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Thema: Mehr Männer in Kitas! – Warum eigentlich?

»Mhr Männer in Kitas« erscheinen auf den ersten Blick plausibel – von der Annahme, dass Jungen für ihre Identitätsentwicklung männliche Vorbilder benötigen bis zum Fachkräftemangel. Doch sind die Begründungen alle stichhaltig?

Mit Mädchen kommunizieren männliche wie weibliche Fachkräfte persönlich-beziehungsorientiert, mit Jungen dagegen sachlich-funktional.

Vermeiden Sie geschlechtstypische Handlungen im Kita-Alltag.

Im frühpädagogischen Feld arbeiten seit jeher vorwiegend Frauen. Dabei sprach sich bereits der Gründervater des Kindergartens Friedrich Fröbel für die Anstellung von männlichen Pädagogen aus. Männer blieben dem Beruf allerdings fern. Zunächst strebten vor allem junge Frauen aus dem Bildungsbürgertum in das neue Berufsfeld. Dies ist auf die Entwicklung bürgerlicher Geschlechtscharaktere im 19. Jahrhundert zurückzuführen. Demnach nimmt der Mann die Rolle des Ernährers und die Frau die der liebevollen Mutter ein. Für soziale und pflegerische Berufe wurde entsprechend der Begriff der »geistigen Mütterlichkeit« geprägt, Kindergärtnerin wurde zum Frauenberuf (Rohrmann 2014). Obwohl sich die gesellschaftlichen Rollenbilder verändert haben, sind Männer bis heute die Minderheit im frühpädagogischen Feld. Aktuell arbeiten in Deutschland rund 30.900 Männer in Kindertageseinrichtungen. Dies entspricht einem Männeranteil von nur 5,4% (Autorengruppe Fachkräftebarometer 2017).

Die Forderung, mehr Männer für die frühpädagogische Praxis zu gewinnen, ist seit rund 10 Jahren lauter denn je zu hören. Besonders Kitaleitungen und Trägerverantwortliche, aber auch Erzieherinnen und Eltern wünschen sich mehr Männer im frühpädagogischen Feld (Cremers u.a. 2010). Seit einigen Jahren zielt die Politik mit verschiedenen Projekten und Werbekampagnen auf eine Erhöhung des Männeranteils, z.B. durch das Bundesprogramm »Mehr Männer in Kitas«.

Profitieren Kinder speziell von männlichen Fachkräften?

Ein zentrales Argument lautet: Jungen, insbesondere Söhne von alleinerziehenden Müttern, brauchen männliche Pädagogen als Vorbild für ihre geschlechtsspezifische Rollenentwicklung. Denn Männer, so das Argument, heben in ihrem Interaktionsverhalten vor allem die »Männlichkeit« von Jungen hervor, etwa durch wilderes Spiel. Zudem könnten Pädagogen förderliche Rollenvorbilder für Jungen sein. Die Argumentation ist nachvollziehbar. Allerdings gibt es für diese These bislang keinen empirischen Beleg. Interessant ist, dass die Studie von Cremers u.a. (2010) zeigt, dass Alleinerziehende den Wunsch nach männlichen Fachkräften nicht stärker äußern als Elternpaare, die ihr Kind gemeinsam erziehen.

Häufig wird auch auf die Unterschiedlichkeit von Bildungsbiographien hingewiesen: Jungen werden später eingeschult als Mädchen, müssen häufiger eine Klasse wiederholen und erzielen schlechtere Ergebnisse beim Lesen. Entsprechend gelten Jungen als »Bildungsverlierer«. In einer feminisierten pädagogischen Kultur, so der unterschwellige Vorwurf, werde das angepasstere Verhalten von Mädchen belohnt und es gebe nur wenig Verständnis für angeblich »jungentypische« Verhaltensweisen, wie z.B. der größere Bewegungsdrang.

Gegen diese Annahme ist einzuwenden, dass sich männliche und weibliche Fachkräfte offenbar nur wenig in ihren pädagogischen Angeboten und in ihrem Interaktionsverhalten unterscheiden (Aigner & Rohrmann 2012). Dies zeigt die Tandem-Studie (Brandes u.a. 2015) durch Videoanalysen besonders deutlich. Auf den ersten Blick widerspricht dies Ergebnissen der Elternforschung, die für Mütter eher eine bindungsbezogene und für Väter eine stärker herausfordernde Haltung feststellt. Brandes und Kollegen/Kolleginnen kommen zu dem Schluss, dass sich das Erziehungsverhalten von Eltern und professionellen Frühpädagogen grundsätzlich unterscheidet und resümieren, dass dieser Unterschied »ein durchaus wünschenswerter Effekt der professionellen Ausbildung« (ebd., S. 21) ist. Interessanterweise zeigt die Tandem-Studie aber, dass Fachkräfte mit Jungen anders interagieren als mit Mädchen. Mit Mädchen kommunizieren männliche wie weibliche Fachkräfte persönlich-beziehungsorientiert, mit Jungen dagegen sachlich-funktional. Brandes und Kollegen/Kolleginnen gehen davon aus, dass sich die Pädagogen und Pädagoginnen in der Interaktion an den Interessen der Kinder orientieren, denn die Jungen und Mädchen selbst agieren nicht geschlechtsneutral, sondern orientieren sich an den Rollenvorbildern, die sie z.B. in ihren Müttern und Vätern finden.

Kinder profitieren vermutlich nicht speziell von Männern, sondern vielmehr von männlichen und weiblichen Fachkräften, die sie an ihren Interessen und Bedürfnissen orientiert professionell-pädagogisch in ihren Bildungs- und Entwicklungsprozessen begleiten.

Verbessert Geschlechtermischung die Teamkultur?

Leiter/innen und Mitarbeiter/innen wünschen sich männliche Kollegen und erwarten dadurch eine Verbesserung der Zusammenarbeit im Team und neue pädagogische Impulse. Personalverantwortliche formulieren in Interviews, dass sie sich »vielfältige und unterschiedliche Männer für ein ›buntes‹ Team wünschen« (Cremers u.a. 2010, S. 82). Daneben gelten Frauen allgemeinhin eher als beziehungs- und Männer als sachbezogen. Mit einem gemischten Team scheint also auch ein ausgewogeneres Arbeitsklima möglich. Allerdings liegt aktuell keine Studie für die Kita vor, die diese These hinreichend stützt.

Als gesichert gilt aber, dass gelingende konfliktfreie Zusammenarbeit in geschlechtlich gemischten Teams vor allem dann gelingt, wenn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gemeinsam kontinuierlich und vertieft ihre genderbezogenen Vorstellungen und Handlungen reflektieren.

Wie steht es um die Gleichstellung von Mann und Frau in der Kita?

Im Zuge der Umsetzung des »Gender Mainstreamings«, einer von der Politik initiierten Strategie, mit der die partnerschaftliche und gleichgestellte Position von Mann und Frau im Berufs- und Privatleben angesteuert wird, geht es heute auch darum, Männern den Zugang zu weiblich dominierten Arbeitsfeldern wie der Kindertagesbetreuung zu erleichtern. Auf diese Weise sollen bereits Jungen und Mädchen erleben, wie Erwachsene unabhängig ihres Geschlechts die gleichen Tätigkeiten ausüben können – vom Wickeln, über das Trösten bis zum Arbeiten im Werkraum. Kinder und Erwachsene sollen dadurch flexible und eben nicht stereotype Rollenbilder entwickeln können.

Wenn es um die Gleichstellung von Mann und Frau geht, müssen in Zukunft noch weitere Aspekte diskutiert werden. So ist die aktuelle gesellschaftliche Debatte um die Gleichstellung von Menschen, die sich nicht eindeutig einem der beiden Geschlechter zuordnen, bislang noch kaum mit Blick auf die in Kitas angestellten Personen diskutiert worden. Ferner sollte darauf hingewiesen werden, dass sich Männer prozentual betrachtet mehr in Leitungspositionen als im Gruppendienst befinden. Wenn Gleichstellung anvisiert wird, dann müssen auch die Gehälter in den bisherigen Frauenberufen steigen, was wiederum dazu beitragen könnte, dass sich mehr Männer für eine Tätigkeit in der Kita entscheiden.

Kann dem Fachkräftemangel durch mehr Männer entgegengewirkt werden?

Für die Jahre 2016 bis 2025 wird von einem zusätzlichen Fachkräftebedarf von 171.000 Personen ausgegangen (Autorengruppe Fachkräftebarometer 2017). Woher soll das zusätzliche Personal kommen? Eine auf der Hand liegende Lösung scheint zu sein, mehr Männer für das Berufsfeld zu gewinnen. Sicher kann die Anstellung von Männern dem Fachkräftemangel entgegenwirken. Relevant ist dabei, dass die Anwerbung von Männern – und Frauen – und damit verbundene Qualifizierungsstrategien (z.B. für Quereinsteiger) immer mit einer Sicherung von Qualität einhergehen muss.

Was bewegt Männer in Kitas?

So vielfältig Männer sind, so vielfältig sind auch die Perspektiven auf ihren Beruf. Bei zwei Themen scheinen sich Pädagogen aber einig zu sein: Erstens reagieren Kinder nach Einschätzung männlicher (und übrigens auch weiblicher) Fachkräfte sehr positiv auf Männer. Ein Befragter sagt bspw.: »Man ist ja eigentlich schon wie ein Star in dem Ganzen« (Aigner & Rohrmann 2012, S. 278). Daneben gibt es noch ein zweites Thema, dass die meisten Männer beschäftigt: Die Skepsis gegenüber Männern im Berufsfeld führt bei Pädagogen nicht selten zu der Angst, einem Pädophilieverdacht ausgesetzt zu sein, weshalb sich die für pädagogisches Handeln notwendige Balance zwischen Nähe und Distanz deutlich in Richtung des Distanzpols verschieben kann (ebd. 299). Insgesamt agieren männliche Fachkräfte also in einem »Spannungsverhältnis zwischen Idealisierung und Verdächtigung« (Rohrmann 2014, S. 67). Gerade in Zeiten, in denen Fälle von sexuellem Missbrauch an Kindern durch männliche Pädagogen oder der Besitz kinderpornographischen Materials aufgedeckt werden – wie jüngst in zwei Fällen in Baden-Württemberg – lastet der Generalverdacht vermutlich noch schwerer auf männlichen Fachkräften. In der Studie von Cremers u.a. (2010, S. 62) stimmten übrigens 86% der befragten Eltern der Aussage »Ich würde mein Kind in der Kita bedenkenlos einem männlichen Erzieher anvertrauen« zu.

Im Zusammenhang des Generalverdachts muss darauf hingewiesen werden, dass nicht nur Männer, sondern auch Frauen Kinder durch emotionale wie körperliche Übergriffigkeit verletzen können. Gewalt von Erwachsenen gegenüber Kindern ist häufig nicht unmittelbar erfassbar, sondern drückt sich oft subtil aus. Beim Thema Gewalt und Missbrauch sind alle – männliche und weibliche – Fachkräfte gefordert, bei anderen und bei sich selbst genau hinzusehen und die eigene Haltung kontinuierlich zu reflektieren.

Fazit

Das Thema »mehr Männer in Kitas« ist komplexer und widersprüchlicher als es auf den ersten Blick erscheint. Einerseits sollen männliche Pädagogen Rollenvorbilder sein, explizit Jungen fördern, raufen, toben, Fußball spielen und darüber hinaus naturwissenschaftliche Themen einbringen. Andererseits sollen sie durch ihre Anwesenheit und das Ausüben pädagogischer und pflegerischer Tätigkeiten zeigen, dass es keinen Unterschied zwischen den Geschlechtern gibt. Diese zwei gegensätzlichen Anforderungen ergeben sich aus der Tatsache, dass es einerseits biotische (z.B. hormonelle) Unterschiede zwischen den Geschlechtern gibt, andererseits aber auch sich wandelnde soziale Zuschreibungen und Rollenerwartungen. Diese Differenz zwischen biotischer und sozialer Geschlechtlichkeit müssen Menschen im Zuge der Identitätsentwicklung bearbeiten, um eigene Rollenbilder zu entwickeln. Darüber hinaus sollten Pädagogen ein starkes berufliches Selbstverständnis entwickeln, mit dem sie dem Generalverdacht der Pädophilie konstruktiv begegnen können. Diese Anforderungen müssen Männer in ihrer täglichen Praxis mit sich selbst, den Kollegen/Kolleginnen, den Kindern und deren Eltern aushandeln. Es liegt nahe, dass nicht nur Kinder und Kolleginnen, sondern auch Männer von anderen Männern in Kitas profitieren können – als Vorbilder für die Entwicklung einer eigenen beruflichen Identität. Letztlich ist festzuhalten, dass das Thema Gender kontinuierlich im Team reflektiert werden sollte, und zwar hinsichtlich der Kinder und der Erwachsenen. Alle Fachkräfte sollten geschlechtstypische Handlungen und die Erwartungen an das Gegenüber hinterfragen, um so eine geschlechterbewusste Pädagogik als Bestanteil pädagogischer Praxis zu leben.

Hinweis:

Anregungen zur Praxisreflexion finden sich z.B. in den Arbeitsbögen »Analysen und Reflexion« von Jens Krabel, abrufbar unter: https://www.koordination-maennerinkitas.de/uploads/media/S.49_Gender_Elementar_Teil2.pdf

Literatur

Aigner, J.C. & Rohrmann, T. (2012): Elementar – Männer in der pädagogischen Arbeit mit Kindern. Opladen u.a.: Barbara Budrich.

Autorengruppe Fachkräftebarometer (2017): Fachkräftebarometer Frühe Bildung 2017. München: Deutsches Jugendinstitut.

Brandes, H., Andrä, M., Röseler, W. & Schneider-Andrich, P. (2015): Spielt das Geschlecht eine Rolle? Erziehungsverhalten männlicher und weiblicher Fachkräfte in Kindertagestätten. Kurzfassung der Ergebnisse der »Tandem-Studie«. Berlin: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.

Cremers, M., Krabel, J. & Calmbach, M. (2010): Männliche Fachkräfte in Kindertagesstätten. Eine Studie zur Situation von Männern in Kindertagestätten und in der Ausbildung zum Erzieher. Berlin: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.

Rohrmann, T. (2014): Männer in Kitas. Zwischen Idealisierung und Verdächtigung. In: Budde, Jürgen; Thon, Christine & Walgenbach, Katharina (Hrsg.). Männlichkeiten – Geschlechterkonstruktionen in pädagogischen Institutionen. Opladen u.a.: Barbara Budrich. S. 67–84.

Rose, L. & Stibane, F. (2103): Männliche Fachkräfte und Väter in Kitas. Eine Analyse der Debatte und Projektpraxis. WiFF Expertisen. München: Deutsches Jugendinstitut.