie geben auch wichtige Informationen, wenn es beispielsweise um Fragen einer (vorübergehenden) Arbeitsplatzanpassung geht. Damit in dieser Weise alle »miteinander reden« können, ist ein generell gutes Gesprächsklima im Betrieb wichtig, in dem Mitarbeiter/innen keine Scheu haben müssen, relevante Gesundheitsprobleme anzusprechen.

Was kann man vorbeugend tun?

Bereits im alltäglichen Kommunikations- und Leitungsverhalten kann präventiv einiges getan werden, um möglichst wenig Stresserleben und Angst bei Mitarbeitern zu forcieren (Muschalla/Linden 2013):

  1. Regelmäßiger Austausch im Team führt dazu, dass man als Leitungsperson seine Kollegen/Kolleginnen und Mitarbeiter/innen gut kennt. Zu wissen, was die Stärken und Schwächen eines jeden einzelnen sind, ist notwendig um die Teammitglieder individuell entsprechend ihrer Fähigkeiten (Person-Role-Fit, French 1973) an Entwicklungs- oder Entscheidungsvorgängen zu beteiligen, oder Sonderaufgaben (pädagogische Konzeptentwicklung, Qualitätsmanagement, Jahresbericht anfertigen für den Träger) sinnvoll zu verteilen.
  2. Leitungspersonen können per Rollendefinition mit Überwachungs- und Sanktionsfunktion für Mitarbeiter/innen angstauslösend wirken. Als Leitungsperson sollte man dies wissen und tolerieren, dass Mitarbeiter/innen gelegentlich Abstand suchen, selbst wenn man ein sehr teamorientiertes Leitungsverhalten an den Tag legt.
  3. Eine Leitungsperson sollte sich wie eine Leitungsperson verhalten, d.h. einen klaren sachlich-unaufgeregten Kommunikationsstil pflegen, Regeln vorgeben. Dies schließt nicht aus, gleichzeitig mitarbeiterorientiert die Fähigkeiten der einzelnen im Auge zu behalten, Überforderungen zu vermeiden und bei individuellen Leistungsproblemen die Gründe zu erfragen und Hilfestellung zu geben. Mitarbeiter/innen wissen es in der Regel zu schätzen, eine/n durchaus fordernden, dabei aber verlässlichen und berechenbare/n Chefin oder Chef zu haben. Dazu gehören auch alltägliche Kommunikationsaspekte, und ein regelmäßiger direkter Austausch mit dem Team (z.B. Teambesprechungen, gemeinsames Frühstück).
  4. Betriebliche Veränderungen und alles was Ungewissheit und Gerüchte schürt, sollte im Team deutlich kommuniziert werden. Wenn klar ist, was das Problem oder Vorhaben ist, und in welcher Weise darauf reagiert werden kann, kann Unsicherheit reduziert werden. Als Leitungsperson in Entscheidungsverantwortung seine Position zu erläutern und Entscheidungen sachlich zu begründen, dient ebenso einer angstreduzierenden Kommunikation.
  5. In einer Untersuchung von Menschen mit Arbeitsängsten zeigte sich, dass Betroffene sich über den Gegenstand, der ihnen Angst macht, tendenziell negativer äußern (Muschalla et al. 2016). Klagen von Mitarbeitern über bestimmte Arbeitssituationen oder Umstände (z.B. zu viele Kinder in den Gruppen, zu hohe Erwartungen der Eltern, zu wenige Absprachen im Team) sollten daher ernst genommen werden. Das Ansprechen von »Problemen« (nicht: »Ängsten«) sollte dazu dienen, mit Kolleginnen/Kollegen und Mitarbeitern/Mitarbeiterinnen lösungsorientiert ins Gespräch zu kommen.
  6. Bei Klagen über ungünstige Arbeitsumstände kann sondiert werden, wer betroffen ist. Handelt es sich um eine von 10 Mitarbeiterinnen, so ist im Einzelfall und ggf. mit dem Betriebsarzt zu klären, was das Problem ist und wie geholfen werden kann. Klagen 8 von 10 Mitarbeiterinnen über die gleichen ungünstigen Arbeitsumstände, spricht dies eher für ein arbeits- oder betriebsstrukturelles Problem. Dies sollte mittels eines gemeinsamen Problemlösungsprozesses angegangen werden. Es sollte differenziert werden, was man im Team lösen kann (z.B. Umgang mit fordernden Eltern), was man in der Kita tun kann (z.B. interne oder externe Supervision), und was man ggf. an übergeordnete Stellen oder Kooperationspartner kommunizieren muss (z.B. Notwendigkeit von Personalaufstockung vor Umsetzung des neuen Pädagogikkonzepts, oder Kooperationsnotwendigkeiten mit Jugendamt oder Schule bei Projekten).

Fazit

Wenn tatsächlich ein Teammitglied wegen psychischer Überlastung ausgefallen ist, kann in manchen Fällen auch eine verhaltenstherapeutische Unterstützung helfen, einen rechtzeitigen Wiedereinstieg zu bahnen. In einer Rehaklinik wurde bspw. ein Gruppenprogramm für Menschen mit Arbeitsproblemen und -ängsten angeboten. Die Teilnehmer profitierten von einem Arbeits-Bewältigungs-Training: Sie hatten eine kürzere Arbeitsunfähigkeitsdauer nach der Rehabilitation im Vergleich zu Teilnehmern einer Freizeitgruppe, oder sie entwickelten besseres Zutrauen, ihre Arbeit wieder zu bewältigen (Muschalla et al., 2014). Generell ist eine frühzeitige Wiedereingliederungsorientierung hilfreich, um Angstausbereitung zu verhindern (Nash-Wright, 2011).

Literatur

French, J.P.R. jr. (1973): Person role fit. In: Occupational Mental Health, 3, S. 15–20.

Muschalla, B./Fay, D./Jöbges, M./Linden, M./Ayhan, H./Flöge, B./Heidrich, M. L. (2014): Evaluation einer Gruppentherapie für arbeitsplatzbezogene Ängste und Arbeitsplatzphobie. Abschlussbericht zum DRV-Forschungsprojekt. Brandenburgklinik Bernau und Universität Potsdam, Arbeits- und Organisationspsychologie.

Muschalla, B./Fay, D./Linden, M. (2016): Self-reported workplace perception as indicator of work anxieties. In: Occupational Medicine, 66, S. 168–170.

Muschalla, B./Heldmann, M./Fay. D. (2013): The significance of job-anxiety in a working population. In: Occupational Medicine, 63, S. 415–421.

Muschalla, B./Linden, M. (2013): Arbeitsplatzbezogene Ängste und Arbeitsplatzphobie. Phänomenologie, Differentialdiagnostik, Therapie, Sozialmedizin. Stuttgart: Kohlhammer-Verlag.

Muschalla, B./Vilain, M./Lawall, C./Lewerenz, M./Linden, M. (2012): Participation restrictions at work indicate participation restrictions in other domains of live. In: Psychology, Health & Medicine, 17, S. 95–104.

Muschalla, B./Zaranski, A./Paschmanns, G. (2017): Arbeitsbezogener Promotions- und Präventionsfokus bei verschiedenen Berufsgruppen. Manuskript in Vorbereitung.

Nash-Wright, J. (2011): Dealing with anxiety disorders in the workplace: importance of early intervention when anxiety leads to absence from work. In: Professional Case Management, 16, S. 55–59.

Qi, X./Ji, S./Zhang, J./Sluiter, J. K./Deng, H. (2017): Correlation of emotional labor and cortisol concentration among female kindergarten teachers. In: International Archives of Occupational and Environmental Health, 90, S. 117–122.

Stansfeld, S. A./Clark, C./Caldwell, T./Canner, R./North, F./Marmot, M. (2008): Psychosocial characteristics and anxiety and depressive disorders in midlife: the effect of prior psychological distress. In: Occupational and Environmental Medicine, 65, S. 634–642.