Der Kindergarten stellt in der Regel den ersten Übergang eines Menschen in eine außerfamiliäre Institution dar. Wie jeder Übergang ist auch dieser mit bedeutenden Herausforderungen auf individueller, interaktionaler sowie kontextueller Ebene für die beteiligten Individuen gekennzeichnet. Das Kind ist mit starken Trennungs- und Verlustängsten konfrontiert und muss sich zudem an eine unbekannte Umgebung mit neuen Kontakt- und Bezugspersonen und einem veränderten Tagesablauf gewöhnen. Auch seine Eltern müssen starke Emotionen verarbeiten, sehen sich veränderten Tagesstrukturen, neuen Rollen und Anforderungen sowie veränderten Sozialkontakten gegenübergestellt.
Die pädagogische Fachkraft ist an diesem Übergang ebenfalls stark involviert. Für sie stellt der Eintritt eines Kindes in den Kindergarten jedoch keinen vergleichbaren Übergang dar, da die Situation in der Regel keine neuen Anforderungen an sie stellt (vgl. Griebel & Niesel 2005). Während das Kind und seine Eltern die Akteure in dieser Übergangssituation darstellen und diese aktiv bewältigen müssen, fungiert die pädagogische Fachkraft als Moderator/in und Wegweiser/in in der neuen und unbekannten Umgebung.
Eltern-Kind-Beziehung als entscheidender Schutzfaktor
Haben ein- bis dreijährige Kinder beim Eintritt in den Kindergarten keine Vorerfahrungen mit Trennungssituationen gemacht, verfügen sie nicht über ausreichend ausgebildete Strategien, um die geforderten Anpassungsprozesse selbstständig erfolgreich zu bewältigen (vgl. Laewen u.a. 2009). Sie sind auf die Unterstützung ihrer primären Bezugspersonen (Eltern) angewiesen.
Eltern stellen für das Kind seine sichere Basis dar. Von ihr aus erfolgt die Aneignung von materieller und personeller Welt. Fühlt sich das Kind sicher und geborgen kann es sich der Exploration seiner Umgebung zuwenden, Fähigkeiten und Fertigkeiten aufbauen und seinen Wissenshorizont erweitern und neue Beziehungen herstellen. Kann es jedoch in neuen und verunsichernden Situationen nicht auf seine sichere Basis zurückgreifen, fällt es dem Kind nur sehr schwer sich zu beruhigen und sich den noch nicht überschaubaren Gegebenheiten und unbekannten Personen zu öffnen (Bindungs-Explorations-Balance). Folglich ist es unabdingbar, dass Eltern in der Eingewöhnungszeit ihres Kindes im Kindergarten anwesend sind. In der Gegenwart ihrer vertrauten Bezugsperson und dem daraus resultierenden Sicherheitsbefinden kann das Kind in entspannter Atmosphäre eine Beziehung zur pädagogischen Fachkraft und den anderen Kindern aufbauen und die neue Umgebung erkunden.
Auf Erkenntnissen der Bindungstheorie basiert auch das Berliner Krippenmodell (vgl. Laewen u.a. 2009). Das Eingewöhnungsprogramm berücksichtigt während des Überganges von der Familie in die Kita die Beteiligung von Kind, Bezugsperson (Eltern) sowie Erzieher/in gleichermaßen. Die bekannte Bezugsperson begleitet das Kind in den ersten Tagen regel-mäßig in der unbekannten Umgebung und gibt ihm Sicherheit, die neue Umwelt zu explorie-ren. Erst wenn das Kind anfängt, die pädagogische Fachkraft als sichere Basis für seine Handlungen zu nutzen und sich von ihr trösten zu lassen, wird der Eingewöhnungsprozess als abgeschlossen betrachtet.
Dieser Prozess erfolgt nicht bei allen Kindern gleichermaßen. Beeinflussende Faktoren sind z.B. das Temperament/die Individualität des Kindes, seine Vorerfahrungen mit Trennungssituationen sowie die Bindungs- und Beziehungsqualität zu seinen Eltern. Ergebnisse der Bindungsforschung machen deutlich, dass die Fähigkeit des Kindes, Beziehungen im Lebenslauf aufzubauen, wesentlich von seiner primären Bindungserfahrung abhängig ist (vgl. Ainsworth 2003). Kinder mit einem sogenannten "sicheren Bindungsmuster" haben die Erfahrung gemacht, dass sie sich auf ihre Bezugsperson in entscheidenden Situationen verlassen können und von ihnen benötigten Schutz und Sicherheit erhalten, wenn diese erforderlich sind. Diese Erfahrung speichert das Kind in einem inneren Arbeitsmodell ab und überträgt sie auf den Aufbau zukünftiger Beziehungen, wie z.B. die zur pädagogischen Fachkraft. Unsicher gebundenen Kindern fehlt diese Erfahrung von Verlässlichkeit. Entsprechend fällt es ihnen schwer, sich von ihren Eltern während der Eingewöhnung zu lösen und eine vertrauensvolle Beziehung zu neuen Personen aufzubauen. Eine "sichere" Eltern-Kind-Beziehung ist dem-nach ein entscheidender Schutzfaktor für eine gelingende Transition des Kindes von der Familie in die Kita.
Die Qualität der Beziehung wird durch Interaktionsprozesse zwischen dem Kind und seiner Mutter/seinem Vater beeinflusst. Im Rahmen von Erziehungspartnerschaft während der Ein-gewöhnungszeit stellt daher die Förderung der Eltern-Kind-Interaktion neben dem Aufbau der persönlichen Beziehung zum Kind sowie zu seinen Eltern eine wesentliche Aufgabe der pädagogischen Fachkraft dar (Abb.1).
Unterstützung der Eltern-Kind-Interaktion im Rahmen von Erziehungspartnerschaft
Im Beziehungsaufbau mit dem neuen Kind sieht sich die pädagogische Fachkraft einer doppelten Herausforderung gegenübergestellt. Zum einen muss sie vom Kind und seinen Eltern als Bezugsperson wahrgenommen und als solche akzeptiert werden. Zum anderen, und das stellt die Bedingung für das Gelingen des erst genannten dar, muss sie in der fremden Situation um feinfühliges Interaktionsverhalten der Eltern gegenüber ihrem Kind bemüht sein.
Die Anforderungen an die Eltern während der Eingewöhnung sind vom Berliner Krippenmodell klar definiert: "Die Eltern sollten sich im Gruppenraum eher passiv verhalten, ihr Kind nicht drängen, sich von ihnen zu entfernen und es immer akzeptieren, wenn das Kind ihre Nähe sucht" (Laewen u.a 2007, S. 50). Unter diesen Bedingungen kann das Kind während der Exploration die Eltern als sichere Basis nutzen und bei Verunsicherung immer wieder zu ihnen zurückkehren. Doch diese Forderungen beinhalten konkretes Interaktionsverhalten, welches die Bezugsperson berücksichtigen sollte, um dem Kind genügend Sicherheit in der unbekannten Umgebung zu bieten.
Im Folgenden werden konkrete Verhaltensweisen von Erwachsenen aufgeführt, die den Aufbau einer guten Beziehung und einer sicheren Bindung unterstützen (vgl. Friederich 2008).
"Passives Verhalten", wie es als Anforderung an die Eltern formuliert wird, kann von diesen schnell als Rückzug und körperliche Abwendung vom Kind interpretiert werden. Das Kind fühlt sich folglich trotz der Anwesenheit seiner Bezugsperson allein gelassen und in der unbekannten Situation überfordert. Lediglich die passive körperliche Präsenz der Eltern ist an dieser Stelle eindeutig zu wenig. Über eine zugewandte Körperhaltung hingegen, aufmunternde Gestik und Mimik signalisiert die Bezugsperson dem Kind, dass sie es wahrnimmt und seine (Explorations-)Handlungen Wert schätzt. Durch Halten von Blickkontakt und ein zuversichtliches und aufmunterndes Lächeln der Eltern kann sich das Kind immer wieder Rückmeldung und Bestätigung für sein Verhalten einholen. Sie bieten dem Kind damit innere Sicherheit und Rückhalt zum Erkunden der fremden Situation.
Das "Kind nicht drängen" sich von den Eltern zu entfernen, birgt die Gefahr, dass die Bezugsperson selbst anfängt zu klammern und seinem Kind damit das Gefühl vermittelt, sich nicht entfernen zu dürfen. In der Übergangszeit sind die Eltern, ebenso wie ihr Kind, mit starken Veränderungen konfrontiert. Sie müssen ihr Kind einer unbekannten Person anvertrauen, sind Verlustängsten ausgesetzt und haben Befürchtungen in ihrer Rolle als Bezugsperson des Kindes ausgetauscht und ersetzt zu werden.
Den Kindern sollte Schutz und Geborgenheit über Körperkontakt und Sprache vermittelt werden, jedoch stets unter feinfühliger Berücksichtigung ihrer Bedürfnisse. Sucht das Kind eigenständig die Nähe und den Schutz seiner Bezugsperson bei Überforderung oder Unsicherheit ist es die Aufgabe der Eltern, sich in die Gefühle ihres Kindes hinein zu versetzen und es mitfühlend zu unterstützen, den Konflikt zu bewältigen, beispielsweise über tröstende Worte und aufrichtigen Körperkontakt. Eltern müssen jedoch auch wahrnehmen, wenn sich das Kind wieder beruhigt und erneut bereit ist, sich der Erkundung seiner Umwelt zu widmen. Eigene Bedürfnisse der Bezugsperson während der Trennungssituation sollten nicht auf das Kind übertragen werden.
Von der pädagogischen Fachkraft erfordert es ein hohes Kompetenzniveau, Interaktionsprozesse zwischen Eltern und ihrem Kind wahrzunehmen und die Eltern bei Bedarf feinfühlig in der Ausbildung bzw. im Einsatz förderlichen Interaktionsverhaltens zu unterstützen. Eine Intensivierung der Eltern-Kind-Interaktion während der Übergangszeit verdeutlicht dem Kind, dass es sich weiterhin auf seine Eltern verlassen kann und die Erzieher/in lediglich eine weitere Bezugsperson und nicht die Ersatzmutter/den Ersatzvater darstellt. Um diese Unterstützung von der Fachkraft anzunehmen, müssen sich Eltern zunächst jedoch selbst von dieser mit ihren Gefühlen und Befürchtungen akzeptiert und angenommen fühlen. Nur so kann schließlich in einem weiteren Schritt die pädagogische Fachkraft als Erziehungsexpertin und als eine vertrauensvolle Bezugsperson für das eigene Kind akzeptiert werden. Spannungen und Konflikte zwischen den Bezugspersonen stellen für das Kind Stresssituationen während der Eingewöhnungszeit dar. Das Kind ist verunsichert und distanziert sich von der unbekannten Fachkraft. Kann das Kind den/die Erzieher/in nicht als sichere Basis für seine Handlungen nutzen, sind auch weiterführend die vertiefte Auseinandersetzung mit der Umwelt und der Erwerb neuer Kompetenzen eingeschränkt. Die Eingewöhnung des Kindes in den Kindergarten sollte daher als Erziehungspartnerschaft und nicht als Konkurrenzkampf um das Kind betrachtet werden. Gemeinsam ist es die Aufgabe der Eltern und der pädagogischen Fachkraft, eine stabile Brücke zwischen Familie und Kita zu bauen, die dem Kind Sicherheit und Kraft gibt, sich den neuen Anforderungen zu stellen und an diesen zu wachsen. Nur wenn beide Systeme an einem Strang ziehen kann der Übergang für das Kind gelingen.
Fazit
Um für das Kind den Übergang von der Familie in die Kita zu erleichtern muss von Seiten der Eltern und der beteiligten pädagogischen Fachkraft die Grundlage geschaffen werden. Gemeinsam müssen sie dem Kind ein Vorbild sein und eine konkurrenzfreie und partnerschaftliche Erziehung mit interaktionsunterstützenden und beziehungsfördernden Maßnahmen anstreben.
Literatur
Ainsworth, M. (2011): Mutter-Kind-Bindungsmuster: Vorausgegangene Ereignisse und ihre Auswirkungen auf die Entwicklung. In: Grossmann, K. & Grossmann, K.: Bindung und menschliche Entwicklung: John Bowlby, Mary Ainsworth und die Grundlagen der Bindungstheorie. 3. Aufl. Stuttgart. S. 314-340.
Friedrich, H. (2008): Beziehungen zu Kindern gestalten. 4. Aufl. Berlin, Düsseldorf, Mannheim.
Griebel, W. & Niesel, R. (2005): Die Bewältigung von Übergängen zwischen Familie und Bildungseinrichtungen als Co-Konstruktion aller Beteiligten. In: Kindergartenpädagogik. Online-Handbuch. Transition von der Familie in die Tagesbetreuung.
Laewen, H.J.; Andres, B. & Hedervari, E. (2009): Die ersten Tage - ein Modell zur Eingewöhnung in Krippe und Tagespflege. 5. Aufl. Berlin, Düsseldorf.